Rezensionsreihe Finnland zur Frankfurter Buchmesse 2014, Teil 3: Philip Teir, Winterkrieg. Oder: Mittelstand ist Abgebrannt.

Hieno! Das ist Finnisch für in etwa: „Wunderbar“. Und damit will ich gleich mal den besten ersten Satz eines Buches feiern, den ich seit langem gelesen haben: „Den Hamster der Enkelkinder einzufrieren war der erste Fehler, den Max und Katriina in diesem Winter begangen hatten – weitere sollten folgen.“

Quelle: www.randomhouse.de

In diesem Sinne: Willkommen im Winterkrieg! Ein Wort, welches für das finnische Selbstverständnis bis heute einen zentralen Topos darstellt (als Kampf der Finnen gegen die Sowjets 1939 bis 1940 mit Beginn der fatalen Annäherung an Nazi-Deutschland). Auf metaphorischer Ebene wird der Begriff nun zum programmatischen Titel des neuen Romans von Philip Teir. Geboren 1980 in Pietarsaari, studierter Philosoph, praktizierender Journalist und derzeit als einer der bedeutendsten Nachwuchsautoren Finnlands gehandelt. Sein Anspruch ist freilich, dieses Lob deutlich über die Grenzen Skandinaviens hinaus zu rechtfertigen.

Gibt es paneuropäischen Mittelstand? Klar doch, sagt Phillip Teir. Denn er hat ihn ausgesprochen gut beobachtet und beschrieben. Sein Protagonist Max ist Soziologieprofessor und steht kurz vor seinem 60. Geburtstag. Eine unangenehme Aussicht, in jeder Hinsicht. Seine Frau Katriina ist zwar Mutter der gemeinsamen Töchter Helen und Eva, doch weder Gespräche noch Sex führen mittlerweile zu beidseitigem Vergnügen. Diese zwischen beiden schmerzhaft klar gezeichneten Stille oder auch der quälende „Alles-Vorbei- bzw. Was-wäre-wenn-Modus“ wird von Philip Teir für mein Empfinden weniger typisch finnisch als vielmehr schon in angelsächsischer Manier erzählt und fokussiert. Die Töchter sind allerdings ein wenig klischiert angelegt. Helen hat Kinder… und bleibt Finnin. Die schöne Eva dagegen versucht es mit Kunst in London und wird, oh Wunder der dramaturgischen Volte, fast schwanger von ihrem Professor. Als Max dann noch seine absehbare Affäre mit einer Journalistin startet, läuft die Geschichte im bitterkalten Winter von Helsinki auf ihren Showdown zu.

Soweit der grobe Rahmen. Die beachtliche Kunst von Philip Teir zeigt sich aber eindeutig in seiner klaren und so gut wie in jedem Satz folgerichtig schlüssigen, ja fast schon erbarmungslos zielgerichteten Sprache. Hier wird ein grenzübergreifend systemimmanentes Missverständnis des modernen Mittelstands chirurgisch präzise ausgezirkelt und in den Protagonisten gespiegelt. Die Illusion einer alters- wie geschlechtslosen und vom Ort unabhängigen Identität zeigt sich als paradoxes Versprechen, das sich niemals einlösen lässt – dem aber trotzdem jeder auf seine Art gern aufsitzt.

Alles in allem: Ein sehr fein beobachtetes europäisches Sittengemälde unserer Zeit von Meister Teir, das gern auch neben Werken seines britischen Kollegen Ian McEwan in meinem Regal zu stehen kommt.

Philip Teir, Winterkrieg
Karl Blessing Verlag, 2014
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Autor: Harald Wurst | ph1.de