Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – Dieses Buch sollte Pflichtlektüre werden

In dem Buch geht es um die Freundschaft des Deutschen Martin und des Juden Max. Diese haben in den USA gemeinsam einen florierenden Handel von Kunstwerken aufgebaut. Anfang der 1930er Jahre geht Martin zurück nach Deutschland. Während er erst dem neuen System sehr misstrauisch gegenübertritt, ändert sich dies innerhalb weniger Monate. Er wird zu einem glühenden Verfechter der Naziideologie und lässt dies auch seinen jüdischen Freund spüren. So bittet er diesen, die Geschäftspost nicht mehr zu ihm nach Hause, sondern direkt an die Firma zu senden. Als die Schwester von Max bei Martin Zuflucht sucht und ihr diese verwehrt wird, beschließt Max, sich an seinem früheren Freund auf ganz raffinierte Weise zu rächen. Wie die Geschichte ausgeht, wird hier natürlich nicht verraten, denn Sie sollen das Buch ja schließlich selbst lesen.

Während andere bekannte Bücher über die Nazizeit, beispielsweise „Die Blechtrommel“ oder „Die Welle“, erst Jahrzehnte später geschrieben wurden, verfasste Katherine Kressmann Taylor dieses Buch bereits im gleichen Jahrzehnt, genauer gesagt im Jahr 1938. Sie konnte dabei auf reelle Briefe zurückgreifen. Das Buch „Adressat unbekannt“ wurde in den USA zu einem absoluten Kassenschlager. Sicher haben sich auch einige Leser dieses Buch zu Herzen genommen und sich ebenfalls an so manchem deutschen Nazimitläufer gerächt. Verübeln könnte man es ihnen nicht.

Da das Buch gerade einmal 62 Seiten hat, eignet es sich hervorragend als Lektüre für den Schulunterricht. Auch „lesefaule“ Schüler, die nicht gerne dicke Wälzer lesen, sollten mit der Lektüre dieses Buches nicht überfordert sein. Absolut lesenswert ist auch das Nachwort von Elke Heidenreich. Sie bringt den Inhalt des Buches noch einmal kurz und prägnant auf den Punkt.

Mein Mann arbeitet als Lehrer bei der Bundeswehr. Irgendwann kam dort das Gespräch auf die Umerziehung von Menschen. Viele seiner Schüler konnten es sich nicht vorstellen, wie sich das Gedankengut eines einzelnen Menschen binnen weniger Monate so grundlegend wandeln kann. Bis sie dann dieses Buch gelesen haben …

Autorin: Susann Heinze-Wallmeyer

Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – Es gibt auch heute noch diesen Keim

Adressat unbekannt – so der Titel – der sichtbar, auf dem unscheinbaren Bild, mit einem Brief an eine deutsche Adresse gerichtet ist. Der Brief verrät durch seinen Stempel, dass sein Schreiber aus San Francisco kommt und dass der Brief schon sehr alt ist. 12. November 1932. 1932? Ein, zwei Gedanken weiter… also ein Buch über Antisemitismus. Ich fange an zu lesen.

Nach kurzer Orientierung stelle ich fest, dass hier ein sich wiederholender Schriftwechsel abgedruckt ist. Ist das spannend? Ich kenne weder die Leute noch habe ich von diesen je etwas gehört. Ich bin aber trotzdem neugierig und will die Briefe lesen, sind sie doch so voll Zuneigung zwischen zwei Menschen. Die ersten Briefe geben Orientierung. Ich weiß nun, wer was macht und wo wer wohnt. Jetzt könnte aber was passieren und in der Tat, der Tonfall ändert sich von jetzt auf gleich in den Briefen. Plötzlich stößt er durch die Erde, der Keim, von dem wir alle wissen, dass er zu einem Monster, ja zu einer Fratze des Bösen herangewachsen ist. Eine Fratze, die bis heute noch Leute in ihren Bann zieht, welche den Holocaust leugnen und damit wieder Mitläufer aus allen Gesellschaftsschichten findet. Dieser Keim scheint vor Kraft nur zu strotzen und er scheint auf nahrhaftem Boden zu stehen.

Jeder Brief wird schärfer. Wo ist die Zuneigung der Briefeschreiber geblieben? Sie waren doch Freunde, Geschäftspartner, die sich blind vertrauten. Nicht mal Belege über Buchungen wollte man voneinander sehen. Die Geldeingänge stimmen schon… und plötzlich will man keinen Kontakt mehr? Nicht nur, weil die Gefahr droht, entdeckt zu werden, wenn man mit einem Juden etwas zu tun hat, nein – aus Überzeugung! Welch ein Wandel, den der Leser hier über sich ergehen lassen muss und gegen den er nichts unternehmen kann. Ich selbst bin gefesselt, will aufschreien, warnen und meine Entrüstung öffentlich bekannt geben und kann und muss einfach das Buch doch einfach nur zu Ende lesen. Bis das Ende eingeleitet wird – Adressat unbekannt – ein Brief kommt zurück. Und doch wird es hier genau noch einmal spannend. Denn es wird noch ein weiterer Brief mit dem Stempel „Adressat unbekannt“ zurück gesendet in das freie Amerika. Der Brief, der an Martin gerichtet war, die Person, die mit einem Juden sehr gut und eng befreundet war und gute Geschäfte machte und dann nicht mehr liberal auftrat, sondern die NS-Zeit gelebt hat und voller Überzeugung war.

Zu viele haben damals weg geschaut. Doch hätte ich meine Stimme zu dieser Zeit damals erhoben? Wäre ich mutig genug gewesen?

Es gibt auch heute noch diesen Keim, der in der Erde schlummert und nur auf etwas Wasser wartet, um dann empor zu sprießen. Darum: Wehret den Anfängen und tauscht den Samen aus! Denn nur wer Liebe sät, wird diese mit Gerechtigkeit gekreuzt ernten.

Autor: Holger Micklitza Graf von Andechs

Rezension: Ursula und Katrin Busch, Zurück nach Ägypten – ein enttäuschender Tatsachenbericht

Selbst in Ägypten lebend, war ich mehr als enttäuscht von „Zurück nach Ägypten“ von Ursula und Katrin Busch.

Quelle: weltbild.de
Quelle: weltbild.de

Die „wahre Geschichte“, so der Untertitel, handelt von einer Mutter und ihrer Tochter. Sie betreiben im ägyptischen Hurghada ein Hotel. Die Tochter wird von einem Ägypter ausgenutzt. Eine typische Bezness¹-Geschichte, möchte man fast unterstellen. Auf der anderen Seite beteuert die Mutter im Buch, Ägypten zu lieben, stellt die Menschen aber ständig als Nichtsnutze, Lügner und Betrüger dar. Man spürt genau, dass sie keinerlei Sympathie zu Religion, Kultur, Menschen und Land aufbringt. Sie wirkt sehr überheblich, das Buch wirkt oberflächlich. Ihre ständigen Pauschal-Urteile machen „Zurück nach Ägypten“ sehr langweilig.

Selbst kurze Abschnitte zur Schönheit von Land, Pyramiden, den Tempeln und dem Nil können nicht darüber hinwegtrösten. Es wirkt einfach nicht ehrlich. Vielmehr hat man das Gefühl, dass sie mit einem persönlichen Rachefeldzug gegen einen mutmaßlich betrügerischen Ägypter Geld verdienen möchte.

Interessanter wäre die Geschichte aus Sicht der betroffenen Tochter. Sie war zum Zeitpunkt der Geschichte 40 Jahre alt. Man bekommt aber den Eindruck, es handle sich um ein naives Mädchen, welches von der Mutter geschützt werden muss.

Aber nicht nur inhaltlich überzeugt dieses Buch nicht. Es ist voll von Grammatik- und Rechtschreibfehlern. Es wird nur versucht, ein sehr negatives Bild von Ägypten zu zeichnen. Deswegen ist „Zurück nach Ägypten“ auf keinen Fall empfehlenswert.

¹ Bezness ist ein Kunstwort, hergeleitet vom englischen Wort „business“. Es beschreibt das Geschäft mit den Gefühlen von Frauen, meist europäischen Frauen. Bezness ist das Vorspielen von Gefühlen zum Zwecke der eigenen Vorteilsnahme, finanzieller oder materieller Art. Bezness geht einher mit der Vorspiegelung einer festen Beziehung und allzu oft mit der Vision einer gemeinsamen Zukunft. Bezness kommt überall dort verstärkt vor, wo „reicher“ Tourist auf ärmere Einheimische trifft. Sind z.B. in Thailand, Brasilien, Dominikanische Republik oder Kuba vorwiegend die männlichen Touristen Ziel der Begierde einheimischer Frauen, sind europäische Frauen eher in Ländern wie Ägypten, Tunesien, Kenia und der Türkei Ziel der einheimischen Männer. (Quelle: http://www.reiseinfo-tuerkei.de/Tuerkei/bezness.htm)

Ursula und Katrin Busch, Zurück nach Ägypten: Eine wahre Geschichte
Verlag Kern Bayreuth, 1. Auflage 2010

Autorin: Michaela Marx, Kairo
info@egytext.de
www.egytext.de

Link zum Buch: http://amzn.to/1kXSs9m

Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – Geschichte darf sich nicht wiederholen

Eines der bekanntesten Werke, die an die Zeit des Zweiten Weltkrieges erinnern, ist zweifelsohne “Das Tagebuch der Anne Frank”. Ein erschütterndes Werk, welches in 55 Sprachen übersetzt wurde und heute eine Auflage von sagenhaften 20 Millionen Exemplaren erreicht hat.

Es ist nicht nur ein Mahnmal an die Gräueltaten des Holocaust, den propagierten Antisemitismus und den Völkermord an mindestens 5,6 bis 6,3 Millionen Juden – darüber hinaus ist es auch über 60 Jahre später noch ein Zeichen gegen das Vergessen.

Dass gerade die Erinnerung so wichtig ist, dokumentieren immer wiederkehrende sowie bestehende rechtsextremistische Strömungen, aber auch die Unwissenheit heutiger Jugendlicher und die damit verbundene Gleichgültigkeit.

So liest Birge Tramontin

Aber auch das Unverständnis, wie es dazu kommen konnte, wirft viele Fragen auf. Antworten darauf gibt es im Werk von Kressmann Taylor “Adressat unbekannt”. In dem fast unscheinbaren, kleinen Buch wird auf nur 62 Seiten der Briefwechsel zwischen dem amerikanischen Juden Max Eisenstein und dem Deutschen Martin Schulse in der Zeit von 1932 bis 1934 beschrieben. Ohne näher auf geschichtliche Fakten einzugehen, wird von Brief zu Brief mit einer eindrucksvollen Dynamik die veränderte Beziehung bis hin zum Ende der einstigen Freundschaft geschildert.

Auf der einen Seite ist Max Eisenstein, der mit wachsender Sorge die politischen Veränderungen in Deutschland beobachtet. Auf der anderen Seite steht Martin Schulse, welcher nach seiner Rückkehr schnell in den Einfluss von Hitlers Politik gerät und dadurch nicht nur zum Mitläufer, sondern auch zum Verfechter antisemitischen Gedankengutes wird.

Auf die Frage, wer eigentlich Adolf Hitler ist, antwortet der deutsche Geschäftsmann: “Um die Wahrheit zu sagen, Max, glaube ich, dass Hitler in einiger Hinsicht gut für Deutschland ist, aber sicher bin ich nicht.” Er beschreibt ihn als elektrischen Schock, anfangs noch mit verhaltenen Zweifeln an der Entwicklung und der Leitidee. Doch bereits der nächste Brief entlarvt ihn als treuen Mitläufer, der völlig eingenommen von der Ideologie des Nationalsozialismus ist und die Juden als Schandfleck tituliert. Martin ist keine Einzelperson dieser Zeit – für den Leser steht er als Symbol für Millionen Deutscher.

Obgleich die Freundschaft längst zerbrochen ist und der Kontakt nur noch auf geschäftlicher Ebene basiert, appelliert der einstige Freund Max aus dem fernen Amerika im November 1933 voller Angst an Martin, sich um seine Schwester Griselle zu kümmern. Diese trat in einem Berliner Theaterstück auf, wurde als Jüdin enttarnt und war seither auf der Flucht.

Die Antwort von Martin beginnt nicht nur mit “Heil Hitler” – in einer schockierenden Gleichgültigkeit, aber auch Schonungslosigkeit berichtet er in wenigen Sätzen fern jeder Anteilnahme vom Tod Griselles. Diese hatte Zuflucht bei ihm, dem einstigen Freund sowie Geliebten gesucht und wurde gleich im Anschluss an sein Wegschicken durch dessen Mitschuld von der SA ermordet. Der Brief an sie kehrt mit dem Vermerk “Adressat unbekannt” an den Bruder zurück, an diesem Punkt dringt das Motiv erstmals durch.

Obwohl ich nur einen kurzen Blick in das Buch werfen wollte, habe ich es seit dem Zeitpunkt nicht mehr aus den Händen gelassen. Nach einer kontinuierlich ansteigenden Dramaturgie erreicht es einen neuen Höhepunkt. Denn Max rächt sich auf sehr subtile Weise: Die weiteren Briefe adressiert er entgegen Martins Weisung an dessen Privatadresse und versieht sie mit geschickten Zahlen sowie verschwörerischen Aussagen. Sehr wohl wissend, dass er damit die Aufmerksamkeit der Zensur erregt.

Es mutet schon unerträglich an, als Martin voller panischer Angst daraufhin an die alte Freundschaft appelliert und um Verständnis für sein Handeln bettelt. Vergebens – schon der zweite Brief danach wird mit dem Vermerk “Adressat unbekannt” zurückgesandt.

62 Seiten, die bewegen und zum Nachdenken anregen.

62 Seiten, die eindrucksvoll vermitteln, wie Millionen Deutsche als Mitläufer oder indem sie die Augen verschlossen ebenfalls zu Tätern wurden.

62 Seiten mit einer Botschaft: Die Geschichte darf sich nicht wiederholen!

Autorin: Birge Tramontin

Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – Die Freundschaft war nur ein Trugschluss

Am Anfang der Geschichte schreiben sich die beiden Freunde Max und Martin sehr liebevolle Briefe, die den Leser auf eine innige Freundschaft zwischen den beiden Männern schließen lassen. Doch am Ende der Geschichte haben sie sich und ihre Freundschaft verraten. Wie konnte es dazu kommen? Zu einfach wäre es, ausschließlich die äußeren Umstände dafür verantwortlich zu machen. Vielmehr wirft die Entwicklung von einer liebevollen Freundschaft zu einem feindseligen Umgang miteinander die Frage auf, ob es sich wohl jemals um echte Freundschaft zwischen Max und Martin gehandelt hat. Denn für sowohl Max als auch Martin war ihre Freundschaft von gegenseitigem Nutzen geprägt. Max, der ansonsten vielleicht eher einsam war, fühlte sich bei Martins Familie heimisch. Martin hatte eine Affäre mit der Schwester von Max, und schließlich waren die zwei erfolgreiche Geschäftspartner. Vordergründig fühlte sich die Verbindung zwischen Max und Martin vielleicht an wie eine Freundschaft, doch in Wahrheit war sie nur ein Trugschluss. Nach dem Umzug Martins aus den USA nach Deutschland hebt sich der Nutzen der Freundschaft zwischen den beiden Männern auf. Die scheinbar intimen Briefe sind nur noch ein schönes Nachgeplänkel ohne Substanz. Denn als es darauf ankommt, sind sie nicht füreinander da.

Autorin: Eva Rakel

Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – ein Buch, das mich in den Bann zieht

Als ich das Buch „Adressat unbekannt“ in den Händen hielt, war mein erster Gedanke: „Och nee, nicht schon wieder ein Holocaust-Buch“. Doch dann habe ich angefangen zu lesen und dieser Gedanke war schnell verflogen. Das Buch zog mich in seinen Bann, obwohl es nur knapp 55 Seiten lang ist.

Anfang der 1930er Jahre kehrt ein Deutscher aus den USA nach Deutschland zurück und tauscht mit seinem jüdischen Geschäftsfreund, ebenfalls ein Deutscher, der in den USA geblieben ist, um die gemeinsame Galerie weiterzuführen, Briefe aus. Briefe, die von einer tiefen Freundschaft und Vertrautheit erzählen. Auch die Veränderungen in Deutschland kommen in den Briefen nach und nach zur Sprache und werden von dem Rückkehrer zunächst sehr skeptisch beurteilt. Doch dann lässt er sich in die braune Gedankenwelt hineinziehen, bis er sich ihr schließlich mit großer Begeisterung anschließt. Die Freundschaft zu seinem ehemaligen Geschäftspartner verleugnet er. Er beschimpft ihn und verbietet ihm sogar, weiter Briefe zu schreiben. Nichts bleibt mehr von der heiteren und sorglosen Freundschaft.  Ein Wandel, den der Leser in erschreckender Weise miterlebt. Als die Schwester des jüdischen Geschäftspartners in Deutschland auf der Flucht vor der SA Hilfe braucht, verweigert der Rückkehrer  diese, rechtfertigt sich mit selbstgerechten Sprüchen und hat die Stirn zu behaupten, sie sei als Jüdin schließlich selbst schuld an ihrem Schicksal. Spätestens an dieser Stelle ist man versucht, durch die Seiten in das Buch zu springen und ein paar kräftige Ohrfeigen auszuteilen.

Nun könnte man glauben, dass die Geschichte so ausgeht, wie man es von Büchern mit diesem Thema gewohnt ist, doch weit gefehlt. Der jüdische Geschäftspartner in den USA verzeiht seinem ehemaligen Freund diesen ultimativen Verrat nicht und rächt sich. Er fängt an, seinem ehemaligen Geschäftspartner Briefe und Telegramme mit wirrem Inhalt zu schreiben, die darauf hinzudeuten scheinen, dass der deutsche Rückkehrer in eine Verschwörung verstrickt ist. Die Briefe werden von der Zensur abgefangen, und es kommt, wie es kommen muss. Der neue Nazi verliert den Rückhalt seiner neuen Freunde und verliert alles. Jetzt aber erinnert er sich plötzlich an die alte Freundschaft und appelliert an den ehemaligen Freund, ihn zu verschonen. Der denkt jedoch gar nicht daran. Der letzte Brief aus den USA kann schließlich nicht mehr zugestellt werden, weil der „Adressat unbekannt“, also vermutlich verhaftet ist.

Obwohl es so kurz ist, geht dieses Buch weit mehr unter die Haut als dickere Bücher und kluge Abhandlungen, denn „Adressat unbekannt“ erzählt die bekannte Geschichte sehr verdichtet. Gleichzeitig wird auf diese Weise deutlich, was die braune Ideologie alles zerstört hat. Und trotzdem ist man als Leser am Ende des Buches zufrieden, weil wenigstens einer der Mitläufer für seine Taten büßen musste und seine gerechte Strafe bekommen hat.

Autorin: Yvonne Giebels

Letzter Tag der Leipziger Buchmesse 2012

Heute ist Großkampftag. Die Buchmesse wird friedlich überfallen von Anime- und Mangafans. Fotos der phantasievollsten Kostüme habe ich hier zusammengestellt.

Bevor es in die Hallen geht, stoppe ich noch am Stand von 3sat. Ab 16. April veranstaltet 3sat eine Themenwoche „Hauptsache Fortschritt?“. Zuschauer konnten über die 20 größten Fortschritt-Flops abstimmen, darunter Atomkraft, Roboter und Sommerzeit. Ich bin auf das Ergebnis gespannt – also einschalten!

Der Tag beginnt dann entspannt im Österreich-Kaffeehaus (Halle 4, E 206) mit Wiener Melange und Croissant (EUR 5). Die Oase im Messetrubel hätte ich gern früher entdeckt. Zum Kaffee stellt Eric Adler sein neues Buch „Schlüsselfaktor Sozialkompetenz“ vor.

Der österreichische Trainer und Autor beklagt das Auseinanderbrechen unserer Gesellschaft und einen eklatenten Mangel an Sozialkompetenz. Die Ursachen benennt Adler klar und schonungslos: Menschen könnten nicht mehr miteinander reden. Die Weitergabe sozialer Kompetenzen an die jeweils nachfolgende Generation sei nahezu gestoppt, das Modell des offenen Generationenhauses habe ausgedient. Einzelkinder offenbarten einen erschreckenden Mangel an sozialer Verantwortung und Kompetenz. So sei es einfach uncool, sich mit Behinderten zu beschäftigen. Und auch den Medien hält Adler einen Spiegel vor: Wer irreführende Rollenmodelle immer wieder herausstelle, die den Lügner und Kriminellen als Erfolgsfaktor präsentieren, der sei für den Mangel an Sozialkompetenz mitverantwortlich.

Sozialkompetenz definiert Adler überraschend simpel als „die Fähigkeit, mit sich und seinem Umfeld zurecht zu kommen“. Und das, so Adler, könne man messbar und nachhaltig lernen, wenn man mental dazu bereit sei. „Das kostet Zeit, Nerven und auch Geld“, warnt Adler allzu schnell Begeisterte. Ein mal eben eingestreutes Wochenendseminar reiche da nicht aus. „Und so mancher wird dabei Dinge entdecken, die er eigentlich gar nicht von sich wissen wollte.“ Adler begleitet seit vielen Jahren Unternehmen und ihre Mitarbeiter erfolgreich auf diesem Weg. Zusätzlich hat er eine Initiative ins Leben gerufen, um Sozialkompetenz als fächerübergreifenden Unterrichtsgegenstand an Schulen zu fördern. In Leipzig ist das Institut Gräske Bildungspartner der Adler Social Coaching® Methode.

Im privaten Gespräch gibt mir Eric Adler einen Tipp für meinen Alltag: „Betrachten Sie einfach die täglichen kleinen Quälgeister als kostenlose Sparringspartner“. Wenn jemand schlecht über mich redet, mich rhetorisch herausfordert oder Aggressionen zeigt, sei dies eine prima Übungseinheit für meine eigene Sozialkompetenz. „Seien Sie dem Gegenüber dankbar – und genießen Sie dann Ihren Erfolg genauso wie einen Gang ins Fitnessstudio“.

(Eric Adler, „Schlüsselfaktor Sozialkompetenz“, Econ Verlag, ISBN: 978-3430201292, Link zu Amazon hier)

Im vergangenen Jahr hatte ich die Premierenlesung des EPIDU-Verlages journalistisch begleitet. Auch dieses Jahr lud der Aachener Verlag wieder zu einer Lesung in das Restaurant Stein ein und stellte die neuen Verlagsautoren vor. Vor leider sehr übersichtlicher Kulisse lasen am zweiten Messetag Eva Manuela Jungmann und David Michael Rohlmann Proben aus ihren Debutwerken. Zusätzlich wurden mit einer aus dem Englischen übersetzten Anthologie von Schriftstellern aus Hong Kong und einer Sammlung von Werken indischer Frauen zwei ausländische Akzente im Programm von EPIDU gesetzt.

Im Gespräch zeigte sich Geschäftsführer Thanh Cao Nguyen sehr zufrieden mit der Entwicklung des letzten Jahres. Das Konzept des Lektorentisches, wodurch die EPIDU-Community direkt Einfluss auf die publizierten Werke nimmt, habe sich bewährt. Große Verlage schauten zunehmend auf das interne EPIDU-Ranking und forderten die Manuskripte der Autoren an. Auch das innovative Modell der E-Book-Cards gehe jetzt in eine neue Phase. Ein Testverkauf in fünf Buchhandlungen soll dem bundesweiten Vertrieb vorgeschaltet werden. Als Partner konnten bereits unter anderem Klett-Cotta, Bastei Lübbe, Herder und Carl Hanser gewonnen werden.

Und jetzt hinaus in die wunderbare Leipziger Frühjahrssonne! Am Abend rundete eine Tandemlesung der Leipziger Autoren Karsten Kruschel und Sina Hawk meine positive Bilanz der Leipziger Buchmesse 2012 ab.

Ich bin sehr dankbar für viele menschliche Begegnungen in den vier Tagen der Buchmesse. Manche haben mich lächeln lassen, andere hinterließen mich nachdenklich. Ich freue mich jetzt auf viele Leseerlebnisse und Rezensionen.

Wir sehen uns auf der Leipziger Buchmesse 2013 vom 14.-17. März!

Zweiter Tag der Leipziger Buchmesse 2012

Los geht’s in einen sonnigen Frühlingstag!

Mein Tag beginnt auf dem „Blauen Sofa“ in der schon früh überhitzten Glashalle – nein, nicht darauf, (leider) nur davor. Angekündigt ist Olga Grjasnowa mit ihrem Roman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“. Vorher lerne ich eine ältere Dame aus Bottrop-Kirchhellen kennen. Sie erzählt mir begeistert von ihrer Arbeit in einer evangelischen Bücherei, wo sie auch die Bücher einkaufen darf – allerdings nicht alles. Bei bestimmten Themen habe das Grenzen – zu ihrem Verdruß: „Ich bin nicht mehr jung, aber schmerzfrei.“ Um die Leser zu begeistern, verfasst die Dame eigene kleine Rezensionen, die sie in einer Kladde liebevoll zusammenfasst. Ich darf hineinschauen – und ich bin begeistert! Die würde ich glatt hier einstellen! Und weil der lesebegeisterten Dame Leipzig so gut gefällt, hat sie mit ihrer kleinen Reisegruppe (ausschließlich Damen) schon bis 2014 die Buchmesse im Motel One an der Nikolaikirche gebucht.

Und das war’s auch schon, was zu den 30 Minuten mit Olga Grjasnowa zu berichten ist. Die Moderation von Barbara Wahlster kippte mit zunehmender Länge in peinliche Verlegenheit. Schade drum, dass die menschliche Seite von Olga Grjasnowa so gänzlich auf der Strecke blieb (Rezension folgt).

Wie schon gestern, nutze ich den frühen Vormittag zu Besuchen bei ausländischen Ständen. 2012 ist die Ukraine gemeinsam mit Polen Ausrichter der Fussball-EM. Grund genug, einmal auf dem Stand der Ukraine vorbeizuschauen. Ich treffe Lidia Lykhach von RODOVID Press (Halle 4 / E 503). Sie ist im ersten Jahr in Leipzig und besucht sonst die Frankfurter Buchmesse. Ja, es gebe große Unterschiede: „Hier wollen die Menschen über Bücher reden. In Frankfurt geht es nur ums Verkaufen.“ Viele Deutsche, so ihr Eindruck, kennen die Ukraine aus dem Urlaub und beklagten in diesem Jahr die hohen Hotelpreise zur Fussball-EM. Die Bücher am Stand werden nach der Buchmesse an die Deutsche Nationalbibliothek und an Leipziger Bibliotheken übergeben.

Überraschend treffe ich auf einen Stand „Arabischer Frühling“. Er wird betreut von zwei jungen Männern aus Syrien, die beide schon mehrere Jahre in Deutschland leben. Auf dem Stand wird über die Freiheitsbestrebungen in der arabischen Welt mit Schwerpunkt Syrien informiert. Dort, so die beiden Männer, finde zurzeit die einzige wirkliche Revolution im arabischen Raum statt. Als Material gibt es Bücher, Zeitschriften und CDs, die überwiegend von Studenten in Deutschland hergestellt werden. Das Interesse sei „groß“, berichten beide erfreut.

Wer Lesen lieben lernen will, muss früh gefördert werden. Dafür gibt es zahlreiche Bestrebungen von Institutionen. Eine der attraktivsten, obwohl erst im vierten Jahr, ist die Aktion „Lesekünstler des Jahres“. Ziel der Initiative des Börservereins ist es, eine Empfehlung für besonders gute Autorenlesungen an Buchhandlungen und Schulen zu geben und gleichzeitig auf Sortimenter einzuwirken, verstärkt Veranstaltungen zur Leseförderung anzubieten.

Lesekünstler des Jahres 2012 ist Ingo Siegner aus Hannover (Grüße in meine Heimatstadt!), bekannt geworden durch seine Figur „Der kleine Drache Kokosnuss“. Der Autor und Illustrator geht etwa zwei Monate im Jahr auf Lesereise. Erstaunlich, wo doch im elterlichen Haushalt kaum Bücher vorhanden waren und der Weg immer zum belesenen Kumpel führte.

Siegner, Jahrgang 1965, überzeugte die Jury durch seine besondere Fähigkeit, sich auf kleine Zuhörer einzustellen. „Seine Lesungen sind lebendiges Kino“, so die Jury-Vorsitzende Irmgard Clausen. Davon konnten sich die Zuhörer bei der Preisverleihung dann selbst überzeugen. Siegner las vor, erzählte, zeichnete und begeisterte jeden erwachsenen Zuhörer. Als Preis erhielt er einen Strickschal, gefertigt von 12 Kindern eines Leseklubs aus einer Grundschule in  Wermelskirchen. Die Zeichnung, die während der Lesung spontan entstanden war, sicherte sich eine Zuhörerin für eine Bibliothek in Südtirol.

Täglich zur Mittagszeit um 13:00 gibt Wolfgang Tischer, Herausgeber von literaturcafe.de, im Forum leipzig.liest.digital (Halle 5, B 600) Autoren gezielte Tipps für ihre Arbeit. Heute berät er zum Umgang mit Journalisten. Seine Tipps, punktgenau und schonungslos ehrlich, hier zusammengefasst:

Wenden Sie sich nicht wahllos an Medien. Recherchieren Sie genau, welches Medium für Ihr Genre und Ihr Anliegen passt.

Jeder Autor sollte in einem Satz sagen können, wer er ist und was er schreibt.

Eröffnen Sie keine Nebenkriegsschauplätze. Konzentrieren Sie sich auf Ihr Kerngeschäft, das Sie beherrschen.

Seien Sie nicht überrascht oder enttäuscht, wenn der Journalist Ihr Buch nicht gelesen hat. Fragen Sie ihn offen danach. Das nimmt beiden Seiten die Spannung.

Sorgen Sie schon vor dem Gespräch dafür, dass ausreichend positive Informationen im Netz über Sie bereit stehen.

Reagieren Sie geduldig auf Standardfragen, die Sie schon hundertmal beantwortet haben.

Seien Sie nicht enttäuscht, wenn es doch nicht zu einer Veröffentlichung kommt. Nutzen Sie den gewonnenen Kontakt für Ihr weiteres Marketing.

In der LVZ-Autorenarena (Halle 5 / A 100) treffe ich Andrea Maria Schenkel. Sie hat nach ihrem Sensationserfolg „Tannöd“ mit „Finsterau“ wieder einen Kriminalfall aus dem hintersten Winkel des Bayrischen Waldes vorgelegt; diesmal nur ein schmales Bändchen von gerade mal 125 Seiten. „Ich packe am Anfang viel rein, blähe es richtig auf, und dann reduziere ich“, erklärt sie dazu.  Die ursprünglichen Versionen werden zur Arbeitserleichterung aufbewahrt, so dass es auf dem Arbeitscomputer viele Finsteraus gibt.

In „Finsterau“ zeigt Andrea Maria Schenkel ihre Sprachgewalt auf ganz besondere Weise: Sie entreißt Wörter dem drohenden Vergessen, die ihre Großmutter verwendet hatte und die nun selbst im abgeschlossenen Sprach- und Kulturraum des Bayrischen Waldes mehr und mehr verschwinden. „Ich habe nun mal Spaß am Klang“, sagt die Autorin, „und zu einer authentischen Sprache meiner Figuren gehören auch deren ganz eigene Worte“. Dafür liest sich Andrea Maria Schenkel die geschriebenen Sätze wieder und wieder laut vor, „denn nur so kann ich erkennen, ob ein Text hohl ist oder stimmig.“ (Rezension folgt)

Der Tagesabschluss in den Hallen lässt mich auf der Heimfahrt noch lange nachdenklich zurück. Henryk M. Broder stellt sein neues Buch „Vergesst Auschwitz!“ vor. Die 30 Minuten in der LVZ-Autorenarena reichen für einen Sack voll Provokationen und ungeschminkter Wahrheiten, die Broder in den letzten Jahren schon so viele Anfeindungen eingebracht haben. Seine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus sei eine „lebenslange Obsession“, gesteht Broder ein, und er schreibe darüber, „weil ich mir selbst etwas klar machen will, nicht um die Welt zu verändern“.  Das überlasse er gerne anderen „von Willemsen bis Walser“.

Der klassische Antisemitismus, so Broder, sei heute kaum noch verbreitet. Das neue Gewand zeige sich nicht gegenüber den Juden, sondern gegenüber dem Staat Israel. So bleibe Antisemitismus „ein dauernder Karneval“. Auschwitz als Ort des Gedenkens sei zu einem „Rummelplatz verkommen“, an dem man neben den Gaskammern seine Stullen auspacke. „Einfach grauenhaft“.

Der Blick nach Deutschland lässt Broder ratlos zurück. Da erhält der türkische Ministerpräsident Erdogan den Steiger-Award für Toleranz, und Exkanzler „Gazprom- Schröder“ trete als Laudator auf.  Da poste SPD-Chef Gabriel über Facebook bei einem Besuch in Hebron, Israel sei ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gebe. „Hätte ich nicht schon längst aufgehört, SPD zu wählen, das wäre der letzte Grund“, so Broder. Inzwischen wähle er als Bayer CSU.

Ein Tag mit vielen spannenden Begegnungen, für den ich sehr dankbar bin.

Die abendliche Lesung des EPIDU-Verlages wird zusammen mit News zur Entwicklung des Verlages am Sonntag besprochen.

(Alle Fotos: Detlef M. Plaisier)