Rezension: Jennifer Niven, All die verdammt perfekten Tage

Auf den ersten Blick ist „All die verdammt perfekten Tage“ eine typische Teenager-Lovestory. Doch dieser Eindruck täuscht gewaltig: Jennifer Niven erzählt in dieser eindringlich düsteren Geschichte von einem Mädchen, das von einem Jungen mit Todessehnsucht lernt, das Leben zu lieben und zu genießen.

www.randomhouse.de
www.randomhouse.de

Der Inhalt
Jennifer Niven präsentiert zwei Protagonisten: Da ist Finch, ein Junge, dessen Gedanken sich nur allzu oft um den Tod drehen. Eigentlich ist er hochintelligent, literarisch bewandert und schreibt selbst Songs. Doch leider hat er Depressionen, die scheinbar bis in die früheste Kindheit zurückreichen. Diese Krankheit führt ihn eines Tages auf einen Glockenturm, wo er sich fragt, ob heute ein guter Tag zum Sterben sei. Jedoch ist Finch nicht allein an diesem Ort. Oben auf der Spitze des Turmes steht Violet, die zu den beliebtesten Mädchen in der Schule gehört. Sie denkt über die gleiche Frage nach wie Finch. Bald entsteht zwischen diesen beiden unterschiedlichen Charakteren eine ganz besondere Verbindung. Gemeinsam führen sie den Kampf gegen die Dunkelheit ihres Lebens.

Mehr als nur die typischen Klischees
Zugegeben: Die Autorin spielt gekonnt mit den typischen Klischees, die Leser von einem Teenagerroman erwarten. So ist Violet das beliebteste Mädchen in der Schule, während Finch eher für den geheimnisvollen Außenseiter steht. Jedoch verleiht Jennifer Niven ihren Figuren ein hohes Maß an Individualität, etwa durch das Stilmittel, ihre Protagonisten abwechselnd aus der Ich-Perspektive erzählen zu lassen. Dadurch werden die Emotionen und inneren Konflikte, die Violet und Finch quälen, offensichtlich.

Obwohl Jennifer Niven ein ernstes Thema aufgreift, mit dem zahlreiche Jugendliche kämpfen, erzählt sie die Geschichte mit leichter Feder. Es gelingt ihr meisterhaft, die oft sehr ernsten und tiefgründigen Gespräche der Protagonisten mit witzigen Dialogen aufzulockern, sodass Violet und Finch mir als Leser schnell ans Herz wachsen.

Mein Fazit
„All die verdammt perfekten Tage“ ist ein absolut lesenswerter Roman. Jennifer Niven greift nicht allein ein schwieriges Thema äußerst sensibel auf, sondern stellt auch die Liebesgeschichte – die innerhalb der Handlung aber eher eine untergeordnete Rolle spielt – einfühlsam dar.

Jennifer Niven, All die verdammt perfekten Tage
Limes Verlag München, 2015
Die Autorin Jennifer Niven ist Gründerin und Betreiberin von „Germ“, einem Online-Magazin für Bücher und Lifestyle-Themen. Klick hier: www.germmagazine.com
Interview mit der Autorin: http://www.randomhouse.de/webarticle/aid62865.rhd
Trailer zum Buch hier
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/All-die-verdammt-perfekten-Tage-9783809026570
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Majgull Axelsson, Ich heiße nicht Miriam

Ist wirklich noch ein weiteres Buch über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust nötig, nachdem das Thema seit mehr als fünf Jahrzehnten in der belletristischen Literatur dauerpräsent zu sein scheint? Diese Frage lässt sich nach der Lektüre von „Ich heiße nicht Miriam“ eindeutig mit Ja beantworten. Die Autorin beleuchtet das Thema aus einem völlig neuen Blickwinkel und gibt dem Schrecken des Krieges ein Gesicht und einen Namen.

www.ullsteinbuchverlage.de
www.ullsteinbuchverlage.de

Erinnerung als Roma an die Naziherrschaft
Majgull Axelsson erzählt die Geschichte der Miriam Guldenberg. Sie bekommt an ihrem 85. Geburtstag von der Familie einen silbernen Armreif geschenkt, in den ihr Name eingraviert ist. Miriam kommentiert das Geschenk mit den Worten, dass ihr Name nicht Miriam sei. Jetzt brechen sich Erinnerungen Bahn und die Familie erfährt die wahre Geschichte der Protagonistin. Miriam erzählt sie zum ersten Mal davon, wie ihr Leben als Roma unter nationalsozialistischer Herrschaft verlief und wie sie später unter jüdischem Deckmantel in Schweden lebte.

Weil den brutalen Aufseherinnen im Konzentrationslager zerlumpt erscheinende Häftlinge ein Dorn im Auge waren, hatte die Protagonistin kurzerhand die eigenen Kleider abgestreift und war in die saubere Kleidung einer Toten geschlüpft, womit die Zigeunerin Malinka auch ihre Identität gewechselt hatte. Es gelingt ihr mit eisernem Willen, die Konzentrationslager in Auschwitz-Birkenau und Ravensbrück zu überleben. Nach Kriegsende gelangt die vermeitliche Miria schließlich nach Schweden, wo sie versucht, sich unter falschem Namen und mit falscher Religion zu integrieren.

Sensibel und aktuell
Majgull Axelsson schlägt mit „Ich heiße nicht Miriam“ einen sensiblen Bogen von den Schrecken und den Folgen der Naziherrschaft zur aktuellen Flüchtlingsproblematik. Auch damals stellte die Integration der zahllosen Flüchtlinge ein massives Problem für die einheimische Bevölkerung dar. Die Autorin schildert die Schrecken ihrer Protagonistin sensibel und stilsicher. Sie schildert herausragend, wie die Annahme einer fremden Identität immer mehr zur Realität wird, sodass die eigentliche Herkunft zu einem fernen Schimmer in der Erinnerung verblasst.

Mein Fazit: „Ich heiße nicht Miriam“ ist ein empfehlenswerter Roman, der den Überlebenskampf in unmenschlichen Zeiten glaubhaft schildert. Majgull Axelsson ist ein fesselnder Roman über entwurzelte Menschen in dunklen Epochen der Geschichte gelungen.

Majgull Axelsson, Ich heiße nicht Miriam
List, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Ich-heisse-nicht-Miriam-9783471351284
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Karl Ove Knausgård, Leben

Mancher Leser ist von den ersten Seiten des Romans vielleicht gelangweilt, doch andere sind von der ersten Seite an gefesselt. In „Leben“, dem vierten Teil seines autobiographischen Projekts, schildert der Autor die Zeit Mitte der 1980er Jahre, als er in einen neuen Lebensabschnitt startete.

www.randomhouse.de
www.randomhouse.de

Darum geht es im Leben
Nachdem Karl Ove Knausgård mit 18 das Gymnasium abgeschlossen hatte, ging er zunächst mit großen Plänen in den Norden Norwegens. Dort wollte er Schriftsteller werden, sich dem Alkohol und Sex hingeben und vor allem geregelte Arbeit vermeiden. Doch sobald der Protagonist seine Stelle angetreten hat, springt der Autor auch schon in die Vergangenheit. Der Leser erfährt von den Besäufnissen des Protagonisten, welche Musik er am liebsten gehört und welche Bücher er am liebsten gelesen hat. Der Autor erzählt sein Leben also nahezu lückenlos nach. Überstrahlt wird die Geschichte von der großen Frage nach der Zukunft und dem Verhältnis des Protagonisten zu seinem Vater.

Chronologie? Unnötig!
Zwar schildert Karl Ove  Knausgård den Kampf seines Lebens, allerdings alles andere als chronologisch. Er springt zwischen den Zeiten, wie eben gerade die Erinnerungen kommen. Damit dürfte sich „Leben“ eher als Entwicklungsroman einordnen lassen, in dem ein junger Mensch versucht, seinen Platz im Leben zu finden. Dabei ist das Ziel für den Protagonisten klar: Er ist nicht in den Norden des Landes gereist, um Menschen kennenzulernen oder Erfahrungen zu machen, sondern um Ruhe zu finden. Zudem erzählt der Autor in seiner bekannt schmucklosen Weise vom Umgang mit den Schülern, die nur wenig jünger sind als er, und deren Selbstfindungsprozess. Zwar wirkt dieser Stil oft ausufernd, jedoch meist auch gnadenlos ehrlich. Es scheint, als hätte er die Reise in den Norden nur angetreten, um sich des Vaters zu entledigen. Jedoch kehrt er später zu ihm zurück, als er aus dessen Notizen zitiert.

Mein Fazit
Karl Ove Knausgård erzählt die bewegende Geschichte eines jungen Menschen, der sich von seinem zunehmend alkoholsüchtigen Vater abnabeln möchte. Er meistert dies auf eine äußerst unaufgeregte Weise und schildert in erster Linie die tatsächliche oder fiktive Realität. Wer den Stil und fiktional erzählte Realität mag, wird „Leben“ lieben.

Karl Ove Knausgård, Leben
Luchterhand, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Leben-9783630874135
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Benjamin Percy, Jemand wird dafür bezahlen müssen

Benjamin Percy legt in seiner Kurzgeschichten-Sammlung „Jemand wird dafür bezahlen müssen“ Erzählungen über das Erwachsenwerden vor, über die Kämpfe junger Männer mit ihren ganz persönlichen Dämonen, und über die Narben, die danach auf der Seele zurückbleiben. Zehn Geschichten über junge Männer, die glauben, sich und der Welt beweisen zu müssen, dass sie stark, unabhängig und unverletzbar sind – und daran scheitern.

www.randomhouse.de
www.randomhouse.de

Das Leben ist kein Kinderspiel
Angesiedelt in einer ländlichen Gegend in Oregon, in Kleinstädten am Fuße der Cascade Mountains, zeigen Percys Geschichten jene Probleme auf, die sonst gerne totgeschwiegen werden: Es ist die Hoffnungslosigkeit amerikanischer Jugendlicher, die im ländlichen Raum kaum Zugang zu Bildung haben, die sie aus der Kleinstadt entkommen ließe. Es sind die eintönigen Jobs und immer dieselben Hobbys: Jagen, Fischen, Autotuning. Es ist der Irak-Krieg, der vielen Familien die Väter, Brüder und Söhne nimmt oder sie als traumatisierte Veteranen heimkehren lässt. Und es sind die traditionellen Vorstellungen von Ehe und Familie und darüber, wie ein „richtiger Mann“ zu sein hat. Das alles prägt das Leben der Hauptfiguren in Percys Erzählungen. Ob Teenager, deren Väter aus der Tristesse der Kleinstadt in den Irak-Krieg geflohen sind und die nun täglich vergeblich auf Emails hoffen, ob ein verrückter Bär, der einen Jagdausflug zum Alptraum werden lässt, oder eine Fehlgeburt, die ein junges Paar an die Grenzen seiner Belastbarkeit treibt – die Auslöser für die Bewährungsproben sind vielfältig. Und es braucht den ganzen Mut der Protagonisten, damit umzugehen.

Das öde Land zwischen den Zeilen
Benjamin Percy zeigt in seinen Erzählungen Menschen und Situationen, die eintönig, grau und ein hoffnungslos sind. Die Benachteiligung der amerikanischen Kleinstädte ist zwischen den Zeilen greifbar. Schleppend, fast träge lesen sich die Geschichten, immer unaufgeregt und gleichmütig fließen sie dahin. Auch dann, wenn Menschen töten oder verzweifeln  – die Sprache bleibt gleich. Durch diese scheinbare Banalisierung schrecklicher Ereignisse wirken diese jedoch umso plastischer und lassen begreifen, warum die Protagonisten so geworden sind, warum sie so leben.

Mein Fazit
Der Erzählstil und die Tristesse sind gewöhnungsbedürftig. Die Langsamkeit der Geschichten ließ mich schon einmal ein paar Seiten nach vorne blättern, in der Hoffnung, die Handlung nimmt Fahrt auf. Doch dabei überliest man leicht den entscheidenden Punkt – und beginnt wieder von vorn. Eine Kurzgeschichten-Sammlung für jene, die das stille Grauen unter einer scheinbar biederen Fassade sehen und sich darauf einlassen wollen.

Benjamin Percy, Jemand wird dafür bezahlen müssen (in der Übersetzung von Klaus Berr)
Luchterhand, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Jemand-wird-dafuer-bezahlen-muessen-9783630874647
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Jodi Picoult, Bis ans Ende der Geschichte

Schuld und Sühne sind verlässlich wiederkehrende Motive der Literatur. Jodi Picoult nimmt sich dieses Themas anhand zweier sehr unterschiedlicher Menschen an. Beide tragen eine tatsächliche Schuld mit sich herum, die jedoch gefühlt viel größer ist. Beide wünschen sich Vergebung und Erlösung, doch wer soll ihnen vergeben, wenn die, die es könnten, tot sind?

www.randomhouse.de
www.randomhouse.de

Die Außenseiterin und der alte Mann
Sage Singer ist eine junge Frau, die ihre Leidenschaft im Backen gefunden hat. Brötchen, Striezel, Brote, Kuchen, sie mischt Teige, backt und verziert. Sie arbeitet nachts, damit am Morgen jeder frisches Gebäck kaufen kann – und damit sie den Menschen aus dem Weg gehen kann. Denn sie trägt eine Narbe von einem Autounfall, die niemand sehen soll, von der niemand wissen soll; zu sehr schmerzt die Erinnerung an dieses Ereignis. Eines Abends kommt der pensionierte Deutschlehrer Josef Weber in die Bäckerei. Zwischen Sage und Josef entsteht sofort eine tiefe Freundschaft. Beide verbindet eine Schuld, die niemals gesühnt wurde.

Als Josef Sage sein schreckliches, lange verborgenes Geheimnis offenbart und Sage gleichzeitig bittet, ihm beim Sterben zu helfen, stürzt diese in einen tiefen Gewissenskonflikt. Josef, der in Nazi-Deutschland viele Menschen getötet hat, möchte endlich von seinen Qualen erlöst werden. Aber darf und kann Sage überhaupt entscheiden, ob ihm diese Erlösung zu teil werden kann? Anhand ihres inneren Konfliktes beginnt Sage schließlich, auch für sich zu begreifen, dass Schuld und Strafe nicht immer absolut sein müssen.

Das ewige Thema Nazi-Deutschland
Für viele amerikanische Autoren sind die Nationalsozialisten ein faszinierender Stoff für immer wieder neue Geschichten. Es ist das große Verdienst von Jodi Picoult, in ihrem Buch differenzierter zu agieren als viele andere amerikanische Autoren. Ihre Protagonisten sind nicht nur gut oder nur böse, sie offenbaren zwei Seiten und werden durch ihr soziales Umfeld geformt. Durch die Schilderung der Situationen aus dem Blickwinkel von Tätern, Opfern und weiteren Beteiligten lässt Picoult ein Bild entstehen, das viel tiefer greift als der „übliche Nazi-Roman“. Die Integration einer Geschichte in der Geschichte hilft viel mehr als jede Beschreibung zu begreifen, wie sehr Gut und Böse in jedem von uns wohnen.

Mein Fazit
Die unterschiedlichen Handlungsstränge führen zu spannender Unterhaltung, werden doch die Verflechtungen der Schicksale damit erst nach und nach sichtbar. Dennoch ist das Gesamtkonstrukt zu berechenbar, doch etwas zu sehr typisch amerikanischer Roman mit Happy End und Liebesgeschichte. „Bis ans Ende der Geschichte“ ist damit ein netter, leicht zu lesender Roman, der sich mit seiner differenzierten Betrachtungsweise der Charaktere wohltuend abhebt.

Jodi Picoult, Bis ans Ende der Geschichte (in der Übersetzung von Elfriede Peschel)
Bertelsmann, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Bis-ans-Ende-der-Geschichte-9783570102176
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Alain Claude Sulzer, Aus den Fugen

Der Flügelschlag eines Schmetterlings könne an einem anderen Ort der Welt einen Tornado auslösen, sagt man. Doch wie viel stärker und unmittelbarer ist dieser Effekt, wenn die Entscheidung eines Einzelnen das Leben der Menschen um ihn herum direkt beeinflusst? Alain Claude Sulzer geht in seinem Roman „Aus den Fugen“ dieser Frage nach und zeigt, wie sehr die Schicksale völlig Fremder plötzlich miteinander verbunden sein können.

www.galiani.de
www.galiani.de

Ein Pianist, ein Konzert und viele Enden
Marek Olsberg wird als Pianist auf den klassischen Bühnen dieser Welt gefeiert. Er spielt in New York, London, Tokio, Wien, Amsterdam – und in Berlin. Immer begleitet von seiner treuen Assistentin Astrid Maurer, lebt er größtenteils aus dem Koffer in den besten Hotels der jeweiligen Städte. Eigentlich mag Olsberg sein Leben, doch mitten in der Hammersonate des Berlin-Konzerts bricht er ab, schließt den Klavierdeckel und verlässt den Saal mit den Worten „Das war‘s“. Unbemerkt verschwindet er anschließend in die Nacht, befreit aus seinem goldenen Käfig.

Olsbergs plötzlicher Entschluss ist der Auslöser für tiefgreifende Veränderungen bei vielen Menschen. Olsberg beschließt, seinem Leben eine neue Wendung zu geben. Esther, die viel früher nach Hause kommt als geplant, muss feststellen, dass ihr Ehemann nicht wie erwartet daheim ist. Johannes, der Wirtschaftsboss, verzichtet auf das Konzert, verbringt einen Abend mit Marina vom Escort-Service und erlebt eine Überraschung. Nico, der sich auf ein Treffen mit Olsberg freute, geht wegen eines Streits mit seinem Liebhaber dann doch eher ins Kino. All diesen Schicksalen ist eines gemeinsam: es genügt eine winzige Veränderung, und schon ist das Leben komplett aus den Fugen geraten.

Viele Stränge ergeben ein Ganzes
Sulzer erzählt die Ereignisse nicht stringent, sondern schildert die Schicksale aus der Sicht der jeweiligen Protagonisten. Dass dabei Zeitsprünge auftreten, ist logisch und macht die Geschichte umso reizvoller. Mit einer teilweise anspruchsvollen Sprache führt der Autor durch die verschiedenen Leben, verwebt sie zu einer schlüssigen Geschichte mit vielen Aspekten, die alle um eine einzige unerwartete Entscheidung kreisen.

Mein Fazit
„Aus den Fugen“ führt dem Leser vor Augen, dass er nicht allein lebt und dass Entscheidungen andere Menschen weit mehr beeinflussen können als angenommen. Jeder Protagonist ist in seinem Handeln schlüssig, und doch wollte ich so manches Mal in das Buch schlüpfen, um selbst etwas zu verändern. Lebendig erzählt, bleibt „Aus den Fugen“ trotzdem insgesamt eher an der Oberfläche der menschlichen Psyche und wird damit zu einem leichten Lesevergnügen für alle, die klassische Erzählungen schätzen.

Alain Claude Sulzer, Aus den Fugen
Galiani Berlin, 2012
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Aus-den-Fugen-9783869710594
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Cecelia Ahern, Der Glasmurmelsammler

Die irische Autorin Cecelia Ahern entführt ihre Leser gemeinsam mit der Protagonistin Sabrina auf eine faszinierende Spurensuche in die Vergangenheit ihres Vaters Fergus. Dieser hatte Zeit seines Lebens ein Doppelleben geführt, das er sogar vor seiner Familie verbergen konnte.

www.fischerverlage.de
www.fischerverlage.de

So beginnt die Spurensuche
Nach einem Schlaganfall lebt Sabrinas Vater Fergus ohne Erinnerung an die eigene Vergangenheit in einem Pflegeheim. Sabrina wird schlagartig mit der Vergangenheit ihres Vaters konfrontiert, als mehrere Kisten zu Fergus ins Heim geliefert werden. Diese enthalten die Glasmurmelsammlung des Vaters, in der jedoch einige wertvolle Stücke fehlen. Sabrina begibt sich auf die Suche nach den fehlenden Stücken und zugleich auf eine Spurensuche in die Vergangenheit. Sie entdeckt, dass ihr Vater über Jahrzehnte hinweg ein Doppelleben geführt hatte, um seine Leidenschaft für das Murmelsammeln und für illegale Wettspiele vor der Familie zu verheimlichen. Entfacht wurde diese Leidenschaft bereits in der Kindheit, als ein Priester Fergus rote Glasmurmeln schenkte.

Zwei Handlungsfäden laufen zusammen
Cecelia Ahern teilt die Geschichte von Fergus und Sabrina in zwei Handlungsstränge auf: Während die Lebensgeschichte des Vaters in der Vergangenheit spielt und in die Gegenwart führt, handelt Sabrina ausschließlich in der Gegenwart, wo sie die Vergangenheit erkunden will. Fergus entpuppt sich im Lauf der Geschichte als engstirniger Sexist, der sich für seine Familie schämt und mit sich selbst nicht mehr im Reinen ist. Nach den Schilderungen der Kindheit liefern die Kapitel zu Fergus nur noch Hintergrundinformationen ohne weitere Substanz. Zwar komponiert die Autorin die beiden Handlungsstränge zu einem insgesamt hervorragenden Gesamtwerk, jedoch wirkt der Schluss zu einfach gestrickt.

Mein Fazit
Der Glasmurmelsammler beschert trotz einiger Schwächen gute Unterhaltung, die vor allem die zwischenmenschlichen Facetten ausleuchtet. Besonders faszinierend ist die Leistung, über Jahrzehnte hinweg ein Doppelleben aufrecht zu erhalten.

Cecelia Ahern, Der Glasmurmelsammler (in der Übersetzung von Christine Strüh)
FISCHER Krüger, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Der-Glasmurmelsammler-9783810501523
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Stephan Abarbanell, Morgenland

Wir schreiben das Jahr 1946. Die gesamte Welt liegt nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs in Trümmern. Genau in diese scheinbar postapokalyptische Welt versetzt Stephan Abarbanell den Leser in „Morgenland“, einem spannenden Thriller mit kleinen Schwächen.

www.randomhouse.de
www.randomhouse.de

Die Geschichte von Morgenland
Der Leser begleitet die Protagonistin Lylia Wasserfall auf ihrem Abenteuer. Lylia engagiert sich aktiv im palästinensischen Widerstand gegen die britische Mandatsmacht. Sie würde gern bei Sabotageakten eingesetzt werden, jedoch wird sie stattdessen auf eine sehr viel heiklere Mission geschickt: Sie soll im Nachkriegsdeutschland nach Raphael Lind suchen. Der jüdische Wissenschaftler soll angeblich in einem Konzentrationslager ermordet worden sein, allerdings gibt es Hinweise, dass er noch am Leben ist. Lylia Wasserfall macht sich auf die Reise durch das zerstörte Europa und hat neben dem britischen Geheimdienst zusätzlich einen mysteriösen Verfolger auf den Fersen. Er will offensichtlich verhindern, dass Lylia den Wissenschaftler findet.

Ein Schmankerl für Geschichts-Fans?
Der rbb-Kulturchef Stephan Abarbanell hat sich mit seinem Debütroman auf ein relativ gewagtes Terrain begeben. Schließlich gibt es kaum belletristische Werke, die sich mit der unmittelbaren Nachkriegszeit beschäftigen.

Auf den ersten Blick meistert er dieses Terrain, das vor allem historisch interessierte Leser begeistert, mit Bravour. Der Leser kann sich hervorragend in die Hauptfigur hineinversetzen, die Handlung verspricht pure Spannung. Allerdings findet der Autor keinen roten Faden für seine Geschichte. Je weiter der Roman fortschreitet, umso flacher wird die Geschichte. Abarbanell streift zahlreiche Themen und bricht sie dann ab. Vielen der handelnden Personen fehlt Tiefe. Und auch die Widerstandskämpferin Lylia Wasserfall lässt eine persönliche Entwicklung vermissen, was besonders angesichts eines vielversprechenden Anfangs schade ist.

Mein Fazit
Der Autor hat „Morgenland“ gespickt mit zahlreichen guten Ideen, diese aber nur dürftig umgesetzt. Dennoch ist „Morgenland“ eine lohnenswerte Lektüre für historische interessierte Leser.

Stephan Abarbanell, Morgenland
Karl Blessing Verlag, 2015
Buchtrailer: morgenland-roman.de
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Morgenland-9783896675170
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Antoine Laurain, Der Hut des Präsidenten. Wie eine Kopfbedeckung das Leben verändern kann.

Der französische Autor Antoine Laurain nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise ins Frankreich des Jahres 1986. Er schildert die Träume verschiedener Menschen und wie sie durch scheinbar wundersame Begebenheiten wahr werden können.

www.hoffmann-und-campe.de
www.hoffmann-und-campe.de

Wie ein Abendessen das Leben verändert
Eine der tragenden Figuren der Geschichte ist der unscheinbare Buchhalter Daniel Mercier. Er träumt davon, selbst Chef zu werden, jedoch mangelt es ihm an dem nötigen Selbstbewusstsein für eine Karriere. Das ändert sich schlagartig, als er sich zu einem spontanen Abendessen in einer vornehmen Brasserie entschließt. Denn plötzlich setzt sich Präsident François Mitterrand, von dem Daniel Mercier äußerst fasziniert ist, mit zwei Begleitern an den Nebentisch. Der Präsident vergisst jedoch nach dem Essen seinen Hut, den Daniel Mercier kurzerhand an sich nimmt – und schon bald soll sich Leben schlagartig ändern: Allein das Wissen, dass er den Hut des Präsidenten trägt, gibt Daniel Mercier Selbstbewusstsein und Zuversicht. Doch der Hut bleibt nicht in seinem Besitz. Wie von Zauberhand geführt, wechselt der Hut seine Träger in rascher Folge und zeigt immer dieselbe Wirkung: Das Leben der jeweiligen Besitzer ändert sich radikal zum Besseren.

Eine charmante Erzählung
Es gelingt Antoine Laurain, nicht zuletzt dank seiner knappen und dennoch präzisen Erzählweise, die Schicksale von fünf Menschen zu einer kurzweiligen Geschichte zu verweben. Ich habe mich in so manchem Charakter und dessen rascher Verhaltensänderung wiedererkannt. Der eigentliche Held der Geschichte ist der rote Filzhut des Präsidenten, um den Antoine Laurain den roten Handlungsfaden webt. Dass der Autor gegen Ende der Erzählung noch einen Bogen über alle handelnden Charaktere spannt, rundet die Geschichte gelungen ab.

Mein Fazit
Antoine Laurain ist ein kurzweiliges Buch gelungen, in das sich der Leser schnell hinein findet. Vor allem Liebhaber des französischen Charmes in Erzählungen dürften ihre wahre Freude haben.

Antoine Laurain, Der Hut des Präsidenten
Aus dem Französischen übersetzt von Claudia Kalscheuer
Hoffmann und Campe, Hamburg 2016
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Der-Hut-des-Praesidenten-9783455650228
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Rebecca Maria Salentin, Schuld war Elvis. Die Geschichte einer skurrilen Großfamilie.

Rebecca Maria Salentin erzählt die Geschichte der jungen Hebron, die fast an der Verantwortung für ihre Geschwister zerbricht, letztlich aber doch ihren Weg findet. Angereichert ist die Geschichte mit zahlreichen Skurrilitäten, die sich eben in einer großen Familie mit facettenreichen Persönlichkeiten zutragen.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Immer nur Pech mit Männern
Dass Hebron, die in den 1970er Jahren in der Eifel aufwächst, auf diesen eigenwilligen Namen getauft wurde, verdankt sie ihrem Vater. Er hat Hebrons Mutter Peggy nach der Zeugung verlassen. Doch auch die weiteren Versuche, Glück in der Liebe zu finden, sind für Peggy zum Scheitern verurteilt: Der örtliche Friseur liebt sie zwar aufrichtig, stirbt jedoch bei einem Autorennen. Nach einer amourösen Affäre mit einem katholischen Mönch und einer Ehe mit einem Rastafari, der mehr Wert auf das Gedeihen seiner Haschplantage legt als auf seine Familie, muss Peggy die Familie alleine ernähren. Hebron kümmert sich um den Haushalt und die kleineren Geschwister. An dieser Last zerbricht sie fast und reist nach Israel, um sich auf die Spuren ihres Vaters zu machen. Dort kommt alles anders als erwartet…

Die Story: zu verschachtelt
Ein Blick in den Anhang des Buches, wo die handelnden Personen kurz vorgestellt werden und ein Stammbaum abgebildet ist, lässt schon erahnen, dass den Leser nicht unbedingt leichte Kost erwartet: An die 50 Personen spielen eine Rolle im Roman. Für jede dieser Figuren hat sich Rebecca Maria Salentin einen eigenen Hintergrund und eigene Plots einfallen lassen. Lobenswert, doch genau das macht es für den Leser schwierig, sich in die Handlung einzufinden und den Überblick zu behalten. Hier wäre im Sinne der Lesefreundlichkeit weniger mehr gewesen.

Mein Fazit
Trotz des schwierigen Zugangs zur Handlung erweist sich Rebecca Maria Salentin als große Erzählerin mit leichtem und lockerem Stil. „Schuld war Elvis“ empfiehlt sich allerdings nicht für Leser, die täglich nur ein paar Seiten lesen möchten. Dieses Buch sollte besser in einem Rutsch gelesen werden.

Rebecca Maria Salentin, Schuld war Elvis
Bertelsmann Verlag München, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Schuld-war-Elvis-9783570102121
Autor der Rezension: Harry Pfliegl