Rezensionsreihe Israel zur Leipziger Buchmesse 2015, Teil 6: Meir Shalev, Zwei Bärinnen

Eigentlich möchte die Historikerin Warda nur ein Buch über die erste jüdische Besiedlungswelle vor der Gründung des Staates Israel schreiben. Dafür interviewt sie Menschen wie die Lehrerin Ruth, welche diese Zeit zumindest noch vom Hörensagen her kennen. Ruth Familie lebt seit drei Generationen in einem Dorf im Norden Israels. Ihre Geschichte ist aber komplett anders, als es die Historikerin erwartet hatte. Die Familiengeschichte mutet eher als eine parabelhafte Tragödie biblischen Ausmaßes an, geprägt von Leidenschaft, Untreue, Verlust, animalischer Rache und Sühne.

Quelle: diogenes.tumblr.com
Quelle: diogenes.tumblr.com

Alles, was ein Mann braucht
Als Ruths Großvater Seev Ende der 1920er aus Galiläa aufbricht, um in Palästina sein Glück zu finden, geben ihm die Eltern alles mit, was ein Mann zur Ansiedlung braucht: ein Gewehr, eine Kuh, einen Baum und eine Frau. Gemeinsam mit seinem Freund Nachum gründet er einen Moschaw, einen genossenschaftlich geführten Hof. Obwohl sich Seev redlich müht, bleibt er zunächst als Gärtner erfolglos. Um das Unglück perfekt zu machen, ist er in den ersten Jahren seiner Ehe auch noch impotent. Seevs Frau betrügt ihn mit Nachum und wird schwanger. Daraufhin bringt Seev Nachum um, lässt die Tat jedoch als Selbstmord erscheinen, weil sich im Dorf zuvor schon zwei Bauern umgebracht hatten. Das Neugeborene lässt er in der Wildnis verhungern. Nun beginnt eine Spirale der Gewalt, die wie ein Fluch über Ruths Familie zu liegen scheint. Der Fluch ist erst gebannt, als Seev selbst durch die Hand von Banditen in der Wüste stirbt.

Meisterhaft erzählt
Meir Shalev beweist mit „Zwei Bärinnen“, dass er zu Recht als einer der großen Erzähler Israels gilt. Er erzählt nicht chronologisch, sondern der Leser muss den Handlungsfaden selbst aus verschiedenen Facetten zusammensetzen. Shalev bedient sich hierfür der Erzählweise älterer Menschen, die ihren Enkeln das Vermächtnis ihres Lebens mitgeben. Die leichte, phasenweise amüsante Entwicklung der Geschichte ließ mich oft schmunzeln.

Mein Fazit
Zwei Bärinnen ist eine rundum gelungene Familiensaga, in der zwischenmenschliche Tragödien statt politischer Ereignisse im Vordergrund stehen. Zum besseren Verständnis sollte sich der Leser zumindest für die jüngere Geschichte des Nahen Ostens interessieren. Auch der Stil, wie Meir Shalev seine Geschichte entwickelt, ist auf den ersten Seiten gewöhnungsbedürftig, hebt sich aber wohltuend vom Mainstream ab. Lesen!

Meir Shalev, Zwei Bärinnen
Diogenes, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Zwei-Baerinnen-9783257069112
Autor der Rezension: Harry Pfliegl