Rezension: Christopher Bochdansky, Anmerkungen zur Umgebung

Der Titel des Buches klingt ebenso sperrig wie die Kurzvorstellung auf der Rückseite. Doch dieser erste Eindruck täuscht und führt den interessierten Leser in die Irre. Der Autor und Puppenspieler Christopher Bochdansky hat das Werk nach folgender Philosophie verfasst: „Die Sichtweise ist das Längenmaß der Umgebung. Alle hier versammelten Anmerkungen zur Umgebung beziehen sich auf Sichterfahrungen.“ Weil er aufzeigt, was sein könnte, stellt er die Welt der eigenen Erfahrungen auf den Kopf.

http://verlag-wortreich.at
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Der Inhalt
Christopher Bochdansky hat das Buch in fünf Gruppen untergliedert, sodass sich zwischen den einzelnen Kurzgeschichten ein thematischer Zusammenhang ergibt. Zusätzlich wird die Eindrucks-Sammlung durch zwei Trilogien ergänzt. Jeder Gruppe steht isoliert eine Episode voran, in welcher aus verschiedenen Facetten geschildert wird, wie Robinson Crusoe sowohl real als auch moralisch immer wieder Schiffbruch erleidet. Dabei erzählt der Autor nicht die tatsächliche Robinson Crusoe-Geschichte, sondern stellt dar, wie es vielleicht auch hätte sein können.

Wenn die reale Welt aus den Fugen gerät
Christopher Bochdanskys Stil ist gewöhnungsbedürftig. Er schildert Eindrücke und Begebenheiten in kurzen und knappen Sätzen – wie Gedankensplitter eben. Die Kurzgeschichten wirken deshalb eher als Form moderner Lyrik. Bochdansky lässt die bekannte, berechenbare Welt, die auf physikalischen Gesetzen basiert, komplett aus den Fugen geraten. Unter anderem behauptet er, dass Porzellantassen die einzigen Gegenstände seien, die ein Schiffsunglück überlebt haben oder dass Äpfel auf die Bäume zurückspringen. Für den Leser, die vollkommen in Bochdanskys Welt der Kurzgeschichten eintaucht, schwindet mit zunehmender Dauer der Lektüre das Vertrauen in das Bekannte und Vertraute. Als augenzwinkernden Seitenhieb lässt Bochdansky Robinson Crusoe immer wieder aufs Neue auf absurde Weise scheitern. Dieser Aspekt dürfte vor allem Lesern Spaß machen, die Daniel Defoes Original kennen und mögen.

Mein Fazit
„Anmerkungen zur Umgebung“ sollte man als Gesamtkunstwerk zusammen mit den Illustrationen lesen. Bochdansky hat Phantasie – vielleicht genau jenes Maß, das wir uns im Alltag nicht zutrauen.

Christopher Bochdansky, Anmerkungen zur Umgebung
Verlag Wortreich, Wien 2015
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Johannes Anyuru, Ein Sturm wehte vom Paradiese her

Angesichts der aktuellen Flüchtlingsströme ist die Thematik in „Ein Sturm wehte vom Paradiese her“ aktueller denn je: Johannes Anyuru erzählt die Geschichte seines Vaters, der über zahlreiche Stationen aus Uganda nach Schweden floh und doch nirgendwo eine Heimat fand.

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Der Inhalt
Ein Mann sitzt im Zug. Er weiß weder, was er dort macht, noch was er erlebt hat. Lediglich der Vollmond, der gerade über dem Horizont steht, ruft einen Schimmer Erinnerungen hervor. Seine eigene Geschichte kennt er aber immer noch nicht.

Der Mann ist der Vater des Autors.  Er wollte Kampfpilot in der ugandischen Luftwaffe werden und durchlief in den ausgehenden 1960er Jahren in Athen eine entsprechende Ausbildung. Doch kurz vor seinem Examen putschte sich Idi Amin 1971 an die Macht in Uganda. Seine Herrschaft sollte sich als eines der blutigsten Regimes in Afrika erweisen. Nun trifft der junge Mann eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen: Entgegen den Befehlen kehrt er nicht nach Uganda zurück, sondern flüchtet nach Somalia, wo er schließlich aufgegriffen und auf brutale Weise verhört wird. Schließlich führt ihn seine persönliche Odyssee nach Schweden. Doch Heimatgefühl stellt sich nie ein.

Wenn der Sturm der Geschichte persönliche Schicksale hinwegfegt
Der Autor nutzt mehrere Zeitebenen, um die Geschichte seines Vaters zu erzählen, der selbst ohne Vater aufgewachsen ist. Seine einfühlsamen berühren mich als Leser. Doch Johannes Anyuru erzählt mehr als seine Familiengeschichte, mit der er auch einen Teil seiner persönlichen Vergangenheit aufarbeitet. Er vermittelt mir als Leser ein Gefühl dafür, wie Flüchtlinge den Verlust von Heimat und persönliche Einsamkeit empfinden. Mich beeindruckt, wie sehr es Johannes Anyuru schafft, aus der Distanz zu schreiben, obwohl er einen Teil seiner persönlichen Vergangenheit schildert.

Mein Fazit
Ein fesselnder und berührender Roman über das Schicksal eines Menschen, dessen persönliche Zukunft durch den Lauf der Geschichte brutal verändert wird. Leseempfehlung!

Johannes Anyuru, Ein Sturm wehte vom Paradiese her
Luchterhand Literaturverlag, München 2015
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Mart Schreiber, Es muss brennen

Der Autor Mart Schreiber – dabei handelt es sich übrigens um ein Pseudonym – greift in „Es muss brennen“ ein äußerst sensibles Thema auf: Er beleuchtet den Umgang mit Migranten, nachdem in den Medien immer wieder von sexuellen Übergriffen berichtet wird. In zwei Geschichten wird die Diskrepanz zwischen der Willkommenskultur einerseits und der Angst vor oder dem Hass gegenüber dem Fremden deutlich.

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Der Inhalt
Das Buch ist in zwei Geschichten geteilt. In der Titelgeschichte „Es muss brennen“ studiert Protagonist Dominik Jura und lebt glücklich in einer neuen Beziehung mit Laura. Dominiks Leben ändert sich schlagartig, als seine jüngere Schwester Nadine nur knapp einer Vergewaltigung durch drei afghanische Migranten entgeht. Nachdem sich andeutet, dass die Täter straflos davonkommen werden, entwickelt Dominik blanken Hass auf Ausländer. Zwar versucht Laura, Einfluss auf ihn zu nehmen, was jedoch nicht gelingt, da er ihr nichts von seinen aufkeimenden Hassgefühlen erzählt.

In „Finderlohn“ eilt der Ich-Erzähler Gustav zu einem wichtigen Geschäftstermin. Er zieht das Handy aus der Jackentasche und wird von einem kleinen Jungen aus dem Irak angesprochen. Der gibt ihm die 200 Euro zurück, die Gustav eben gerade verloren hatte. Weil er keine Zeit hat, gibt Gustav dem Jungen seine Visitenkarte. Dadurch verändert sich nicht nur sein Leben, sondern auch seine Persönlichkeit: Aus dem harten Geschäftsmann wir ein feinfühliger Mann, der menschlich denkt und handelt. Die harten Ansichten seiner Freundin Michaela gegenüber Ausländern ignoriert er dabei und lernt eine neue Wirklichkeit kennen.

Eine behutsame Herangehensweise
Autor Mart Schreiber nähert sich dem Thema Asyl und Asylpolitik behutsam und bedient sich dabei einer sachlichen Sprache, die mit zahlreichen Dialogen angereichert wird. Dadurch schafft er es, das für viele Leser abstrakte Thema in den Alltag zu ziehen. Zugleich schildert er nachvollziehbar die Einflüsse, denen die Protagonisten ausgesetzt sind. Dominiks Freundin beispielsweise ist ein Gutmensch, festgefahren in der eigenen Meinung und unfähig, auf Dominiks Gefühle einzugehen. Dominiks alten Freunde hingegen, zu welchen er sich immer mehr zurückzieht, sind chronische Ausländerfeinde. In der zweiten Geschichte zeigt der Autor, dass sich Menschlichkeit auch entgegen aller Widerstände aus dem privaten Bereich durchaus lohnen kann.

Die Schwächen des Buches
Erzählerisch überzeugt „Es muss brennen“ voll und ganz. Allerdings lassen sich verschiedene handwerkliche Mängel feststellen, die bei Selfpublishing-Werken oft vorkommen. So ist etwa die Qualität des Papiers nicht die beste und der Titel der zweiten Geschichte befindet sich auf der linken Seite. Das Cover hingegen ist gut gewählt. Es ist in den Farben rot und gelb gehalten, symbolisiert also das Feuer. Ein Migrant ist darauf nicht zu sehen, was aber eher positiv zu werten ist, weil dadurch beim Leser keine Vorurteile hervorgerufen werden.

Mein Fazit
Ein rundum gelungenes Buch zu einem sensiblen Thema. So mancher Leser dürfte zum Nachdenken angeregt werden.

Mart Schreiber, Es muss brennen
Amazon Distribution, 2016
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Michael Beisteiner, Die kreisrunde Reise des Ika Wendou

Mit „Die kreisrunde Reise des Ika Wendou“ ist dem Wiener Autor Michael Beisteiner ein Kunststück gelungen: Er erzählt eine Geschichte, die Erwachsene und Kinder gleichermaßen fesselt. Zwar ist das von Alex Nemec fantasievoll illustrierte Buch für Kinder ab neun Jahren geschrieben. Jedoch spricht Michael Beisteiner auch Themen an, die auch erwachsene Leser berühren und zum Nachdenken anregen, so etwa Lebensfreude und das Erfüllen von Träumen.

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Der Inhalt
Eigentlich wollten Ikas Eltern mit ihrem Sohn einen Ausflug in die Berge machen. Sein Vater hatte Ika sogar versprochen, eine Klettertour mit ihm zu unternehmen. Jedoch muss der Ausflug abgesagt werden, weil die Eltern plötzlich nach Serbien fliegen müssen, um über ein Trompetenfestival zu berichten. Stattdessen begibt sich Ika auf eine fantastische Reise zum Ursprung der Musik und sucht nach einem kleinen, blauen Vogel. Denn nur dieser kann ihn in seine Welt zurückbringen. Unterwegs trifft er auf zahlreiche seltsame Gestalten wie den weißen Wolf Lumo oder einen sprechenden Baum.

Ein heiteres Buch für Jung und Alt
Michael Beisteiner bedienst sich gekonnt einer kindgerechten Sprache, die aufgrund des malerischen Stils aber auch Erwachsene anspricht. Gerade Leser aus der älteren Generation finden beispielsweise zahlreiche Anregungen, wie sie leichteren Herzen durch das Leben gehen und auf andere Menschen zugehen können.

Obgleich in einigen Passagen ein melancholischer Unterton mitschwingt, überwiegen insgesamt Lebensfreude und Spaß. Besonders sorgfältig hat der Autor übrigens die Namen der Figuren gewählt, die meist eine Alliteration beinhalten. Dadurch ist vor allem bei Kindern der ungebrochene Lesespaß gewährleistet. Erst zum Schluss lüftet Michael Beisteiner das Geheimnis, warum der Protagonist Ika heißt und sorgt damit noch für einen gelungenen Aha-Effekt.

Fazit
Eine fesselnde und fantastische Welt! Die subtile Erzählweise macht das Werk zudem zu einem philosophischen und pädagogisch wertvollen Buch.

Michael Beisteiner, Die kreisrunde Reise des Ika Wendou
Ibera Verlag Wien, 2015
Autoren der Rezension: Harry Pfliegl / Detlef M. Plaisier

Reingelesen: Dasa Szekely, Das Schweigen der Männer

„Wir sind um so viel ärmer, als ihr seid. Wir suchen nicht, wir lassen uns bloß finden. Wenn wir euch leiden sehen, packt uns der Neid. Denn ihr dürft alles fühlen. Und wenn ihr trauert, drückt uns nur der Schuh. Ach, unsere Seelen sitzen wie auf Stühlen und sehn der Liebe zu.“ Nicht von Dasa Szekely, sondern von Erich Kästner. „Ein Mann gibt Auskunft“ heißt das Gedicht. Mit diesem Zitat will Dasa Szekely das Verhältnis zwischen Männern und Frauen auf den Punkt bringen.

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Der Inhalt
Dasa Szekely beschäftigt sich in ihrem Roman mit der (vermeintlichen) Krise des modernen Mannes. Sie arbeitet hauptberuflich als Coach für Männer und kann daher aus erster Hand berichten. Dasa Szekely versucht, das Schweigen „der“ Männer in zahlreichen Situationen zu beschreiben und zu erklären. Warum sitzen viele Männer Probleme nur aus? Warum werden aus scheinbar reifen Persönlichkeiten plötzlich verantwortungslose Nichtstuer? Und was lässt sich gegen den weiteren Absturz des starken Geschlechts unternehmen?

Gute Recherche, viele Wiederholungen
Obwohl die Autorin sehr genau recherchiert hat, um ihre Thesen zu untermauern, wirkt das Buch insgesamt oberflächlich. Der Grund: Dasa Szekeley pauschalisiert und steckt Männer in Schubladen. Dies wird vor allem im Kapitel über Trennungskinder klar, die unter den Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Vater leiden. Die fehlende Reife der Männer sei schuld, meint die Autorin.

Mein Fazit
Ein netter Zeitvertreib und Stoff zum Nachdenken, logisch strukturiert, doch mit zahlreichen inhaltlichen Wiederholungen. Größtes Manko: Während Ursachen ausführlich geschildert werden, kommen Lösungsansätze zu kurz.

Dasa Szekely, Das Schweigen der Männer
Blanvalet Verlag, 2016
Interview mit der Autorin: http://www.randomhouse.de/Interview-mit-Dasa-Szekely-zu-Das-Schweigen-der-Maenner/aid66636.rhd
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Michael Kumpfmüller, Die Erziehung des Mannes

Ist der moderne Mann nichts weiter als ein Weichei? Mit dieser Frage beschäftigt sich Michael Kumpfmüller in seinem jüngsten Roman „Die Erziehung des Mannes“. Der Autor hat dafür die Form eines Entwicklungsromanes gewählt und zitiert mehrfach aus dem Werk „L´Éducation sentimentale“ von Gustave Flaubert.

www.kiwi-verlag.de
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Der Inhalt
Michael Kumpfmüller erzählt die Geschichte des Musikers Georg, dessen Liebesleben ein Fiasko ist. In seiner steht Georg am Ende einer frustrierenden Beziehung zu Katrin. Diese ist selbst schwer gestört und hat sich sieben Jahre lang geweigert, mit Georg zu schlafen. Dies erduldet Georg und leidet. Schließlich lernt er Julika kennen. Sie will mit ihm zusammenziehen, heiraten und eine Familie gründen. Obwohl er mit dieser Frau ebenfalls nicht glücklich wird, zieht Georg mit. Julika ist streitsüchtig und neigt zu ordinärem Schimpfen. Schließlich kommt es zur Scheidung. Und während Georg eine neue Beziehung zu Sonja eingeht, erklärt ihm Julika einen Dauerkrieg, dessen Schauplatz das elterliche Sorgerecht für die drei Kinder ist. Michael Kumpfmüller zeichnet Georg also als einen Mann, dem ein Männlichkeitsbild fehlt.

Ein bemerkenswertes Buch
Schon nach den ersten Zeilen bin ich von Kumpfmüllers Sprache und der Thematik des Romans gefesselt. Schließlich spricht der Autor ein heikles gesellschaftliches Thema an: Den Werdegang eines Mannes im 21. Jahrhundert, als die althergebrachten Normen und Rollenverteilungen nicht mehr gelten. Obwohl dieses Thema in der Literatur beileibe nicht neu ist, überrascht Michael Kumpfmüller mit einem erfrischenden Zugang: Er findet für dieses Thema eine angemessene Sprache und brilliert durch eine reflektierende Erzählweise. Gekonnt springt Kumpfmüller durch verschiedene Zeitebenen im Leben seines Protagonisten, sodass sich dem Leser die Zusammenhänge problemlos erschließen.

Mein Fazit
Rundum gelungen! Trotz des eher tragischen Stoffes lässt sich beim Lesen das eine oder andere Schmunzeln nicht verkneifen.

Michael Kumpfmüller, Die Erziehung des Mannes
Kiepenhauer & Witsch, 2016
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Reingelesen: Christian Schwetz, Am Anfang war das A

Im Sammelband „Am Anfang war das A“ erzählt der Autor Christian Schwetz Geschichten von A bis Z mit humoristischem bis skurrilem Hintergrund. Erzählerisch lässt Schwetz dabei kein Wünsche offen.

Dennoch ist das Bändchen nicht uneingeschränkt empfehlenswert. Das Format der Geschichten fordert heraus: Kurzgeschichten stehen gleichberechtigt neben balladenhaft verfassten Texten. Schwetz erzählt im breiten Wienerisch, was für den deutschen Markt nicht förderlich ist. Dass sich der Autor außerhalb der gewohnten Erzählstruktur bewegt, mit Stilmitteln spielt und diese jeweils den Textpassagen anpasst, spricht für sein handwerkliches Können. Für den Leser fehlt jedoch komplett ein roter Faden.

www.libica.org
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Über den Autor
Aktuell lebt Christian Schwetz als Steuerberater in Wien. Er hatte zwar in den 1980er Jahren literarische Ambitionen, die er neben dem BWL-Studium verwirklichte. Nachdem er seine Diplomarbeit über die wirtschaftliche Lage von Schriftstellern in Österreich beendet hatte, beschloss er, dass Schreiben nicht sein Hauptberuf werden sollte. Er gab den Plan auf, vom Schreiben leben zu wollen und betreibt die Schriftstellerei nun nebenberuflich. Christian Schwetz ist außerdem Gründungs- und Vorstandsmitglied der Initiative „Das Sprech-Initiative für Sprach, Sprech- und Hörkunst“ und arbeitet seit mehreren Jahren mit der Band „Novi Sad“ zusammen.

Das Metier von Christian Schwetz sind neben Mundart und Prosa vor allem Belletristik und Prosa. Vom erzählerischen Können ist ihm nichts abzusprechen, jedoch ist das vorliegende Buch zu unausgegoren. Der Autor vermischt hier Lyrik und Prosa, was den Leser, der das Buch am Stück lesen möchte, verwirrt. Wer hingegen nur gelegentlich zu „Am Anfang war das A“ greifen möchte, um den einen oder anderen Text zu lesen, wird mit dem Werk bestens bedient.

Mein Fazit:
„Am Anfang war das A“ ist von der anfänglichen Konzeption her nicht zuende gedacht. Die Texte sind – einzeln für sich genommen – gut. Jedoch fehlt der inhaltliche Zusammenhang.

Christian Schwetz, Am Anfang war das A
edition libica, Wien 2016
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Eka Kurniawan, Tigermann

Eka Kurniawan, einer der stimmgewaltigsten Erzähler Indonesiens, entführt den Leser in die exotische Welt seines Landes. Genauer gesagt, in einen kleinen, dörflich geprägten Vorort einer Stadt an der südlichen Küste der Insel Java, wo jeder jeden kennt.

Quelle: www.ostasien-verlag.de
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Der Inhalt
Eka Kurniawan steigt direkt in die Erzählung ein, die mit einem brutalen Mord beginnt. Täter ist der erst 20jährige Margio, der als von allen geschätzter Treiber bei der Wildschweinjagd arbeitet. Er hat überraschenderweise seinen Nachbarn getötet – durch einen Biss in die Kehle. Als er für diese Tat zur Rede gestellt wird, rechtfertigt er sich mit den Worten: „Nicht ich habe ihn getötet. Es gibt einen Tiger in meinem Körper“.

Eka Kurniawan schildert die Hintergründe der Tat. Das Werk kreist um schwierige Verhältnisse in der Familie ebenso wie um die Beziehungen zwischen den Nachbarn im dörflichen Indonesien und die Unsicherheiten, die mit der ersten Liebe verbunden sind. Auf weniger als 250 Seiten zeichnet der Autor ein dichtes Bild der sozialen Struktur in dieser Gesellschaft und eine präzise psychologische Darstellung des Hauptcharakters. Zugleich bringt er mit dem im südostasiatischen Raum verbreiteten Tigermythos ein magisches Element in sein Werk ein. Dabei zeichnet sich Eka Kurniawan durch einen äußerst eleganten Erzählstil sowie eine meisterhafte psychologische Betrachtung und Deutung der Handlung seines Protagonisten aus.

Mein Fazit
„Tigermann“ ist eine der beeindruckendsten Neuerscheinungen der asiatischen Literatur des Jahres 2015. Eka Kurniawan vermag es meisterhaft, Leser in die Mythologie der Inselwelt Indonesiens zu entführen.

Eka Kurniawan, Tigermann
Aus dem Indonesischen übersetzt von Martina Heinschke
OSTASIEN Verlag, 2015
Online bestellen: http://www.reihe-phoenixfeder.de/bestellformular.html
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Stephan Abarbanell, Morgenland

Wir schreiben das Jahr 1946. Die gesamte Welt liegt nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs in Trümmern. Genau in diese scheinbar postapokalyptische Welt versetzt Stephan Abarbanell den Leser in „Morgenland“. Es ist ein spannender Thriller mit kleinen Schwächen.

Quelle: www.randomhouse.de
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Der Inhalt
Der Leser begleitet die Protagonistin Lylia Wasserfall. Sie engagiert sich aktiv im palästinensischen Widerstand gegen die britische Mandatsmacht. Sie würde gern bei Sabotageakten eingesetzt werden, jedoch wird sie stattdessen auf eine sehr viel heiklere Mission geschickt: Sie soll im Nachkriegsdeutschland nach Raphael Lind suchen. Der jüdische Wissenschaftler soll angeblich in einem Konzentrationslager ermordet worden sein, allerdings gibt es Hinweise, dass er noch am Leben ist. Lylia Wasserfall macht sich auf die Reise durch das zerstörte Europa und hat neben dem britischen Geheimdienst zusätzlich einen mysteriösen Verfolger auf den Fersen. Jener will offensichtlich verhindern, dass sie den Wissenschaftler findet.

Ein Schmankerl für Geschichts-Fans?
Der rbb-Kulturchef Stephan Abarbanell begibt sich mit seinem Debütroman auf ein relativ gewagtes Terrain gewagt. Schließlich gibt es kaum belletristische Werke zur unmittelbaren Nachkriegszeit. Auf den ersten Blick meistert er dieses Terrain, das vor allem historisch interessierte Leser begeistert, scheinbar mit Bravour. Ich kann mich als Leser hervorragend in die Hauptfigur hineinversetzen, die Handlung verspricht pure Spannung. Allerdings scheint der Autor keinen rechten roten Faden für seine Geschichte gefunden zu haben. Denn je weiter der Roman fortschreitet, umso flacher wird die Geschichte. Abarbanell streift zahlreiche Themen und lässt sie wieder fallen. Und auch vielen handelnden Personen fehlt die rechte Tiefe. Selbst die Widerstandskämpferin Lylia Wasserfall lässt eine persönliche Entwicklung vermissen, was angesichts eines vielversprechenden Anfangs schade ist.

Mein Fazit
Der Autor spickt „Morgenland“ mit zahlreichen guten Ideen, setzt diese aber nur relativ dürftig um.  Dennoch ist das Buch eine empfehlenswerte Lektüre für historische interessierte Leser, die hier Anregungen für eigene Spurensuche erhalten.

Stephan Abarbanell, Morgenland
Karl Blessing Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Morgenland-9783896675170
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Marceline Loridan-Ivens, Und du bist nicht zurückgekommen

Mit „Und du bist nicht zurückgekommen“ hat Marceline Loridan-Ivens eine herzzerreißende Liebeserklärung einer Tochter an ihren Vater verfasst. Zusammen mit ihrem Vater wurde die Autorin 1944, im Alter mit 15 Jahren, von den Nationalsozialisten deportiert. Sie kam nach Birkenau, der Vater nach Auschwitz. Die Mutter entkam mit zwei Geschwistern dem Zugriff der Nazis nur knapp. Siebzig Jahre später schreibt die überlebende Tochter einen Brief an den Vater, den er nie lesen wird.

Quelle: www. suhrkamp.de
Quelle: www. suhrkamp.de

Der Inhalt
Die Autorin versucht etwas schier Unmögliches: Sie will dem unaussprechlichen Leid, das die nationalsozialistische Herrschaft vor allem über viele jüdische Familien brachte, eine Stimme geben. Schon kurz nach der gemeinsamen Ankunft in Auschwitz wird sie von ihrem Vater getrennt und landet im drei Kilometer entfernten Birkenau. Trotz der strengen Kontrollen im Konzentrationslager gelingt es ihrem Vater, Marceline noch eine Nachricht zukommen zu lassen, deren Inhalt sie jedoch wenig später vergessen hat.

Für die heutige Generation sind die Zustände und Vorgänge in den Konzentrationslagern unvorstellbar. Dazu gehört auch eine Begegnung der Autorin mit Josef Mengele, der in Auschwitz als Lagerarzt tätig war und unmenschliche, grausame medizinische Experimente an den Häftlingen vornahm. Obwohl die Nachricht des Vaters in Vergessenheit geriet, bleiben die Erinnerungen an die Zeit der Nazi-Herrschaft für immer im Gedächtnis und auf der Haut der Autorin eingebrannt. Sie wurde mit der Zahl 78750 gebrandmarkt, die sie das ganze Leben über als schreckliche Gefährtin begleiten sollte, wie sie selbst sagt.

Die Autorin bedient sich in ihrem Werk einfacher und klarer Sätze. Genau das erzeugt Kälte und Schrecken. Einer der Schlüsselsätze dürfte das Bekenntnis sein „Ich liebte dich so sehr, dass ich glücklich war, mit dir deportiert zu werden“, das auf den heutigen Leser einfach nur erschütternd wirkt.

Mein Fazit
Der Autorin gelingt es auf nur knapp mehr als 100 Seiten eine komplexe Geschichte zu erzählen, die das Grauen des Dritten Reiches lebendig macht. Beeindruckend, bedrückend und ein wichtiges Dokument der jüngeren Geschichte.

Marceline Loridan-Ivens, Und du bist nicht zurückgekommen
In der Übersetzung von Eva Moldenhauer
Insel Verlag, 2015
Gespräch mit der Autorin: https://www.youtube.com/watch?v=zLLyeREWrrk
Gespräch mit der Autorin (französische Sprache): https://www.youtube.com/watch?v=jLa7Erf5eHI
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Und-du-bist-nicht-zurueckgekommen-9783458176602
Autor der Rezension: Harry Pfliegl