Rezension: Dorthe Nors, Handkantenschlag

Handkantenschlag“ – das ist eine Schlagtechnik aus dem Kampfsport Karate. Nach dem Lehrbuch angewendet, setzt sie einen Gegner schnell und präzise außer Gefecht. Die dänische Autorin Dorthe Nors schreibt in ihrem neuesten Buch zwar nicht über Karatekämpfer, doch wer die Sammlung von 15 Kurzgeschichten liest, der merkt schnell, dass der Titel „Handkantenschlag“ punktgenau gewählt ist.

Quelle: www.osburg-verlag.de
Quelle: www.osburg-verlag.de

Ein harmloser Beginn
Was mich als Leserin der Geschichten erwartet, kann ich zunächst nicht ahnen, denn die Überschriften der Kurzgeschichten klingen recht harmlos. Von „Kennst du Corri?“ über „Das Entenküken“ und „Das Wattenmeer“ bis hin zum „Friseur gegenüber der Münzwäscherei“ erwarte ich als Leserin ein paar kurzweilige, vielleicht auch amüsante oder romantische Geschichten. Weit gefehlt. Wie ein Schlaglicht beleuchtet Dorthe Nors die momentane Situation ganz unterschiedlicher Menschen – und braucht dazu keinen langatmigen Szenenaufbau. Mit einigen präzise gesetzten Worten und Sätzen gelingt es Nors, mich als Leserin unmittelbar in die Szenerie zu versetzen, als würde ich direkt neben den handelnden Personen stehen. Was meist recht harmlos anfängt, bleibt nicht so. Mit ebenso präzise gesetzten Worten und Sätzen, eben mit einem echten „Handkantenschlag“, zerschlägt Nors die gerade aufgebaute Szenerie. Das Kartenhaus der Akteure, gebaut aus Selbstbetrug, Täuschung und Lügen, fällt in sich zusammen.

Deprimierend und zugleich hoffnungsfroh
Obwohl die Geschichten nahezu alle nach demselben Prinzip aufgebaut sind, hat es mich als Leserin immer wieder verblüfft, wie wenig ich auf den unausweichlichen „Handkantenschlag“ vorbereitet war. Bis auf wenige Ausnahmen hoffte ich trotz allem auf ein Happy End – was mir dann verwehrt blieb. Stattdessen ist das Ende nicht selten brutal und mit Gewalt verbunden. Das ist für mich als Leserin mitunter schwer zu verdauen. Doch obwohl die negativen Seiten der Menschen in den Kurzgeschichten überwiegen, gibt es auch hoffnungsfrohe Erzählungen. „Die große Tomate“ zum Beispiel, bei der ich ahne, dass die Geschichte nach der Geschichte im positiven Sinn weitergeht.

Fazit: Unbedingt empfehlenswert
Obwohl „Handkantenschlag“ mitunter ein etwas deprimierendes Buch ist, empfehle ich es zum Lesen. Warum? Weil mir bis jetzt selten ein Buch untergekommen ist, das die menschliche Natur in all ihren Facetten so genau und präzise beschreibt. Ich schlage allerdings vor, die Geschichten in kleinen Dosen zu lesen – jeden Tag ein Häppchen.

Dorthe Nors, Handkantenschlag
Osburg Verlag – Murmann Publishers, Hamburg 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Handkantenschlag-9783955100704
Link zur Autorin: http://www.dorthenors.dk/
Autorin der Rezension: Yvonne Giebels