Rezensionsreihe Finnland zur Frankfurter Buchmesse 2014, Teil 8: Katja Kettu, Wildauge

Katja Kettu, Jahrgang 1978, studierte Kunst, Finnländische Literatur und Medienkultur und arbeitet als Animatorin, Sängerin und Schriftstellerin und Kolumnistin. „Wildauge“ ist ihr dritter Roman. Für ihre Romane erhielt sie zahlreiche Preise.

„Liebe in ihrer Grausamkeit schert sich weder um Alter noch um Rasse.“ (Seite 359)

Der Inhalt

Quelle: Galiani Verlag
Quelle: Galiani Verlag

Die finnische Hebamme, von der einheimischen Dorfbevölkerung nur „Scheelauge“ (Schielauge?) genannt – und das ist keineswegs nett gemeint – ist eine etwas kauzige, im Umgang mit Heilkräutern versierte und mit den Zumutungen des kargen Lebens vertraute Frau. Nicht mehr ganz jung, bereits jenseits der dreißig, und noch nie von einem Mann „entdeckt“. Bei einer Entbindung begegnet sie Johannes Angelhurst, einem traumatisierten, von Medikamenten abhängigen SS-Offizier, der die Frauen in seiner Aufgabe als Fotograf nicht nur fotografiert, sondern auch benutzt, wie es sich gerade ergibt. Sie verfällt ihm augenblicklich und hat fortan nur ein Ziel: ihn für sich zu gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, folgt sie ihm in das Kriegsgefangenenlager Titowka. Dort ist ihre Aufgabe zunächst die gesundheitliche Betreuung dieser Gefangenen. Bei einem Ausflug ins Umland, an den Fjord des Toten Mannes, kommen sich Wildauge – wie die Hebamme von Johannes genannt wird, aus dessen Perspektive einige Kapitel erzählt werden – und der SS-Offizier, der von den Geistern der von ihm in Babi Jar mit ermordeten Juden verfolgt wird, näher. Nachdem Finnland vom Verbündeten der Deutschen zu ihrem Feind geworden ist, erlebt Wildauge die Grausamkeit im Lager am eigenen Leib.

Die Sprache

Quelle: FILI
Quelle: FILI

Katja Kettu benutzt eine starke poetische Sprache, in der die Natur eine große Rolle spielt (wie auch im Leben des finnischen Volkes). Mit treffenden Worten gelingt es ihr, die vielen merkwürdigen Gestalten dieses Romans zu charakterisieren und lebendig werden zu lassen. Die Sprache selbst ist hier ein Naturereignis, sie überrollt den Leser wie eine Woge, saugt ihn ein und entlässt ihn wieder als ein anderer Mensch. Neue Wortschöpfungen, ungewohnte Verknüpfungen und Metaphern, Sprache gegen den Strich gebürstet. Dabei schießt Katja Kettu allerdings manchmal über das Ziel hinaus, etwa wenn es auf Seite 31 heißt: „Aunes Stimme war weiches Fleisch, unter dem sich ein gusseiserner Schürhaken langsam verbiegt.“ Oder auf Seite 68: „…und ein Tropfen Spucke war anmutig in den Wollstoff eingezogen.“ Dort, wo sexuelle Handlungen beschrieben werden, ist die Sprache oft zu derb. So störte mich zum Beispiel das häufig vorkommende Verb „bespringen“, das in vielen Fällen unpassend war, vor allem, wenn es um die Liebesbeziehung zwischen Wildauge und Johannes ging.

Mein Fazit
Ein unbedingt empfehlenswerter Roman, der niemenaden kalt lässt. Katja Kettu polarisiert durch die Art und Weise, wie sie ihre Figuren durch dieses dunkle Kapitel der Geschichte stolpern lässt. Mir fiel es die meiste Zeit schwer, Sympathie für einen der beiden Protagonisten aufzubringen. Sie werden getrieben von Feigheit, Besitzdenken und Angst, und nur manchmal spürt man auch einen Hauch jener Menschlichkeit, ohne die dieses Buch eine Zumutung wäre.

Katja Kettu, Wildauge
Verlag Galiani Berlin, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Wildauge-9783869710822
Autorin: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de