Rezension: Iny Lorentz, Die Ketzerbraut

Der Roman spielt im München des 16. Jahrhunderts. Die Protagonistin ist Genoveva, genannt Veva Leibert. Sie ist die Tochter eines angesehenen Münchener Kaufmanns und zu Beginn der Handlung auf dem Weg nach Tirol, um dort den Sohn eines Handelspartners ihres Vaters zu heiraten. Doch sie und ihr Zwillingsbruder Bartl werden überfallen, dabei wird Bartl getötet und Veva von den Räubern entführt. Benedikt Haselegner schafft es, sie zu befreien und nach München zurück zu bringen, aber dort glaubt ihr niemand, dass die Räuber sie nicht missbrauchten.

Nun hat sie auf dem Heiratsmarkt an Wert verloren, doch ihr Vater arrangiert eine Ehe mit Ernst Rickinger, der als Weiberheld und Kirchengegner gilt. Veva hält nicht viel von ihm, muss sich aber fügen. Im Laufe der Zeit findet das ungleiche Paar zueinander, aber ihr Glück wird ihnen nicht gegönnt. Der Geistliche Portikus spinnt bereits Intrigen gegen Ernst, da dieser damals Pater Remigius demütigte. Außerdem kann sich Haselegner nicht damit abfinden, dass Veva einen anderen heiratete, da er sie selbst ehelichen möchte.

Quelle: Droemer Knaur
Quelle: Droemer Knaur

Der Roman ist in einer einfachen und gut verständlichen Sprache geschrieben. Es werden einige Begriffe verwendet, die heutzutage nicht mehr geläufig sind, doch diese werden im Glossar erklärt, sodass keine Verständnisschwierigkeiten auftreten. Außerdem sprechen einige Figuren bayrischen Dialekt und dies lässt den Roman schon in Bezug auf die Sprache realistisch wirken. Alles in allem begleitet und unterstützt die sprachliche Gestaltung den Inhalt gut.

Die Handlung ist schlüssig und gut verständlich. Es besteht zwar die Gefahr, mit einigen Namen durcheinander zu kommen, doch dafür hat man ein Personenverzeichnis.

Die Figurengestaltung ist gut gelungen, denn man kann sich gut in die Protagonisten hineinfühlen. Mit einigen Charakteren sympathisiert man sofort, z.B. mit Veva, die versucht, sich in einer männerdominierten Gesellschaft zurechtzufinden. Einige jedoch sind dem Leser auf Anhieb unsympathisch, z.B. Portikus. Mit Ernst wird der Leser erst mit der Zeit warm, sodass man die Entwicklung seiner Beziehung zu Veva gut nachvollziehen kann.

Fazit:

Es gibt nicht viel zu bemängeln, aber ein paar Kritikpunkte können gefunden werden.

Die Handlung und die Figurengestaltung sind in meinen Augen ein wenig zu klassisch, denn starke Frauen und arrangierte Ehen sind oft Themen in historischen Romanen, vor allem bei Iny Lorentz. Trotzdem ist der Roman nicht typisch romantisch, sondern an vielen Stellen spannend.

Ich würde es für all jene empfehlen, die starke Frauenfiguren, aber keinen Kitsch mögen. Ich selbst habe es mit Freude gelesen.

Iny Lorentz, Die Ketzerbraut. Knaur Taschenbuch Verlag

Autorin: Valerie Jülichmann

Rezension: Katharina Hacker, Die Erdbeeren von Antons Mutter

„Die Erdbeeren von Antons Mutter“ ist ein Roman von Katharina Hacker aus dem Jahre 2010. Es ist der Nachfolgeroman zu „Alix, Anton und die anderen“, aber eine in sich geschlossene Geschichte, die man durchaus auch lesen und verstehen kann, ohne das Vorgängerbuch gelesen zu haben.

Der Inhalt

Quelle: fischerverlage.de
Quelle: fischerverlage.de

Die Hauptakteure sind Anton, ein allein lebender Arzt, der in der Provinz aufwuchs und nun in Berlin seine Praxis hat, dessen Schwester Caroline und deren Eltern. Weitere wichtige Rollen spielen Lydia, die Anton durch einen Unfall kennen und lieben lernt, deren kleine Tochter Rachel sowie Rachels leiblicher Vater Rüdiger und dessen Weggefährte Martin.

Es geht im Buch um die voranschreitende Demenz von Antons Eltern und die Art, wie er als Sohn damit umgeht. Antons Eltern leben in einem kleinen Ort nahe Wolfsburg. Sie haben dort ein Haus und am anderen Ende des Dorfes einen kleinen Acker, auf dem Antons Mutter seit jeher Erdbeeren anpflanzt. Seit Anton aus dem Haus ist, hat sie jedes Jahr Erdbeermarmelade gekocht, sie in Gläser gefüllt und zu ihm nach Berlin geschickt. In diesem Jahr aber hat sie völlig vergessen, die Erdbeeren überhaupt anzupflanzen. Als Anton das sehr spät bemerkt, pflanzt er einfach heimlich noch Erdbeeren, ohne seine Mutter auf ihr Versehen hinzuweisen, und hofft mit Hilfe eines benachbarten Gärtners, dass doch noch schöne Früchte heranreifen.

Die Autorin erzählt parallel zu der Geschichte über die voranschreitende Demenz der Eltern in Calberlah die Geschichte um Antons Leben in Berlin, wo er als Arzt praktiziert. Eines Tages rennt er aus Versehen eine Radfahrerin um und verliebt sich sofort in sie. Lydia ist auch Ärztin und alleinerziehende Mutter der kleinen Rachel. Der Vater des Mädchens ist Rüdiger, ein ehemaliger sehr egozentrischer Fremdenlegionär, der Lydia und seine Tochter, die er nie sehen durfte, einfach nicht vergessen kann. Ebenso ergeht es Rüdigers Weggefährten aus der Fremdenlegion.  Martin ist auch vernarrt in Lydia und wird im Verlauf der Geschichte zu einem Schatten von Anton und Lydia.

Katharina Hacker stellt gegenüber, wie sich die Liebesgeschichte zwischen Anton und Lydia immer weiter entwickelt und wie gleichzeitig die Demenz von Antons Eltern weiter voran schreitet. Antons Mutter würde nur zu gern die Frau in Antons Leben und das Kind endlich kennen lernen, aber Anton selbst hält das für zu früh. Er ist sich nicht sicher, was das mit Lydia nun genau ist und ob sie überhaupt eine feste Beziehung mit ihm eingehen will. Mit der Zeit merkt auch Antons Mutter selbst, wie vergesslich sie geworden ist. Sie reflektiert ihr Leben, denkt viel an eine nicht erfüllte Liebe und an einige schöne Momente in der Vergangenheit zurück. Der Leser erlebt viele Situationen, in denen das Vergessen gnadenlos über Antons Mutter hereinbricht.

Im weiteren Verlauf der  Geschichte kommt Antons Schwester Caroline aus Amerika zurück, weil sie befürchtet, dass ihre Eltern nicht mehr ohne ihre Hilfe leben können. Im Inneren hofft sie, wieder fliegen zu können, aber die Situation in Calberlah erfordert dringend ihren Heimatbesuch nach vielen Jahren im fernen Amerika.

Es wird sehr gut beschrieben, wie sehr es Anton zu schaffen macht, wie ihm seine eigene Mutter entgleitet und fremd wird.  Er möchte gern für die Eltern da sein, hat aber auf der anderen Seite noch sein eigenes Leben in Berlin mit seiner Praxis, seinem Freundeskreis und natürlich mit Lydia und ihrer Vergangenheit, die so vehement ins Leben der beiden Einzug hält. Insgeheim schmiedet er schon Pläne von einer gemeinsamen Zukunft mit ihr und der kleinen Rachel. Ihm fällt allerdings auch Martin immer mehr auf, der nicht nur Lydia, sondern auch ihn beobachtet und ständig verfolgt. Stress und Sorgen fordern ihren Tribut und Anton bekommt gesundheitliche Probleme. Er wird auch immer wieder mit dem Tod konfrontiert.

Am Ende der Geschichte machen sich fast alle Beteiligten auf den Weg zu dem Erdbeeracker, wo plötzlich sehr viele Schnecken auftauchen, die langsam vor sich her kriechend fast alle Erdbeeren vernichten konnten, noch bevor die Familie den Acker erreichte. Ich finde dieses Bild unheimlich treffend gewählt. Auch die Demenz von Antons Eltern kriecht langsam vor sich hin und zerfrisst am Ende den Menschen, der nach und nach vergisst, sowie all die Menschen in dessen Umfeld, die das miterleben müssen.

Mein Urteil
Mich als Leser macht das Buch sehr betroffen. Ich selbst helfe meiner Großmutter, die von Monat zu Monat mehr vergisst, und kann mich dadurch sehr gut in Antons Lage versetzen.

Zwei Zitate von Martin möchte ich gerne an dieser Stelle wiedergeben, weil sie so treffend und berührend waren:

„Sie schaut dich bloß an, weißt du? Sie schaut dich an und denkt nach. In ihrem Kopf ist alles dunkel.“
„Wenn wir sterben, ist alles weg, klar. Aber sie lebt. Und egal, was ihr passiert in ihrem Leben, sie erinnert sich nicht mehr daran.“

Einige Kleinigkeiten hab ich allerdings auch zu bemängeln:

Die Handlung ist nicht kapitelweise aus Sicht einer Person beschrieben, sondern wechselt teilweise von Absatz zu Absatz wild hin und her. Ich habe oft nochmals ansetzen müssen, um genau zu wissen, um wen es gerade geht.

Einige Dinge sind doch sehr weit hergeholt. So verfolgen in einer Szene Martin und ein vor Wut rasender Rüdiger Lydias Auto mit Anton und dem Kind an Bord auf der Autobahn, und plötzlich findet Rüdiger zufällig eine Waffe unter seinem Sitz, mit der er aus dem Fenster auf einen fremden LKW schießt…

Für meinen Geschmack ist Lydias Rolle zu dramatisch ausgeschmückt. Eine alleinerziehende Ärztin, der ein Alkoholproblem und eine Depression zugeschrieben werden, und ein Kindsvater, der als ausgebrannter Kriegsheld kaltblütig Menschen ermordet hat und nun mit Bad Boy Image seiner Exfreundin und dem Kind nachstellt, sind so nicht nötig für die Kernaussage des Buches und machen es langatmig.

Insgesamt finde ich, dass dieses Buch absolut lesenswert ist und einige tief bewegende Szenen enthält, die zum Nachdenken anregen.

Katharina Hacker, Die Erdbeeren von Antons Mutter
S. Fischer Verlag, 2010

Autorin: Sarah Czerwa

Rezension: Merle Hilbk, Die Chaussee der Enthusiasten. Eine Reise durchs russische Deutschland

„Wenn Sie mich Russe nennen, dann bin ich eben ein Russe“, antwortet mir David, der Vater einer Freundin auf die Frage, wie ich ihn politisch korrekt einordnen soll.

Fakt ist, „russisches“ Leben ist ein Teil unserer deutschen Gesellschaft.

In „Die Chaussee der Enthusiasten. Eine Reise durchs russische Deutschland“, erschienen im Aufbau Verlag, berichtet Merle Hilbk über das Spektrum russischsprachigen Lebens in Deutschland. Ausgehend von der Erstaufnahmeeinrichtung Friedland im Landkreis Göttingen begibt sich Hilbk auf eine Reise, die sie quer durch Deutschland führt. Dabei trifft sie Menschen, die alle aus unterschiedlichen Gründen aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind. Sie hört die Hoffnungen der Russlanddeutschen, die auf der Suche nach Heimat sind, trifft russische Intellektuelle mit jüdischen Wurzeln oder feiert auf der angesagten „Datscha Party“ in Hamburg zu russischen Rockbeats. Sie entdeckt eine Welt voller Reichtum in Baden-Baden, wird Zeugin monotoner Plattenbausiedlungen in Berlin-Marzahn und besucht russische Poetry Slams.

In erster Linie erzählt Hilbk Geschichten von Menschen. Gleichzeitig gelingt es ihr, die vielen Facetten des russischen oder besser gesagt russischsprachigen Lebens zu skizzieren, ohne dabei in klischeehafte Erzählungen zu verfallen. Lebhaft wird der Leser Teil ihrer Begegnungen, verfolgt gespannt die Geschichten und Schicksale der einzelnen Protagonisten. Die Autorin karikiert nicht, sie erzählt, mal komisch, mal sachlich und mal traurig. Sie zeigt Mutlose, die sich in eine Blase zurückziehen, aber auch hoffnungsvolle Menschen, die aus fehlender Anerkennung der Mehrheitsgesellschaft kreative Projekte ins Leben rufen und so aktiv zu einem bunten Deutschland beitragen. Hilbk beobachtet. In einer geschmeidigen Art vermittelt sie ganz nebenbei geschichtliche Fakten, die mir so nicht bewusst waren oder die ich schlichtweg nicht wusste.

So wird der Bericht zum vermeintlichen Roman, der sich aus vielen Begegnungen zu einem großen Ganzen zusammensetzt und uns eine Welt näher bringt, die mitten unter uns lebt und atmet.

Merle Hilbk, Die Chaussee der Enthusiasten. Eine Reise durchs russische Deutschland. Aufbau Verlag.

Autor: Ahu Gür
http://style4soul.blogspot.de

Rezension: Rebecca Stephan, Zwei halbe Leben

Nichts Halbes, nichts Ganzes

Diese Rezension habe ich längere Zeit vor mir her geschoben, denn ich war ziemlich enttäuscht. Der Klappentext und die Aufmachung des Buches versprachen so viel. Nur leider hält das Buch nichts von diesen Versprechungen.

1654Die Idee der Geschichte ist gut und realistisch: Maximilian und Sophie werden bei einem schlimmen Bombenangriff 1945 in einem Frankfurter Keller verschüttet. Dort erleben beide das, was man ‚Liebe auf den ersten Blick‘ nennt. Und noch mehr: Sie verfallen einander mit Haut und Haaren. Der Haken: Beide sind nicht nur verheiratet, sondern haben auch Kinder. Als sie sich dann aus dem Keller freigeschaufelt haben, beschließen sie, mit Hilfe einer guten Freundin von Sophie einen kompletten Monat in ‚ihrem Zuhause‘, dem Keller, zu verbringen, und dann erst zu ihren Familien zurückzukehren. Alles Weitere wollen sie dem Schicksal überlassen. So vereinbaren sie, sich jedes Jahr am 18. April zwischen 6 Uhr morgens und Mitternacht für genau fünf Minuten am Römerplatz aufzuhalten. Wenn sie sich begegnen, verbringen sie ihr weiteres Leben gemeinsam. Wenn nicht – dann versuchen sie es eben nächstes Jahr wieder.

Die Idee ist gut, aber dann wird zunehmend dick aufgetragen:

Sophie ist arm wie eine Kirchenmaus, ihr Mann ein prügelnder, ungepflegter, widerlicher Alkoholiker, der droht, sie umzubringen, sollte sie ihn verlassen. Maximilian gehört zu einer der reichsten Familien Frankfurts, steckt aber fest in einer Ehe mit einer gefühlskalten Frau und einem Netz aus Intrigen, das sein patriarchalischer Vater perfekt spinnt.

Wie sich die Leben der beiden über die nächsten Jahre entwickelt, wird abwechselnd von der Autorin erzählt und anhand von Briefen, die Maximilian und Sophie einander schreiben (ohne sie absenden zu können, da sie nicht mal ihre Nachnamen ausgetauscht haben). Auch diese Idee ist gut, allerdings ging mir das permanente Gejammere der beiden unglaublich auf die Nerven. Es ist für mich unglaubwürdig, dass Sophie in den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit, in der tausende von Menschen verschollen sind, nicht irgendeinen Weg gefunden hätte, mit ihren Kindern komplett unterzutauchen.

Auch Maximilian fügt sich, wird immer schwächer und auf Dauer lethargisch und depressiv. Es muss sogar sein Sohn für ihn aktiv werden und ihn aus der scheinbar aussichtslosen Situation innerhalb weniger Monate herausboxen. Auch hier ging mir die Figur des armen, reichen Mannes, der nicht in der Lage ist, selbstständig zu handeln, sehr auf die Nerven. Vielleicht war es zu Kriegszeiten und in der Nachkriegszeit tatsächlich in der Gesellschaft so, aber ich tue mich schwer damit zu glauben, dass zwei Menschen, die sich dermaßen lieben wie Max und Sophie, tatsächlich 20 Jahre lang willentlich in ihren miserablen Leben steckenbleiben – egal in welcher Epoche.

Doch auf einmal überschlagen sich die Ereignisse, schnell wird noch der Bezug zu tatsächlich Geschehenem hergestellt, und ich kam aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Nach 20 Jahren tatsächlich Licht am Ende des Tunnels? Hoffnungsvoll nahm ich die letzten Seiten in Angriff und … dazu kann ich nun nichts sagen, ohne zukünftigen Lesern zu viel zu verraten. Darum sage ich sehr neutral: Der Schluss passt zu meinem Eindruck vom gesamten Buch. Und schüttele meinen Kopf noch ein wenig weiter.

Die Sprache im Buch ist zum Teil sehr schlicht, zum Teil sehr schwülstig. Dazu erklärt die Autorin überflüssig oft Sachverhalte, die man als halbwegs gescheiter Leser eigentlich sofort selbst versteht.

Mein Fazit: Es hätte wirklich ein sehr schönes Buch werden können, hinterließ aber während des Lesens und nach dem Zuschlagen bei mir ein eher genervt-frustriertes Gefühl. Übrigens ist ‚Rebecca Stephan‘ ein Pseudonym. Dahinter steckt Steffi von Wolff, die wohl normalerweise eher im Bereich der lustigen Frauenbücher angesiedelt ist. Da ich davon allerdings (noch?) keines kenne, kann ich keine Aussagen dazu machen, ob ihr das Genre vielleicht besser liegt. Vielleicht teste ich das mal als nächstes aus.

Rebecca Stephan, Zwei halbe Leben. List Verlag, 3. Auflage 2012

Autorin: Dorothee Bluhm WortParade
www.wortparade.de

Rezension: Mathias Gatza, Der Augentäuscher

Hoher Spannungsbogen mit schwierigem Sprachniveau

„Der Augentäuscher“ – der Titel ist Programm in diesem Roman von Mathias Gatza. Wie die Hauptfigur des barocken Malers Silvius Schwarz, der das Auge zu überlisten versucht, kleidet der Autor sein Werk abwechselnd als historischen Roman, als Wissenschaftssatire und als Liebesgeschichte. Diese Variation und Gatzas Ideenreichtum machen die Geschichte spannend und abwechslungsreich, gleichzeitig aber auch zu einer Herausforderung für den Leser.

Quelle: Graf Verlag
Quelle: Graf Verlag

Die erste Täuschung erwartet den Leser gleich zu Beginn des Romans. Das Vorwort des Herausgebers stammt nämlich nicht vom Autor, sondern von einem fiktiven, brot- und erfolglosen Kunsthistoriker. Er hat seine wissenschaftliche Karriere dem Maler Silvius Schwarz gewidmet, ein Name, der bei seinen Kollegen als Phantom gilt. Tatsächlich taucht Silvius Schwarz in keinem einzigen Geschichtsbuch auf und seine Werke bleiben ebenfalls verschollen. Doch eines Tages, beim Elbehochwasser in Dresden, fischt unser Herausgeber einen über 300 Jahre alten Schriftbogen aus dem Wasser, in dem der mysteriöse Maler erwähnt wird. Dieser Fund ist der Beginn einer fanatischen Spurensuche, die in das barocke Dresden des 17. Jahrhunderts führt.

Der Roman besteht aus zwei Geschichten. Auf der einen Seite erzählt er von den Bemühungen und Forschungen des Wissenschaftlers. Dessen Methodenspektrum reicht von halb-legitim bis illegal und ist teilweise sehr vom Zufall geprägt. So berichtet er zum Beispiel davon, wie er einer Kollegin, die auf ähnlichem Gebiet forscht, eine wichtige Quelle stiehlt. Es handelt sich um einen historischen Briefroman, der die Korrespondenz zwischen Silvius Schwarz und seiner adeligen Geliebten Sophie von Schlosser enthält.

Die zweite Geschichte über Silvius Schwarz, seine Arbeit und seine Entdeckung wird durch die jeweiligen Funde des Herausgebers rekonstruiert. Schwarz ist ein Findelkind, das bei einem arabischen Gelehrten in einem Dorf nahe Dresden aufwächst. Er zeigt eine frühe Begabung für die Malerei. Vor allem seine Stillleben sind von großer Präzision geprägt. Doch schon bald reichen Schwarz Pinsel und Farbe nicht mehr aus. Stattdessen sucht er nach einer Methode, mit der er einmalige Augenblicke festhalten und für die Nachwelt erhalten kann. Kurzum: Schwarz sucht nach der Fotografie. Schon bald äußert der Herausgeber die Vermutung, dass es Schwarz auch gelang, sie zu finden – und damit wäre die Fotografie 150 Jahre älter wäre als bisher angenommen. Als er am Ende ein Bild auf einer alten Metallplatte aus dem Jahr 1673 entdeckt, ist er davon überzeugt, auf eine Sensation gestoßen zu sein.

Der Leser erfährt die Geschichte von Silvius Schwarz aus zwei sehr unterschiedlichen Quellen, nämlich aus den gefundene Bögen des Setzers Leopold und dem gestohlenen Briefroman. Dem ersten Bogen, den der Herausgeber im Hochwasser fand, folgen fünf weitere, die von den Geschehnissen im ostdeutschen Städtchen **rode berichten. Dieses wird von einem Ritualmörder heimgesucht, und Silvius Schwarz, der durch seine geheimnisvolle Arbeit in Verruf gerät, entwickelt sich rasch zum Hauptverdächtigen. Der Briefwechsel zwischen Schwarz und seiner Geliebten Sophie enthält dagegen eher wenig Information, die zur Handlung beitragen. Abgesehen von der sehr blumigen Sprache, an der sich mancher Leser stören mag, sind die Liebesschwüre und Eifersüchteleien teilweise etwas langatmig. Die Rekonstruktion der Ereignisse ist ein Rätsel, das der Leser zum größten Teil selbst zu lösen hat, was der eine als spannend, der andere aber auch durchaus als mühselig empfinden mag.

Das Verbinden der zwei Geschichten gelingt Gatza sehr gut, und durch die Variation der verschiedenen Quellen bleibt der Spannungsbogen hoch. Dennoch fiel es mir persönlich am Ende schwer, den Kern dieses Romans zu finden. Ist es die tragische Geschichte eines großen Erfinders? Die Entdeckung der frühen Fotografie? Oder stehen die Forschungen des gescheiterten Kunsthistorikers im Mittelpunkt? Auch am Ende, wenn sich die Ereignisse in beiden Geschichten überstürzen, hätte ich mir mehr Klarheit gewünscht. Auch nach mehrmaligem Lesen bleibt der Leser mit seinen Fragen allein.

Im Fazit heißt das: Wer einen gewissen Forscherinstinkt mitbringt und sich vom schwierigen Sprachniveau nicht gleich abschrecken lässt, kann sich über einen detailverliebten, vielschichtigen Roman freuen. Neben vielen ironischen Anspielungen auf die moderne Zeit tauchen auch die großen Philosophen Descartes, Spinoza und Leibniz auf. Wer sich einen historischen Thriller im Stil von Umberto Eco erhofft, wird vermutlich enttäuscht sein.

Mathias Gatza, Der Augentäuscher
Graf Verlag, 2012

Autorin: Lisa Ströhlein

Rezension: Tom Rob Smith, Kolyma

Düster und hoffnungslos – das Scheitern der Utopie

Moskau 1956.
Leo Demidow, Ex-KGB Agent und nun der Leiter des ersten und geheimen Morddezernats in Moskau, glaubt sich geläutert. Zwar hat er früher unter Stalins Herrschaft schlimme Verbrechen begangen, doch inzwischen ist unter Chruschtschow eine neue Ära angebrochen, die sich aufgeklärter gibt. Leo hat mit seiner Frau Raisa zwei Mädchen adoptiert. Für die Ermordung ihrer Eltern ist er mit verantwortlich und das lassen ihn die Kinder spüren. Vor allem die ältere Zoya hasst ihn dafür. Aber die Vergangenheit lässt sich nicht verdrängen. Die unschuldigen Opfer sind inzwischen begnadigt. Ihr Hass ist sehr lebendig und fordert Vergeltung.

„Befreie meinen Mann, sonst ermorde ich Deine Tochter!“
Eine fast unlösbare Aufgabe für Leo. Er schleust sich als Gefangener in den Gulag 57 in Kolyma ein, um diesen Auftrag auszuführen, der seine Tochter retten soll. Der Plan scheitert, Leo wird sofort von seinen Mithäftlingen entlarvt. Dass er wieder einmal zum Spielball politischer Intriganten geworden ist, merkt er viel zu spät.

Verurteilung des Stalinismus
Tom Rob Smith setzt sich in Kolyma intensiv mit den Verbrechen des Stalinismus auseinander. Darauf muss man sich als Leser einlassen können. Eine Gesellschaft, die zerfallen ist in Täter, Opfer und Mitläufer, lässt sich nicht so einfach kitten. Die Gräben sind tief, die alte Garde sitzt immer noch fest im Sattel und die Menschen sind nur Spielbälle der Politik. So viel Hoffnungslosigkeit löst bei mir bestenfalls Depressionen aus, lässt aber kein wirkliches Lesevergnügen aufkommen.

Nicht Fisch und nicht Fleisch
Der erste Roman von Tom Rob Smith „Kind 44“ hatte deutlich mehr Potenzial. Dort ging es um einen spannenden Kriminalfall und die politischen Wirren waren als Hintergrund eingearbeitet. Bei „Kolyma“ ist die Gewichtung verrutscht. Der Fall tritt völlig in den Hintergrund, so dass sich drei Viertel des Buches nur noch mit politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen und deren Unmöglichkeit beschäftigen. Stellenweise durchaus packend geschrieben, aber eben kein Krimi. Die schier endlose Aneinanderreihung von actionreichen Szenen konnte bei mir keine Spannung erzeugen.

Mein Fazit
„Kolyma“ erreicht leider nicht die Qualität von „Kind 44“. Zu wenig Substanz für einen guten Krimi und zu phantasievolle Auslegung der historischen Fakten für einen guten historischen Roman.

Tom Rob Smith, Kolyma. Dumont Verlag

Autorin: Monika Albert

Das liest der Oberbürgermeister (Teil 1): Spröde Kost wohl akzentuiert

[Der Mann für den Text] Buchmesse schmeckt 2013: Dr. Hinrich Lehmann-Grube liest in der Moritzbastei Leipzig
[Der Mann für den Text] Buchmesse schmeckt 2013: Dr. Hinrich Lehmann-Grube liest in der Moritzbastei Leipzig, Foto: Detlef M. Plaisier
Ich habe mich darauf gefreut, ihn wiederzusehen. Bis 1990 war Dr. Hinrich Lehmann-Grube Oberstadtdirektor der Landeshauptstadt Hannover und damit mein Dienstherr als Beamter. Danach ging er bis 1998 als Oberbürgermeister in Hannovers Partnerstadt Leipzig, wo ich heute lebe. Leipzig hat ihm viel zu verdanken. Sein Politikansatz des „Leipziger Modells“ ist niemandem nach ihm wieder gelungen. In seine Amtszeit fiel auch die Entscheidung, die Moritzbastei kulturell und nicht kommerziell zu nutzen – und genau dort treffen wir uns heute. Dr. Lehmann-Grube (ja, er hört den akademischen Grad gerne, und es wirkt bei ihm gar nicht arrogant) liest im Schwalbennest der Moritzbastei im Rahmen der Reihe „Buchmesse schmeckt“.  Die Küche des Veranstalters serviert dazu zwei verschiedene Suppen.

Er wirkt etwas verloren bei seiner Ankunft. Niemand begrüßt ihn und nimmt ihm den Mantel ab. Beim Kaffee an der Theke sortieren wir gemeinsame Erinnerungen. Seine geliebte Bratsche, die er anerkannt virtuos beherrscht, hat Lehmann-Grube zuhause gelassen. Welches Buch hat er mitgebracht? „Ein Streichinstrument spielt auch eine Rolle“, verrät er vorab. Und soviel: „Ich lese nach Stimmungslage. Mal ist mir nach Geschichte, mal möchte ich unterhalten werden.“

Cover Uwe Tellkamp, Der Turm im Suhrkamp Verlag
Cover Uwe Tellkamp, Der Turm im Suhrkamp Verlag

Zum Beginn um 12:12 Uhr haben sich etwa 30 Zuhörer eingefunden; enttäuschend, wie ich finde. Lehmann-Grube stellt sein „jüngstes Lieblingsbuch“ vor und dämpft gleich die Erwartungen: „Der Turm“ von Uwe Tellkamp sei „spröde und vielschichtig“, 1000 Seiten dick, und er arbeite es zum zweiten Mal durch, um alle Schichten zu erfassen. Das Buch erzählt die Geschichte einer Arztfamilie rund um den Chirurgen Richard Hoffmann in den 1980er-Jahren im Turm, einem fiktiven luxuriösen Villenviertel in Dresden. Autor Uwe Tellkamp, selber ausgebildeter Arzt, erhielt für seinen Vorwenderoman als Verarbeitung seiner eigenen Biografie 2008 den Deutschen Buchpreis.

Lehmann-Grube liest wohl akzentuiert von einem Besuch auf der Kohleninsel, Symbol für sozialistische Behörden. Tatsächlich: Eine Geige kommt vor, der bescheinigt werden soll, dass sie nicht zum unverzichtbaren Kulturgut gehört, dazu gesellen sich muffige Behördenflure mit wägelchenschiebenden Kittelboten und vollfleischigen Grünpflanzen …. Gerade als sich Charaktere und Bilder in meinem Kopf formieren, endet die Lesung abrupt, und ich bleibe etwas ratlos zurück. Aber das ist das Konzept von „Buchmesse schmeckt“: Eine Mittagspause soll es sein, nicht eine abendfüllende Lesung. Zum Schluss gibt es ein Erinnerungsfoto und einen Eintrag in mein Gästebuch. Von Herzen „Auf Wiedersehen“!

Leipziger Buchmesse für Anfänger

Es soll ja wirklich Menschen geben, die für Ihr Leben gern Bücher verschlingen, aber noch nie ihren Lieblingsautor auf der Buchmesse hautnah erlebt haben. Und zugegeben: Es ist gar nicht so einfach, sich in dem Angebot und in den Hallen auf der Leipziger Messe zurechtzufinden.

[Der Mann für den Text] Die Leipziger Buchmesse auf einen Blick
[Der Mann für den Text] Die Leipziger Buchmesse auf einen Blick. Foto: Detlef M. Plaisier
Die Leipziger Messe bietet dafür kostenlos „Buchmesse für Einsteiger“ an. Ein Vortrag mit anschließender Führung startet täglich während der Messetage um 10.00, 11.00 und 12.00 Uhr im Congress Center Leipzig, Vortragsraum 9. Für diese Führungen sind Anmeldungen in einer Gruppe bis zu fünf Personen möglich. Ab fünf Personen wird eine individuelle Gruppenführung (kostenpflichtig) organisiert.Eine Anmeldung ist erforderlich per E-Mail gaestefuehrungen@leipziger-buchmesse.de oder unter der Telefonnummer 0341 – 6786990 (Mo – Fr 9.00 bis 17.00 Uhr).