Rezension: Tom Rob Smith, Kolyma

Düster und hoffnungslos – das Scheitern der Utopie

Moskau 1956.
Leo Demidow, Ex-KGB Agent und nun der Leiter des ersten und geheimen Morddezernats in Moskau, glaubt sich geläutert. Zwar hat er früher unter Stalins Herrschaft schlimme Verbrechen begangen, doch inzwischen ist unter Chruschtschow eine neue Ära angebrochen, die sich aufgeklärter gibt. Leo hat mit seiner Frau Raisa zwei Mädchen adoptiert. Für die Ermordung ihrer Eltern ist er mit verantwortlich und das lassen ihn die Kinder spüren. Vor allem die ältere Zoya hasst ihn dafür. Aber die Vergangenheit lässt sich nicht verdrängen. Die unschuldigen Opfer sind inzwischen begnadigt. Ihr Hass ist sehr lebendig und fordert Vergeltung.

„Befreie meinen Mann, sonst ermorde ich Deine Tochter!“
Eine fast unlösbare Aufgabe für Leo. Er schleust sich als Gefangener in den Gulag 57 in Kolyma ein, um diesen Auftrag auszuführen, der seine Tochter retten soll. Der Plan scheitert, Leo wird sofort von seinen Mithäftlingen entlarvt. Dass er wieder einmal zum Spielball politischer Intriganten geworden ist, merkt er viel zu spät.

Verurteilung des Stalinismus
Tom Rob Smith setzt sich in Kolyma intensiv mit den Verbrechen des Stalinismus auseinander. Darauf muss man sich als Leser einlassen können. Eine Gesellschaft, die zerfallen ist in Täter, Opfer und Mitläufer, lässt sich nicht so einfach kitten. Die Gräben sind tief, die alte Garde sitzt immer noch fest im Sattel und die Menschen sind nur Spielbälle der Politik. So viel Hoffnungslosigkeit löst bei mir bestenfalls Depressionen aus, lässt aber kein wirkliches Lesevergnügen aufkommen.

Nicht Fisch und nicht Fleisch
Der erste Roman von Tom Rob Smith „Kind 44“ hatte deutlich mehr Potenzial. Dort ging es um einen spannenden Kriminalfall und die politischen Wirren waren als Hintergrund eingearbeitet. Bei „Kolyma“ ist die Gewichtung verrutscht. Der Fall tritt völlig in den Hintergrund, so dass sich drei Viertel des Buches nur noch mit politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen und deren Unmöglichkeit beschäftigen. Stellenweise durchaus packend geschrieben, aber eben kein Krimi. Die schier endlose Aneinanderreihung von actionreichen Szenen konnte bei mir keine Spannung erzeugen.

Mein Fazit
„Kolyma“ erreicht leider nicht die Qualität von „Kind 44“. Zu wenig Substanz für einen guten Krimi und zu phantasievolle Auslegung der historischen Fakten für einen guten historischen Roman.

Tom Rob Smith, Kolyma. Dumont Verlag

Autorin: Monika Albert