Rezension: Merle Hilbk, Die Chaussee der Enthusiasten. Eine Reise durchs russische Deutschland

„Wenn Sie mich Russe nennen, dann bin ich eben ein Russe“, antwortet mir David, der Vater einer Freundin auf die Frage, wie ich ihn politisch korrekt einordnen soll.

Fakt ist, „russisches“ Leben ist ein Teil unserer deutschen Gesellschaft.

In „Die Chaussee der Enthusiasten. Eine Reise durchs russische Deutschland“, erschienen im Aufbau Verlag, berichtet Merle Hilbk über das Spektrum russischsprachigen Lebens in Deutschland. Ausgehend von der Erstaufnahmeeinrichtung Friedland im Landkreis Göttingen begibt sich Hilbk auf eine Reise, die sie quer durch Deutschland führt. Dabei trifft sie Menschen, die alle aus unterschiedlichen Gründen aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind. Sie hört die Hoffnungen der Russlanddeutschen, die auf der Suche nach Heimat sind, trifft russische Intellektuelle mit jüdischen Wurzeln oder feiert auf der angesagten „Datscha Party“ in Hamburg zu russischen Rockbeats. Sie entdeckt eine Welt voller Reichtum in Baden-Baden, wird Zeugin monotoner Plattenbausiedlungen in Berlin-Marzahn und besucht russische Poetry Slams.

In erster Linie erzählt Hilbk Geschichten von Menschen. Gleichzeitig gelingt es ihr, die vielen Facetten des russischen oder besser gesagt russischsprachigen Lebens zu skizzieren, ohne dabei in klischeehafte Erzählungen zu verfallen. Lebhaft wird der Leser Teil ihrer Begegnungen, verfolgt gespannt die Geschichten und Schicksale der einzelnen Protagonisten. Die Autorin karikiert nicht, sie erzählt, mal komisch, mal sachlich und mal traurig. Sie zeigt Mutlose, die sich in eine Blase zurückziehen, aber auch hoffnungsvolle Menschen, die aus fehlender Anerkennung der Mehrheitsgesellschaft kreative Projekte ins Leben rufen und so aktiv zu einem bunten Deutschland beitragen. Hilbk beobachtet. In einer geschmeidigen Art vermittelt sie ganz nebenbei geschichtliche Fakten, die mir so nicht bewusst waren oder die ich schlichtweg nicht wusste.

So wird der Bericht zum vermeintlichen Roman, der sich aus vielen Begegnungen zu einem großen Ganzen zusammensetzt und uns eine Welt näher bringt, die mitten unter uns lebt und atmet.

Merle Hilbk, Die Chaussee der Enthusiasten. Eine Reise durchs russische Deutschland. Aufbau Verlag.

Autor: Ahu Gür
http://style4soul.blogspot.de

Rezension: Rebecca Stephan, Zwei halbe Leben

Nichts Halbes, nichts Ganzes

Diese Rezension habe ich längere Zeit vor mir her geschoben, denn ich war ziemlich enttäuscht. Der Klappentext und die Aufmachung des Buches versprachen so viel. Nur leider hält das Buch nichts von diesen Versprechungen.

1654Die Idee der Geschichte ist gut und realistisch: Maximilian und Sophie werden bei einem schlimmen Bombenangriff 1945 in einem Frankfurter Keller verschüttet. Dort erleben beide das, was man ‚Liebe auf den ersten Blick‘ nennt. Und noch mehr: Sie verfallen einander mit Haut und Haaren. Der Haken: Beide sind nicht nur verheiratet, sondern haben auch Kinder. Als sie sich dann aus dem Keller freigeschaufelt haben, beschließen sie, mit Hilfe einer guten Freundin von Sophie einen kompletten Monat in ‚ihrem Zuhause‘, dem Keller, zu verbringen, und dann erst zu ihren Familien zurückzukehren. Alles Weitere wollen sie dem Schicksal überlassen. So vereinbaren sie, sich jedes Jahr am 18. April zwischen 6 Uhr morgens und Mitternacht für genau fünf Minuten am Römerplatz aufzuhalten. Wenn sie sich begegnen, verbringen sie ihr weiteres Leben gemeinsam. Wenn nicht – dann versuchen sie es eben nächstes Jahr wieder.

Die Idee ist gut, aber dann wird zunehmend dick aufgetragen:

Sophie ist arm wie eine Kirchenmaus, ihr Mann ein prügelnder, ungepflegter, widerlicher Alkoholiker, der droht, sie umzubringen, sollte sie ihn verlassen. Maximilian gehört zu einer der reichsten Familien Frankfurts, steckt aber fest in einer Ehe mit einer gefühlskalten Frau und einem Netz aus Intrigen, das sein patriarchalischer Vater perfekt spinnt.

Wie sich die Leben der beiden über die nächsten Jahre entwickelt, wird abwechselnd von der Autorin erzählt und anhand von Briefen, die Maximilian und Sophie einander schreiben (ohne sie absenden zu können, da sie nicht mal ihre Nachnamen ausgetauscht haben). Auch diese Idee ist gut, allerdings ging mir das permanente Gejammere der beiden unglaublich auf die Nerven. Es ist für mich unglaubwürdig, dass Sophie in den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit, in der tausende von Menschen verschollen sind, nicht irgendeinen Weg gefunden hätte, mit ihren Kindern komplett unterzutauchen.

Auch Maximilian fügt sich, wird immer schwächer und auf Dauer lethargisch und depressiv. Es muss sogar sein Sohn für ihn aktiv werden und ihn aus der scheinbar aussichtslosen Situation innerhalb weniger Monate herausboxen. Auch hier ging mir die Figur des armen, reichen Mannes, der nicht in der Lage ist, selbstständig zu handeln, sehr auf die Nerven. Vielleicht war es zu Kriegszeiten und in der Nachkriegszeit tatsächlich in der Gesellschaft so, aber ich tue mich schwer damit zu glauben, dass zwei Menschen, die sich dermaßen lieben wie Max und Sophie, tatsächlich 20 Jahre lang willentlich in ihren miserablen Leben steckenbleiben – egal in welcher Epoche.

Doch auf einmal überschlagen sich die Ereignisse, schnell wird noch der Bezug zu tatsächlich Geschehenem hergestellt, und ich kam aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Nach 20 Jahren tatsächlich Licht am Ende des Tunnels? Hoffnungsvoll nahm ich die letzten Seiten in Angriff und … dazu kann ich nun nichts sagen, ohne zukünftigen Lesern zu viel zu verraten. Darum sage ich sehr neutral: Der Schluss passt zu meinem Eindruck vom gesamten Buch. Und schüttele meinen Kopf noch ein wenig weiter.

Die Sprache im Buch ist zum Teil sehr schlicht, zum Teil sehr schwülstig. Dazu erklärt die Autorin überflüssig oft Sachverhalte, die man als halbwegs gescheiter Leser eigentlich sofort selbst versteht.

Mein Fazit: Es hätte wirklich ein sehr schönes Buch werden können, hinterließ aber während des Lesens und nach dem Zuschlagen bei mir ein eher genervt-frustriertes Gefühl. Übrigens ist ‚Rebecca Stephan‘ ein Pseudonym. Dahinter steckt Steffi von Wolff, die wohl normalerweise eher im Bereich der lustigen Frauenbücher angesiedelt ist. Da ich davon allerdings (noch?) keines kenne, kann ich keine Aussagen dazu machen, ob ihr das Genre vielleicht besser liegt. Vielleicht teste ich das mal als nächstes aus.

Rebecca Stephan, Zwei halbe Leben. List Verlag, 3. Auflage 2012

Autorin: Dorothee Bluhm WortParade
www.wortparade.de

Rezension: Tom Rob Smith, Kolyma

Düster und hoffnungslos – das Scheitern der Utopie

Moskau 1956.
Leo Demidow, Ex-KGB Agent und nun der Leiter des ersten und geheimen Morddezernats in Moskau, glaubt sich geläutert. Zwar hat er früher unter Stalins Herrschaft schlimme Verbrechen begangen, doch inzwischen ist unter Chruschtschow eine neue Ära angebrochen, die sich aufgeklärter gibt. Leo hat mit seiner Frau Raisa zwei Mädchen adoptiert. Für die Ermordung ihrer Eltern ist er mit verantwortlich und das lassen ihn die Kinder spüren. Vor allem die ältere Zoya hasst ihn dafür. Aber die Vergangenheit lässt sich nicht verdrängen. Die unschuldigen Opfer sind inzwischen begnadigt. Ihr Hass ist sehr lebendig und fordert Vergeltung.

„Befreie meinen Mann, sonst ermorde ich Deine Tochter!“
Eine fast unlösbare Aufgabe für Leo. Er schleust sich als Gefangener in den Gulag 57 in Kolyma ein, um diesen Auftrag auszuführen, der seine Tochter retten soll. Der Plan scheitert, Leo wird sofort von seinen Mithäftlingen entlarvt. Dass er wieder einmal zum Spielball politischer Intriganten geworden ist, merkt er viel zu spät.

Verurteilung des Stalinismus
Tom Rob Smith setzt sich in Kolyma intensiv mit den Verbrechen des Stalinismus auseinander. Darauf muss man sich als Leser einlassen können. Eine Gesellschaft, die zerfallen ist in Täter, Opfer und Mitläufer, lässt sich nicht so einfach kitten. Die Gräben sind tief, die alte Garde sitzt immer noch fest im Sattel und die Menschen sind nur Spielbälle der Politik. So viel Hoffnungslosigkeit löst bei mir bestenfalls Depressionen aus, lässt aber kein wirkliches Lesevergnügen aufkommen.

Nicht Fisch und nicht Fleisch
Der erste Roman von Tom Rob Smith „Kind 44“ hatte deutlich mehr Potenzial. Dort ging es um einen spannenden Kriminalfall und die politischen Wirren waren als Hintergrund eingearbeitet. Bei „Kolyma“ ist die Gewichtung verrutscht. Der Fall tritt völlig in den Hintergrund, so dass sich drei Viertel des Buches nur noch mit politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen und deren Unmöglichkeit beschäftigen. Stellenweise durchaus packend geschrieben, aber eben kein Krimi. Die schier endlose Aneinanderreihung von actionreichen Szenen konnte bei mir keine Spannung erzeugen.

Mein Fazit
„Kolyma“ erreicht leider nicht die Qualität von „Kind 44“. Zu wenig Substanz für einen guten Krimi und zu phantasievolle Auslegung der historischen Fakten für einen guten historischen Roman.

Tom Rob Smith, Kolyma. Dumont Verlag

Autorin: Monika Albert

Das liest der Oberbürgermeister (Teil 1): Spröde Kost wohl akzentuiert

[Der Mann für den Text] Buchmesse schmeckt 2013: Dr. Hinrich Lehmann-Grube liest in der Moritzbastei Leipzig
[Der Mann für den Text] Buchmesse schmeckt 2013: Dr. Hinrich Lehmann-Grube liest in der Moritzbastei Leipzig, Foto: Detlef M. Plaisier
Ich habe mich darauf gefreut, ihn wiederzusehen. Bis 1990 war Dr. Hinrich Lehmann-Grube Oberstadtdirektor der Landeshauptstadt Hannover und damit mein Dienstherr als Beamter. Danach ging er bis 1998 als Oberbürgermeister in Hannovers Partnerstadt Leipzig, wo ich heute lebe. Leipzig hat ihm viel zu verdanken. Sein Politikansatz des „Leipziger Modells“ ist niemandem nach ihm wieder gelungen. In seine Amtszeit fiel auch die Entscheidung, die Moritzbastei kulturell und nicht kommerziell zu nutzen – und genau dort treffen wir uns heute. Dr. Lehmann-Grube (ja, er hört den akademischen Grad gerne, und es wirkt bei ihm gar nicht arrogant) liest im Schwalbennest der Moritzbastei im Rahmen der Reihe „Buchmesse schmeckt“.  Die Küche des Veranstalters serviert dazu zwei verschiedene Suppen.

Er wirkt etwas verloren bei seiner Ankunft. Niemand begrüßt ihn und nimmt ihm den Mantel ab. Beim Kaffee an der Theke sortieren wir gemeinsame Erinnerungen. Seine geliebte Bratsche, die er anerkannt virtuos beherrscht, hat Lehmann-Grube zuhause gelassen. Welches Buch hat er mitgebracht? „Ein Streichinstrument spielt auch eine Rolle“, verrät er vorab. Und soviel: „Ich lese nach Stimmungslage. Mal ist mir nach Geschichte, mal möchte ich unterhalten werden.“

Cover Uwe Tellkamp, Der Turm im Suhrkamp Verlag
Cover Uwe Tellkamp, Der Turm im Suhrkamp Verlag

Zum Beginn um 12:12 Uhr haben sich etwa 30 Zuhörer eingefunden; enttäuschend, wie ich finde. Lehmann-Grube stellt sein „jüngstes Lieblingsbuch“ vor und dämpft gleich die Erwartungen: „Der Turm“ von Uwe Tellkamp sei „spröde und vielschichtig“, 1000 Seiten dick, und er arbeite es zum zweiten Mal durch, um alle Schichten zu erfassen. Das Buch erzählt die Geschichte einer Arztfamilie rund um den Chirurgen Richard Hoffmann in den 1980er-Jahren im Turm, einem fiktiven luxuriösen Villenviertel in Dresden. Autor Uwe Tellkamp, selber ausgebildeter Arzt, erhielt für seinen Vorwenderoman als Verarbeitung seiner eigenen Biografie 2008 den Deutschen Buchpreis.

Lehmann-Grube liest wohl akzentuiert von einem Besuch auf der Kohleninsel, Symbol für sozialistische Behörden. Tatsächlich: Eine Geige kommt vor, der bescheinigt werden soll, dass sie nicht zum unverzichtbaren Kulturgut gehört, dazu gesellen sich muffige Behördenflure mit wägelchenschiebenden Kittelboten und vollfleischigen Grünpflanzen …. Gerade als sich Charaktere und Bilder in meinem Kopf formieren, endet die Lesung abrupt, und ich bleibe etwas ratlos zurück. Aber das ist das Konzept von „Buchmesse schmeckt“: Eine Mittagspause soll es sein, nicht eine abendfüllende Lesung. Zum Schluss gibt es ein Erinnerungsfoto und einen Eintrag in mein Gästebuch. Von Herzen „Auf Wiedersehen“!

Leipziger Buchmesse für Anfänger

Es soll ja wirklich Menschen geben, die für Ihr Leben gern Bücher verschlingen, aber noch nie ihren Lieblingsautor auf der Buchmesse hautnah erlebt haben. Und zugegeben: Es ist gar nicht so einfach, sich in dem Angebot und in den Hallen auf der Leipziger Messe zurechtzufinden.

[Der Mann für den Text] Die Leipziger Buchmesse auf einen Blick
[Der Mann für den Text] Die Leipziger Buchmesse auf einen Blick. Foto: Detlef M. Plaisier
Die Leipziger Messe bietet dafür kostenlos „Buchmesse für Einsteiger“ an. Ein Vortrag mit anschließender Führung startet täglich während der Messetage um 10.00, 11.00 und 12.00 Uhr im Congress Center Leipzig, Vortragsraum 9. Für diese Führungen sind Anmeldungen in einer Gruppe bis zu fünf Personen möglich. Ab fünf Personen wird eine individuelle Gruppenführung (kostenpflichtig) organisiert.Eine Anmeldung ist erforderlich per E-Mail gaestefuehrungen@leipziger-buchmesse.de oder unter der Telefonnummer 0341 – 6786990 (Mo – Fr 9.00 bis 17.00 Uhr).

Rezension: H. Norman Schwarzkopf, Man muss kein Held sein – Blicke hinter die Kulissen eines amerikanischen Lebens

Aus Anlass des Todes von General H. Norman Schwarzkopf möchte ich auf seine Autobiografie hinweisen. Sie trägt den Titel „Man muss kein Held sein“, im amerikanischen Original „It doesn´t take a hero“.

Diese Autobiografie ist ein spannendes historisches Dokument über den Vietnamkrieg und die militärische Aktion „Desert Storm“ der USA in Kuwait. Schonungslos schildert Schwarzkopf Leben und Arbeiten im Einsatz, die zähen Verhandlungen mit hochrangigen Politikern, die Probleme in den Truppen und mit den klimatischen Bedingungen. Aus der Perspektive des Beteiligten und später Verantwortlichen erfährt der Leser, wie es wirklich zuging.

„Man muss kein Held sein“ ist auch eine Geschichte über schwierige Familienverhältnisse und das Leben in Amerika ab 1942. Das Buch will keine Klischees erfüllen, Bewunderung hervorrufen oder Mitleid wecken. Es verherrlicht weder Militär noch USA. Es ist „nur“ eine fast schon brutal ehrliche und nachdenkliche Schilderung eines amerikanischen Lebens im Dienst der USA. Und gerade deshalb ist diese Autobiografie so beeindruckend.

Übersicht über die aktuellen Anbieter hier.

Autorin: Mica Berlin

Rezension: Kay Schönewerk, Das Weiße ohne das Gelbe

Zugegeben: Ganz objektiv bin ich als Rezensent nicht. Ich kenne den Autor Kay Schönewerk aus seiner Leipziger Kommunikationsagentur 4iMEDIA, deren Geschicke er leitet. Bei unseren Begegnungen hat er sein Ernährungscredo nie vor sich her getragen und auch nie missioniert. Mit der Publikation des Buches im Eigenverlag der Agentur hat sich Kay Schönewerk einen Traum erfüllt. Also mal eben ein Buch raushauen, schließlich ist man ja in der Kreativenbranche? Mitnichten: Der Anlass ist in Bildern auf dem Cover zu sehen, und der ist wahrhaftig pfundig.

Kay-Schönewerk-Das-Weiße-ohne-das-Gelbe-Buch-CoverMinus 50 Kilo in neun Monaten erscheint wie Hexenwerk. Dabei ist der Königsweg zum dauerhaften Erfolg nichts anderes als die Umsetzung der Erkenntnis: Wer dem Körper mehr Kalorien zuführt, als er am Tag verbraucht, wird auf Dauer dick. Und wer zu Radikalkuren greift, legt am Ende sogar noch mehr zu. Das verstehen Bürohocker, Leistungssportler und Schwerarbeiter. Kay Schönewerk greift zu einem kleinen Kniff: Mit dem Untertitel des Buches „Wie ich mit dem richtigen Frühstück 50 Kilo abgenommen habe“ suggeriert er, schon eine Veränderung der ersten Mahlzeit des Tages verhelfe zum Wunschgewicht. Das allerdings wäre Hexenwerk. Zu drei kleinen Frühstückchen vor dem Mittag kommt nach dem Tagwerk noch eine gehörige Portion Sport, die das Abnehmkonzept stützt. Da ist der innere Schweinehund besonders gefordert. Und auch für die restlichen Mahlzeiten des Tages gibt es Rezepte, die auf einer Low Carb-Ernährung basieren.

Kay Schönewerk hat sich nicht nur schlank gegessen, er hat sich vielmehr schlank gerechnet. Dafür bedarf es nicht einmal höherer Mathematik und Alchimie. Seine Beispiele sind für jeden nachvollziehbar: Ein Ei hat 95 Kilokalorien, davon allein das Eigelb 73. Also gibt’s das morgendliche Rührei mit vier Eiweiß und einem Vollei für den Geschmack, dazu mageren Kochschinken und frische Champignons. Kaffee mit Milch? Gestrichen, trotz der exquisiten Maschine in der Agentur. Allein der „Schuss Milch“ in den Kaffee macht bis zu 200 Kalorien am Tag aus. Diese Beispiele lassen sich fortführen, und jeder Leser fühlt sich dabei ertappt. [Für mich als Ostfriesen ist der Tee ohne Sahne allerdings undenkbar …]

Kay Schönewerk entwickelt ein Szenario, das den Belastungen des Alltags standhält und zu einem dauerhaften Abnehmerfolg führt. Die kurzen Buchkapitel, für jedes verlorene Kilo eines, beleuchten verschiedene Aspekte der Low Carb-Ernährung mit praktischen Tipps und Mutmachern, falls die Waage doch mal in die falsche Richtung ausschlägt. Dem Autor gelingt es, den Leser so auf eine Reise mitzunehmen, als hätte er die Route selbst bestimmt. Hier wird nicht wissenschaftlich doziert, sondern praktisch geholfen.

50 Kilo weniger sind eine enorme Leistung, insbesondere für jemanden, der als Selbständiger im Arbeitsleben steht und Verantwortung für Betrieb und Mitarbeiter trägt. Eine unabdingbare Regel im Arbeitsleben gilt auch für das Ziel, Kilos dauerhaft abzuspecken, seien es fünfzig oder nur fünf: Ohne Disziplin gelingt nichts. Dies ist die mahnende und erprobte Botschaft des Autors hinter dem unterhaltsamen Plauderton. Wer sich mit Kay Schönewerk darüber austauschen möchte, sei auf seine Seite http://www.abnehmen-minus50.de/ eingeladen. Hier findet man weitere praktische Kniffe, ermutigende Bilder und eine aktive Community. Einen Ernährungsplan von Kay Schönewerk gibt’s auf https://www.loox.com/plaene/viel-ausdauer—wenig-kohlenhydrate.

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Rezension: Niccolò Ammaniti, Du und Ich

Lorenzo muss sich verstellen, um einigermaßen unbeschadet durchs Leben zu kommen. In Wirklichkeit will Lorenzo nur mit seiner Mutter, seinem Vater und seiner Großmutter „Nonna Laura“ zusammen sein und sich ansonsten in seiner Welt aus Playstation, Träumen und Stephen King-Romanen vergraben. Aber so funktioniert Leben nicht! Lorenzo hat zu lernen, sich unter anderen Menschen zu bewegen, im Kindergarten, in der Schule, in der Freizeit. Dabei will Lorenzo nur allein sein und in seiner Welt leben dürfen. Wenn jemand sein Distanzbedürfnis nicht einhält und ihm zu nahe tritt, verliert er die Kontrolle, sieht rot und schlägt um sich. Nachdem er so einen Klassenkameraden verletzt hat, muss er zum Psychologen.

Aber Lorenzo ist nicht dumm. In einem langwierigen Lernprozess eignet er sich die gewünschten Verhaltensweisen an, indem er seine Umgebung kopiert. Er erlernt eine Art sozialer Mimikry, mit der er sich in der Menge verstecken kann, ohne sich wirklich am Zusammenleben zu beteiligen.

Skiausflug nach Cortina

Um ihr eine Freude zu machen, erzählt Lorenzo seiner Mutter, eine Klassenkameradin habe ihn zum Skifahren eingeladen. Eine Woche werde er mit Freunden in Cortina verbringen – was natürlich nicht stimmt. Die Freude seiner Mutter über diese positive Entwicklung ist so riesig, dass er beschließt, den Skiurlaub vorzutäuschen und die Woche im Keller des Hauses zu verbringen. Das klappt auch, bis ihn dort seine Stiefschwester Olivia findet. Sie hat keine Bleibe und ist drogenabhängig. Sie muss Lorenzo erst erpressen, damit er sie in seinem Kellerdomizil aufnimmt. Es beginnt ein schwieriges Zusammenleben, nachdem Lorenzo endlich Olivias Drogenabhängigkeit erkannt hat. Als Olivia auf eigene Faust einen Entzug versucht, übernimmt Lorenzo Verantwortung für seine Schwester und lernt so, dass es auch Wichtiges außerhalb des eigenen Ich gibt.

Zwangsgemeinschaft im Keller als Lorenzos Sprungbrett ins Leben

Nicht nur die übernommene Verantwortung, auch die Zuwendung seiner Schwester machen Lorenzo klar, dass er nicht auf ewig in sein eigenes Ich eingesperrt bleiben kann und das auch nicht will. Der Kelleraufenthalt ist Lorenzos Schnellkurs in sozialer Kompetenz.

Konsequent aus Lorenzos Ich-Perspektive geschrieben, fesselt „Du und Ich“ durch eine Schnörkellosigkeit in der Sprache und mit treffsicheren Bildern. Ein Kompliment an dieser Stelle auch dem Übersetzer Ulrich Hartmann.

Auch „Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao“ von Junot Díaz oder  „Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn“ von André Kubiczek handeln vom Erwachsenwerden, begleiten aber eine ganze Lebensentwicklung. Ammaniti hat sich auf diese eine Episode in Lorenzos Leben beschränkt und damit ein Werk von fast novellistischer Zuspitzung geliefert. Er beschreibt einen Wendepunkt, der Lorenzo den Start in ein anderes Leben ermöglicht. Ein Buch, das trotz einer fast grausamen Rahmenhandlung deutlich in die Kategorie „unbedingt lesen“ gehört.

Niccolò Ammaniti: Du und Ich. Piper Verlag, 2012. 
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