Auftritt Schweiz: Hier stehen die Roten Bänke

Am Wochenende setzt das Partnerland Schweiz erste Zeichen in Leipzig: Im Schauspiel findet eine große Auftaktveranstaltung statt. Gleichzeitig werden die roten Lesebänke im Stadtgebiet aufgestellt. An diesen Orten kann man sitzen und lesen:

1   Schauspiel Leipzig, Bosestraße 1

2   Tagsüber im Park bei Thomaskirche/Marktplatz

3   Hauptbahnhof Leipzig

4   Museum der bildenden Künste, Museumsbuchhandlung, Katharinenstraße 10

5   Alte Nikolaischule, Messeclub, Nikolaikirchhof 2  

6   Bahnhofsbuchhandlung Ludwig, Promenaden im Hauptbahnhof

7   Buchhandlung SeitenBlick, Goetzstraße 2 / Lindenauer Markt

8   Lehmanns Media, Grimmaische Straße 10

9   Buchhandlung an der Thomaskirche

10 Buchhandlung Bücherwurm, Gohliser Str. 20

11 Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Schuhmachergäßchen 4

12 Buchhandlung Hugendubel, Petersstraße 12-14

13 Lesepark im Clara Zetkin-Park

„Buchmesse schmeckt“: Elke Urban würdigt Erich Loest und die Friedliche Revolution

Ich hätte es wissen sollen. Eine Frau wie Elke Urban nimmt nicht einfach ihr Lieblingsbuch aus dem Regal. Sie will beeindrucken. Nicht durch ihr Bundesverdienstkreuz, sondern durch das, was sie anderen vermittelt. So liegt heute das weniger bekannte Werk „Einmal Exil und zurück“ von Erich Loest auf dem Vorlesetisch in der Moritzbastei.

Elke Urban liest Erich Loest. Foto: Detlef M. Plaisier
Elke Urban liest Erich Loest. Foto: Detlef M. Plaisier

Das hat gute Gründe, gleich mehrere. Offensichtlich: Beide haben am 24. Februar Geburtstag. Tiefer: Elke Urban hat Erich Loest zu seinem 85. Geburtstag 2011 ein besonderes Geschenk gemacht. In einem Exemplar des Vorlesebuches von heute stieß sie auf Loests Revolutionsstück „Ratzel speist im Falco“, das in Leipzig bis dahin noch nie gespielt worden war. Grund: Zu unbequem. Loests Mahnung, die Verlierer von 1989 könnten 20 Jahre später schon wieder auf der Gewinnerseite sein, wollte niemand hören. Elke Urban holte Profis, ließ proben bis zur Uraufführung in der „Zille“. Es folgten 20 weitere Aufführungen. Zum 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution soll es in diesem Jahr eine Neuproduktion geben. Loests Dank und seine Briefe sind heute Elke Urbans größter Schatz.

„Einmal Exil und zurück“ versammelt bekannte Personen, Plätze und Szenen: Die Kirchenleute Führer, Magirius und Schorlemmer, Friedensgebete und Montagsdemos, die Entstehung des Films „Nikolaikirche“ mit Peter Sodann. Die kurzen Passagen machen die Bilder wieder lebendig für alle, die dabei waren. Elke Urban bringt ein Kleinod mit: Ein Flugblatt vom 9. Oktober 1989 mit dem Namen „Appell“, das mit seinem Aufruf zur Gewaltfreiheit bis heute ein Tabu blieb. Elke Urban geht auf Tingeltour, versucht dem Zeitdokument bei Historikern und Schulbuchverlagen die gebührende Anerkennung zu verschaffen. Einer der Verfasser, Pfarrer Christoph Wonneberger, wird morgen 70. Er koordinierte seit 1986 die Friedensgebete in der Nikolaikirche. Am 25. September 1989, nach seiner Predigt, erklang in der Kirche „We shall overcome“ – „und das war mein 9. Oktober“, bekennt Elke Urban sichtlich bewegt.

Was bleibt von dieser Mittagspause? Gewalt kann nicht das Zeichen einer neuen, besseren Gesellschaft sein. Und: Immer wieder Mut fassen und aufstehen zu Ehren von Erich Loest.

„Buchmesse schmeckt“: OB Jung macht atemlos

„Ich lese so schrecklich gerne vor“. Oberbürgermeister Burkhard Jung stellt ein Geständnis an den Beginn seiner Lesung bei „Buchmesse schmeckt“ und macht dann kurzen Prozess: In gerade mal 25 Minuten versteht er es, mit drei kurzen Passagen atemlose Stille zu erzeugen. Da fällt es nicht einmal auf, dass er vor dem Vortrag den Buchtitel unterschlägt.

Oberbürgermeister Jung bei seiner Lesung in der Moritzbastei. Foto: Detlef M. Plaisier
Oberbürgermeister Jung bei seiner Lesung in der Moritzbastei. Foto: Detlef M. Plaisier

„Diese Dinge geschehen nicht einfach so“ – ein Satz, der aktuell auf viele Lebensbereiche passt. Die Autorin Taiye Selasi verwendet ihn als Titel für ihren Debutroman, der 2013 uneingeschränktes Lob fand. „Schlicht atemberaubend“ attestierte die FAZ, und der SPIEGEL entdeckte „vielschichtige, großartige Literatur“. Jung wurde zur Buchmesse auf den Titel aufmerksam. Er teilt die Begeisterung, dämpft aber vor dem ersten Kapitel: „Ich mute Ihnen etwas zu, und es beginnt gleich mit dem Tod.“

Taiye Selasi zeichnet in ihrem Werk Innenansichten einer US-amerikanischen Familie, die wir heute als Multikulti bezeichnen würden. Sie selbst ist Kind dieser Kultur: Geboren in London als Tochter einer nigerianisch-schottischen Mutter und eines ghanaischen Vaters, wuchs sie in den USA auf. Ihr Roman zerstört schleichend und schonungslos das Idyll der Integration und wandelt es in einen Albtraum aus Demütigung, Ausgrenzung und Verrat. Dafür wählt Taiye Selasi eine poetisch-eindringliche Sprache, die grausam ist und zerbrechlich zugleich.

„Ich lese so schrecklich gerne vor.“ Burkhard Jung spielt es heute aus: Er versenkt sich in den Text, erschafft Bilder und akzentuiert variantenreich das Tempo. Enge in der linken Brust, eine geballte Faust – jede Geste ist stimmig.  Der Multikulti-Schnupperkurs hat Lust gemacht: Nicht unbedingt auf Multikulti, aber auf die Geschichten von Taiye Selasi.

Rezension: Yasmina Khadra, Die Lämmer des Herrn

Vorangestellt diesem Roman von Yasmina Khadra ist ein Nietzsche-Zitat, das das Gedächtnis als den einzigen Mitwisser ausweist, welcher von einigen mitunter getrübt und misshandelt werde, um zumindest an diesem Rache zu nehmen. Damit ist hier nicht bloß jener nachträgliche nostalgisch-verklärende Blick auf die eigene Vergangenheit gemeint, sondern das Zurechtrücken der eigenen Biografie, welches die selbst begangenen Grausamkeiten schlicht nicht mehr sehen oder erinnern will.

Yasmina Khadra sind die beiden Vornamen der Ehefrau des algerisch-stämmigen Autors Mohammed Moulessehoul. Der 1955 geborene Moulessehoul war, bis er im Jahr 2000 den hochrangigen Dienst quittierte, Offizier in der algerischen Armee. Er kämpfte unter anderem gegen die islamistische Gewalt in seinem Land. Nach immerhin 36 Jahren der Zugehörigkeit, seit er als Neunjähriger von seinem Vater in die Obhut einer Militärakademie gegeben worden war, verließ er das Militär und emigrierte nach Frankreich. Zuvor zwang ihn ein Erlass, der es Angehörigen der Armee auferlegte, Publikationen einer Zensurbehörde vorzulegen, seine Bücher unter einem Pseudonym zu veröffentlichen. Zunächst unter dem Namen des Protagonisten seiner Kriminalromane „Commissaire Llob“, dann unter den beiden Namen seiner Frau. Erst im September 1999 deutete er in einem Interview mit „Le Monde“ an, das sich dahinter keine Frau verberge, bevor er sich im Exil vollends zu erkennen gab.

Yasmina Khadra, „grüner Jasmin“, konterkariert dabei sehr gut, was sich in den Ohren einer westlichen Rezeptionserwartung nur zu gut ausnehmen würde. Doch statt einer verängstigten oder gar unterdrückten Frau verbarg sich hinter diesem, wie es der „Guardian“ formulierte, eben ein „soldier-novelist“ oder auch „a man of war“. Und dieser beschreibt in „Die Lämmer des Herrn“ diese seine Wirklichkeit, die er als Soldat aktiv begleitet hat – die eines andauernden Kriegszustands. Genauer, des Bürgerkriegs, dem Algerien anheim fiel, als nach der Befreiung von der französischen Kolonialherrschaft und dem Fall des Monopols der „Nationalen Befreiungsfront“ (NFL) der wirtschaftliche Niedergang des Landes eine erste Phase der Demokratisierung zunehmend erstickte.

Als ein möglicher Wahlsieg islamistischer Kräfte 1991/92 zu einem Wahlabbruch und zur Anordnung zur Auflösung der „Islamischen Heilsfront“ (FIS) führten, rief diese zum bewaffneten Kampf gegen die intervenierende algerische Armee auf. Exemplarisch schildert Moulessehoul dies hier an der Gemeinschaft des Dorfes Ghachimat, das zunächst noch unberührt von den ersten, sich 1988 ausbreitenden Unruhen in Algier bleibt. Im Zentrum rückt dabei das Werben dreier junger Männer um dieselbe Frau, die unterschiedlicher nicht sein könnten, zunächst aber freundschaftlich verbunden sind: Allal, der Polizist ist, Kada, der Lehrer, und der in den Tag hinein lebende Jafer. Als sich die Tochter des Bürgermeisters jedoch nicht für Kada entscheidet, radikalisiert sich dieser und lässt sich als Mudjaheddin nach Afghanistan entsenden.

Moulessehoul entlarvt hier symptomatisch, wie enttäuschte Träume, auch die an eine „Dämonkratie“ (sic!), zu religiös motivierter Gewalt führen. Und wie sich unter deren Deckmantel Opportunismus und Kriminalität entfalten können. Er kleidet dies in eine klare, beinahe schlichte Sprache, unter der ab und an kurze Naturbeschreibungen und Landschaftsskizzen luzide hervorstechen. Dies ist bewusst gesetzter Kontrast zu der geschilderten drastischen Gewalt in der menschlichen Gemeinschaft während der Schreckensherrschaft der jungen Islamisten. Obwohl sich Moulessehoul redlich bemüht, auch über die drei Freunde hinaus ein differenziertes Bild der Dorfgemeinschaft mit je wechselnden Perspektiven und Motiven zu liefern, ist es offenkund, wem dort seine Sympathien gelten und wem nicht.

„Die Lämmer des Herrn“ ist Tendenzliteratur im besten Sinne: Ein schnörkelloser und schonungsloser Bericht aus der Misere Nordafrikas. Mord, Vergewaltigungen oder Bombenanschläge – der Terror – als islamistische Antwort auf nicht fruchtende Demokratiebestrebungen und den Bruch mit der sich auflösenden traditionellen Dorfgemeinschaft. Und dies noch aus einer Zeit lange vor dem sogenannten „Arabischen Frühling“.

Yasmina Khadra: Die Lämmer des Herrn
Aufbau Verlag, Berlin 2011
Übersetzung von Les agneaux du Seigneur, Paris 1998

Autor: Manuel Niemann
http://www.gettingnowherefast.de

Infiziert!

In der vergangenen Nacht habe ist erstmals von der Buchmesse geträumt. Ich war am Stand der Ukraine und fragte nach den neuesten Ereignissen. Bei der Schweiz gab es eine deftige Brotzeit. Und Thilo Sarrazin erklärte mir, warum er um keinen Preis Deutschland verlassen will.

Und was, liebe Leser, träumen Sie?

Leipzig liest für Kids und Teens: Ermutigung zum Lesen

Spaß am Lesen kann bei richtiger Förderung schon früh beginnen. Die Leipziger Buchmesse will mit dem Programm „Leipzig liest für Kids und Teens“  einen Beitrag zur Leseförderung leisten. Beachtlich: 250 Autorinnen und Autoren gestalten über 400 Veranstaltungen an 120 Leseorten. Lesen, Hören, Mitmachen: Junge Bücherfans und Zuhörer ab zwei Jahren sind an allen Tagen der Buchmesse die Hauptpersonen.

Ein ruhiger Platz zum Lesen. Foto: Archiv Detlef M. Plaisier
Ein ruhiger Platz zum Lesen. Foto: Archiv Detlef M. Plaisier

Auch wenn sie es nicht gerne zugeben: Jungen müssen den Mädchen beim Lesen den Vorsprung lassen. Um Jungen ans Buch zu locken, gibt es am 13. März im Theater der Jungen Welt einen „Thementag Jungen“ mit Geschichten und Aktionen rund um Freunschaft, erste Liebe und Selbstfindung. Ganz so eng wird es dann doch nicht gesehen: Auch Mädchen sind willkommen.

Die Leidenschaft für Spannung verbindet Jungen und Mädels jeden Alters. Am Kinderkrimitag am Messesamstag können junge Detektive an vielen Leseorten mitraten und mitfiebern. „Haste Töne?“ heißt es im Musikzimmer in Halle 4.  In Kooperation mit MDR Klassik zeigen Instrumentenbauer ihr Handwerk. Und auch das Gastland Schweiz lädt Nachwuchsleser mit der „Familien-Rallye Tour de Suisse“ zum Entdecken ein.

Familiensonntag auf der Leipziger Buchmesse. Foto: Archiv Detlef M. Plaisier
Familiensonntag auf der Leipziger Buchmesse. Foto: Archiv Detlef M. Plaisier

Eng wird es am Sonntag: Am traditionellen Familientag sollte man Zeit mitbringen und die Wunschtermine großzügig kalkulieren. Schon ab 9 Uhr gibt es auf der Magnolienallee der Glashalle ein Familienfrühstück (kostenpflichtig). Alle Kinder bis einschließlich 12 Jahre erhalten bis 10 Uhr freien Eintritt, wenn sie an der Kasse ihr Lieblingsbuch vorlegen.

Das komplette Programm „Leipzig liest für Kids und Teens“ ist in den Leipziger Buchhandlungen und an den Leseorten erhältlich.

Rezension: Lyonel Trouillot, Jahrestag

Unterschiedlicher könnten zwei Brüder nicht sein. Da ist Lucien, der nachdenkliche, strebsame Student, der von einem normalen, ruhigen Leben träumt. Sein Bruder, von allen nur „Der Kleine“ genannt, entscheidet sich für den Schulabbruch, Drogen, Waffen und ein aufregendes, gefährliches Leben. Beide suchen ihr Heil in den Slums der Hauptstadt Haitis, wohin sie aus dem zentralen Hochplateau gegangen sind, ihre blinde Mutter zurücklassend.

Quelle: litradukt.de

Schriftsteller und Literaturdozent Lyonel Trouillot, geboren in Port-au-Prince, lässt uns Leser in die reale und die gedankliche Welt seines Schützlings Lucien eintauchen. Es ist die Welt des ersten Januar 2004; keine fröhlich feiernde Neujahrswelt rund um den 200. Jahrestag der Unabhängigkeit, sondern der tödliche Kosmos der haitianischen Revolution. Dieser Sonntag beginnt mit dem Besuch Luciens bei der Arztfamilie seines debilen Nachhilfeschülers Alfred. Längst hat Lucien die reiche Fassade durchschaut, hinter der jede jeden belügt und betrügt. Die Diskrepanzen zwischen Luciens Gedanken und seinem Verhalten wären komisch, wenn sie nicht so notwendig wären: Sonntag ist Zahltag, Lucien braucht das Geld, das er durch die Nachhilfestunden verdient. Mit diesem Geld in der Tasche wird der Lebensmittelhändler unverhofft zum Engel, denn er schenkt Lucien eine ganze Packung Zigaretten. An anderen Tagen kann er sich gerade zwei oder drei einzelne leisten. Lucien und seine Zigaretten werden zu den ersten Helden des Tages unter den Komilitonen, mit denen er sich zum Demonstrieren vor dem Nationalpalast verabredet hat. Auf dem Marsch dorthin laufen die Dinge aus dem Ruder. Die Uhr des Kleinen tickt im Rhythmus von Crack. Luciens Uhr hat ausgetickt.

Lyonel Trouillot erzählt die Geschichte der zwei Brüder und der revolutionären Vorgänge auf Haiti in einer starken und wunderbar poetischen Sprache. Diese kontrastiert zu den drastischen Ereignissen, sodass ich mich als Leserin zugleich verbal verführt und politisch wachgerüttelt fühlte.

Ein schmales, sehr lesenswertes Bändchen!

Lyonel Trouillot, Jahrestag
Litradukt Literatureditionen, Trier 2012

Autorin: Mica Berlin

Vorankündigung: Vorfreude auf „32 Postkarten – Post aus Nazi-Deutschland“ im ACABUS-Verlag

Vor mir liegt eine kleine Pressemappe, die mich mehrfach berührt.

Cover „32 Postkarten“

Der ACABUS Verlag kündigt für März die Veröffentlichung des Titels „32 Postkarten – Post aus Nazi-Deutschland“ an. Der Autor Torkel S Wächter sammelt und kommentiert darin Postkarten, die er vor zehn Jahren im Nachlass seines Vaters in Stockholm fand. Sie betreffen ihn direkt: Es sind echt gelaufene Briefkarten seiner deutsch-jüdischen Großeltern aus Hamburg, die sie 1940/41 an den Sohn in Schweden schrieben. Die letzte Karte ging am Nikolaustag 1941 direkt vor dem Abtransport in ein Konzentrationslager auf die Reise. Heute erinnern zwei Stolpersteine in Hamburg an das Schicksal der Wächters.

Torkel S Wächter konnte die Karten nicht lesen. Sie waren in Deutsch geschrieben und in Sütterlinschrift. Er lernte Deutsch, forschte in Archiven und sprach mit Zeitzeugen. Er lernte Verwandte kennen und erfuhr, über was bisher geschwiegen wurde.  Der Autor versteht „32 Postkarten“ als ein Vermächtnis für die heutige Generation und hat die Dokumente in ein größeres Kunst- und Literaturprojekt eingebunden, für das er mit authentischem Material aus dem Dritten Reich arbeitet.

Ich bin betroffen: Als Postkartensammler, als Familienforscher und als Bürger, der hier in Leipzig gegen die neuen und alten Nazis aufsteht.

Ich wünschte, auch ich hätte so ein Erbe meiner Familie.

Ich bin gespannt auf die Veröffentlichung, die als Paperback und als E-Book erhältlich sein wird.

Eine Rezension erfolgt hier nach der Leipziger Buchmesse.

http://www.32postkarten.com

www.onthisday80yearsago.com/de/

www.acabus-verlag.de

Rezension: Iny Lorentz, Die Ketzerbraut

Der Roman spielt im München des 16. Jahrhunderts. Die Protagonistin ist Genoveva, genannt Veva Leibert. Sie ist die Tochter eines angesehenen Münchener Kaufmanns und zu Beginn der Handlung auf dem Weg nach Tirol, um dort den Sohn eines Handelspartners ihres Vaters zu heiraten. Doch sie und ihr Zwillingsbruder Bartl werden überfallen, dabei wird Bartl getötet und Veva von den Räubern entführt. Benedikt Haselegner schafft es, sie zu befreien und nach München zurück zu bringen, aber dort glaubt ihr niemand, dass die Räuber sie nicht missbrauchten.

Nun hat sie auf dem Heiratsmarkt an Wert verloren, doch ihr Vater arrangiert eine Ehe mit Ernst Rickinger, der als Weiberheld und Kirchengegner gilt. Veva hält nicht viel von ihm, muss sich aber fügen. Im Laufe der Zeit findet das ungleiche Paar zueinander, aber ihr Glück wird ihnen nicht gegönnt. Der Geistliche Portikus spinnt bereits Intrigen gegen Ernst, da dieser damals Pater Remigius demütigte. Außerdem kann sich Haselegner nicht damit abfinden, dass Veva einen anderen heiratete, da er sie selbst ehelichen möchte.

Quelle: Droemer Knaur
Quelle: Droemer Knaur

Der Roman ist in einer einfachen und gut verständlichen Sprache geschrieben. Es werden einige Begriffe verwendet, die heutzutage nicht mehr geläufig sind, doch diese werden im Glossar erklärt, sodass keine Verständnisschwierigkeiten auftreten. Außerdem sprechen einige Figuren bayrischen Dialekt und dies lässt den Roman schon in Bezug auf die Sprache realistisch wirken. Alles in allem begleitet und unterstützt die sprachliche Gestaltung den Inhalt gut.

Die Handlung ist schlüssig und gut verständlich. Es besteht zwar die Gefahr, mit einigen Namen durcheinander zu kommen, doch dafür hat man ein Personenverzeichnis.

Die Figurengestaltung ist gut gelungen, denn man kann sich gut in die Protagonisten hineinfühlen. Mit einigen Charakteren sympathisiert man sofort, z.B. mit Veva, die versucht, sich in einer männerdominierten Gesellschaft zurechtzufinden. Einige jedoch sind dem Leser auf Anhieb unsympathisch, z.B. Portikus. Mit Ernst wird der Leser erst mit der Zeit warm, sodass man die Entwicklung seiner Beziehung zu Veva gut nachvollziehen kann.

Fazit:

Es gibt nicht viel zu bemängeln, aber ein paar Kritikpunkte können gefunden werden.

Die Handlung und die Figurengestaltung sind in meinen Augen ein wenig zu klassisch, denn starke Frauen und arrangierte Ehen sind oft Themen in historischen Romanen, vor allem bei Iny Lorentz. Trotzdem ist der Roman nicht typisch romantisch, sondern an vielen Stellen spannend.

Ich würde es für all jene empfehlen, die starke Frauenfiguren, aber keinen Kitsch mögen. Ich selbst habe es mit Freude gelesen.

Iny Lorentz, Die Ketzerbraut. Knaur Taschenbuch Verlag

Autorin: Valerie Jülichmann

Rezension: Katharina Hacker, Die Erdbeeren von Antons Mutter

„Die Erdbeeren von Antons Mutter“ ist ein Roman von Katharina Hacker aus dem Jahre 2010. Es ist der Nachfolgeroman zu „Alix, Anton und die anderen“, aber eine in sich geschlossene Geschichte, die man durchaus auch lesen und verstehen kann, ohne das Vorgängerbuch gelesen zu haben.

Der Inhalt

Quelle: fischerverlage.de
Quelle: fischerverlage.de

Die Hauptakteure sind Anton, ein allein lebender Arzt, der in der Provinz aufwuchs und nun in Berlin seine Praxis hat, dessen Schwester Caroline und deren Eltern. Weitere wichtige Rollen spielen Lydia, die Anton durch einen Unfall kennen und lieben lernt, deren kleine Tochter Rachel sowie Rachels leiblicher Vater Rüdiger und dessen Weggefährte Martin.

Es geht im Buch um die voranschreitende Demenz von Antons Eltern und die Art, wie er als Sohn damit umgeht. Antons Eltern leben in einem kleinen Ort nahe Wolfsburg. Sie haben dort ein Haus und am anderen Ende des Dorfes einen kleinen Acker, auf dem Antons Mutter seit jeher Erdbeeren anpflanzt. Seit Anton aus dem Haus ist, hat sie jedes Jahr Erdbeermarmelade gekocht, sie in Gläser gefüllt und zu ihm nach Berlin geschickt. In diesem Jahr aber hat sie völlig vergessen, die Erdbeeren überhaupt anzupflanzen. Als Anton das sehr spät bemerkt, pflanzt er einfach heimlich noch Erdbeeren, ohne seine Mutter auf ihr Versehen hinzuweisen, und hofft mit Hilfe eines benachbarten Gärtners, dass doch noch schöne Früchte heranreifen.

Die Autorin erzählt parallel zu der Geschichte über die voranschreitende Demenz der Eltern in Calberlah die Geschichte um Antons Leben in Berlin, wo er als Arzt praktiziert. Eines Tages rennt er aus Versehen eine Radfahrerin um und verliebt sich sofort in sie. Lydia ist auch Ärztin und alleinerziehende Mutter der kleinen Rachel. Der Vater des Mädchens ist Rüdiger, ein ehemaliger sehr egozentrischer Fremdenlegionär, der Lydia und seine Tochter, die er nie sehen durfte, einfach nicht vergessen kann. Ebenso ergeht es Rüdigers Weggefährten aus der Fremdenlegion.  Martin ist auch vernarrt in Lydia und wird im Verlauf der Geschichte zu einem Schatten von Anton und Lydia.

Katharina Hacker stellt gegenüber, wie sich die Liebesgeschichte zwischen Anton und Lydia immer weiter entwickelt und wie gleichzeitig die Demenz von Antons Eltern weiter voran schreitet. Antons Mutter würde nur zu gern die Frau in Antons Leben und das Kind endlich kennen lernen, aber Anton selbst hält das für zu früh. Er ist sich nicht sicher, was das mit Lydia nun genau ist und ob sie überhaupt eine feste Beziehung mit ihm eingehen will. Mit der Zeit merkt auch Antons Mutter selbst, wie vergesslich sie geworden ist. Sie reflektiert ihr Leben, denkt viel an eine nicht erfüllte Liebe und an einige schöne Momente in der Vergangenheit zurück. Der Leser erlebt viele Situationen, in denen das Vergessen gnadenlos über Antons Mutter hereinbricht.

Im weiteren Verlauf der  Geschichte kommt Antons Schwester Caroline aus Amerika zurück, weil sie befürchtet, dass ihre Eltern nicht mehr ohne ihre Hilfe leben können. Im Inneren hofft sie, wieder fliegen zu können, aber die Situation in Calberlah erfordert dringend ihren Heimatbesuch nach vielen Jahren im fernen Amerika.

Es wird sehr gut beschrieben, wie sehr es Anton zu schaffen macht, wie ihm seine eigene Mutter entgleitet und fremd wird.  Er möchte gern für die Eltern da sein, hat aber auf der anderen Seite noch sein eigenes Leben in Berlin mit seiner Praxis, seinem Freundeskreis und natürlich mit Lydia und ihrer Vergangenheit, die so vehement ins Leben der beiden Einzug hält. Insgeheim schmiedet er schon Pläne von einer gemeinsamen Zukunft mit ihr und der kleinen Rachel. Ihm fällt allerdings auch Martin immer mehr auf, der nicht nur Lydia, sondern auch ihn beobachtet und ständig verfolgt. Stress und Sorgen fordern ihren Tribut und Anton bekommt gesundheitliche Probleme. Er wird auch immer wieder mit dem Tod konfrontiert.

Am Ende der Geschichte machen sich fast alle Beteiligten auf den Weg zu dem Erdbeeracker, wo plötzlich sehr viele Schnecken auftauchen, die langsam vor sich her kriechend fast alle Erdbeeren vernichten konnten, noch bevor die Familie den Acker erreichte. Ich finde dieses Bild unheimlich treffend gewählt. Auch die Demenz von Antons Eltern kriecht langsam vor sich hin und zerfrisst am Ende den Menschen, der nach und nach vergisst, sowie all die Menschen in dessen Umfeld, die das miterleben müssen.

Mein Urteil
Mich als Leser macht das Buch sehr betroffen. Ich selbst helfe meiner Großmutter, die von Monat zu Monat mehr vergisst, und kann mich dadurch sehr gut in Antons Lage versetzen.

Zwei Zitate von Martin möchte ich gerne an dieser Stelle wiedergeben, weil sie so treffend und berührend waren:

„Sie schaut dich bloß an, weißt du? Sie schaut dich an und denkt nach. In ihrem Kopf ist alles dunkel.“
„Wenn wir sterben, ist alles weg, klar. Aber sie lebt. Und egal, was ihr passiert in ihrem Leben, sie erinnert sich nicht mehr daran.“

Einige Kleinigkeiten hab ich allerdings auch zu bemängeln:

Die Handlung ist nicht kapitelweise aus Sicht einer Person beschrieben, sondern wechselt teilweise von Absatz zu Absatz wild hin und her. Ich habe oft nochmals ansetzen müssen, um genau zu wissen, um wen es gerade geht.

Einige Dinge sind doch sehr weit hergeholt. So verfolgen in einer Szene Martin und ein vor Wut rasender Rüdiger Lydias Auto mit Anton und dem Kind an Bord auf der Autobahn, und plötzlich findet Rüdiger zufällig eine Waffe unter seinem Sitz, mit der er aus dem Fenster auf einen fremden LKW schießt…

Für meinen Geschmack ist Lydias Rolle zu dramatisch ausgeschmückt. Eine alleinerziehende Ärztin, der ein Alkoholproblem und eine Depression zugeschrieben werden, und ein Kindsvater, der als ausgebrannter Kriegsheld kaltblütig Menschen ermordet hat und nun mit Bad Boy Image seiner Exfreundin und dem Kind nachstellt, sind so nicht nötig für die Kernaussage des Buches und machen es langatmig.

Insgesamt finde ich, dass dieses Buch absolut lesenswert ist und einige tief bewegende Szenen enthält, die zum Nachdenken anregen.

Katharina Hacker, Die Erdbeeren von Antons Mutter
S. Fischer Verlag, 2010

Autorin: Sarah Czerwa