Leipziger Buchmesse 2014: Die roten Schweizer Lesebänke sind wieder da

Zurück: Eine Schweizer Lesebank im Clara-Zetkin-Park. Foto Detlef M. Plaisier
Zurück: Eine Schweizer Lesebank im Clara-Zetkin-Park. Foto Detlef M. Plaisier

Sie waren Gastgeschenk und Blickfang zur diesjährigen Leipziger Buchmesse: Die roten Schweizer Lesebänke prägten das Stadtbild an zentralen Orten vor Buchhandlungen und in Parks – und genauso schnell waren sie wieder verschwunden. Nach fast drei Monaten Abwesenheit kommt jetzt ein Teil der literarischen Sitzgelegenheiten zurück.

Zehn der ursprünglich 40 Bänke wurden der Stadt Leipzig jetzt vom Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband (SBVV) übereignet. Fünf von ihnen sind bereits im Lesegarten des Clara-Zetkin-Parks südlich des „Schachhäuschens“ dauerhaft aufgestellt. Sie verbleiben in der kleinen Anlage bis zur geplanten Sanierung in den nächsten Jahren. Mit der Aufstellung wird die Tradition des Lesegartens an dieser Stelle aus den 1950er Jahren wiederbelebt. Die anderen fünf Bänke bleiben zunächst in einem Depot der Stadt, um eventuell durch Graffiti beschädigte Bänke schnell austauschen zu können. „Diese Gegend ist dafür aber weniger anfällig“, ist Gerald Biehl vom Amt für Stadtgrün und Gewässer zuversichtlich.

Um die literarische Freundschaft zwischen Leipzig und der Schweiz zu untermauern, hat der SBVV zusätzlich eine Mini-Handbibliothek mit 100 Ausgaben Schweizer Literatur gestiftet. Die Bücher können im Schachhäuschen während der Öffnungszeiten ausgeliehen werden (Mai bis September jeweils montags, mittwochs und freitags von 14 bis 18 Uhr). Für das Schweizer Buchgeschenk haben städtische Tischler eigens Regale angefertigt.

Leipziger Buchmesse 2014 auf Facebook: Kein Dank an Journalisten

Zum Frühstückskaffee lese ich folgenden Eintrag der Leipziger Buchmesse auf Facebook:

„Müde Füße, hungrige Mägen, WirrWarr im Kopf aber Glück und auch ein bisschen Stolz sind die Dinge, die uns im Moment am Meisten bewegen. Wir sind überwältigt von der positiven Resonanz und bedanken uns bei allen Ausstellern, Besuchern, Autoren und Mitarbeitern, die auch die Leipziger Buchmesse 2014 zu einem unvergesslichen Erlebnis für uns gemacht haben. Ihr seid einfach toll!“

Ich vermisse den Dank an die Journalisten aller Medien, die den Ruf der Buchmesse in die Welt tragen und auch in das Wohnzimmer um die Ecke. Oder ist das selbstverständlich und bedarf keiner Erwähnung, weil es ja unser Job ist?

Die Ukraine auf der Leipziger Buchmesse 2014: Mit den Gedanken in der Heimat

Olga Filipova am Stand der Ukraine. Foto: Detlef M. Plaisier
Olga Filipova am Stand der Ukraine. Foto: Detlef M. Plaisier

Ich komme mehrmals am Stand der Ukraine vorbei. Immer stehen dort Menschen und diskutieren. Nur wenige nehmen ein Buch zur Hand. „Wir haben mehr Besucher als in den vergangenen Jahren“, bestätigt mir Olga Filipova. Am Stand hängt ein zwei große Bögen Papier, auf denen Besucher ihre Wünsche für die Menschen in der Ukraine notieren können. „Durchhalten und die Faschisten loswerden!“ steht da, „Unrecht bleibt nicht“ oder ganz schlicht „Frieden!“. Olga Filipova sagt mir, die Leipziger Wünsche für die Ukraine sollen später in Lviv oder Kiev ausgestellt werden. Heute, am Tag des Referendums auf der Krim, sind ihre Gedanken in der Heimat: „Wir verfolgen immer die Nachrichten, und am liebsten wäre ich dort.“

Nachtrag: Am Ende der Messe haben 500 Besucher ihre Botschaften hinterlassen. Sie wurden in Deutsch, Englisch, Georgisch, Armenisch, Belorussisch und Russisch geschrieben.

Buchmesse kontrovers: Leipzig applaudiert Thilo Sarrazin

Wie tolerant ist Leipzig? Kann Thilo Sarrazin seine Thesen ungestört erläutern? In den letzten Wochen war ihm nicht bei allen Auftritten das Recht der freien Rede vergönnt gewesen. Sollte er klammen Herzens auf das „Blaue Sofa“ gekommen sein, so konnte er gestärkt mit sechs Mann Begleitung zum nächsten Buchmesse-Termin eilen. Leipzig war nicht nur tolerant: Großer Applaus bei der Vorstellung und nach 25 Minuten Sendung, kein Zwischenruf, keine Empörung. Sarrazins Gegenpart mit dem journalistischen Schwergewicht Wolfgang Herles konnte den umstrittenen Gast nur kurzfristig verunsichern.

Umlagert: Thilo Sarrazin signiert auf der Leipziger Buchmesse. Foto: Detlef M. Plaisier
Umlagert: Thilo Sarrazin signiert auf der Leipziger Buchmesse. Foto: Detlef M. Plaisier

Auch Herles versuchte Sarrazins Axiome durch den Erfolg des Buches ad absurdum zu führen. Sarrazin wankte kurz, beharrte aber darauf, dass der Kreis des „Denkbaren und Sagbaren“ in Deutschland kleiner werde. Das Buch sei trotz großer persönlicher Opfer und Einschränkungen keine „Causa Sarrazin“. An der Medienschelte hielt Sarrazin unbeirrbar fest: Die Medienmehrheit zwinge den Bürgern mit gezielter Desinformation eine bestimmte Weltsicht auf. Und auch die Richtung hat Sarrazin, der seit 1973 SPD-Mitglied ist, klar ausgemacht: Die meisten Medienschaffenden, so Sarrazin, stünden in ihrer politischen Einstellung erheblich weiter links als die Mehrheit der Bevölkerung, was Wahluntersuchungen bestätigten.

Sarrazin argumentiert auch in Leipzig mit seinem Lieblingssektor Bildung. Alle bestehenden Unterschiede sollten ideologisch eingeebnet werden, natürliche Begabungsunterschiede würden ignoriert und ein Leistungsrabatt bei Schwachen sei schon selbstverständlich. „Man muss doch zugestehen, dass es manche auch bei intensiver Förderung nicht schaffen.“ Unvermeidlich, dass Sarrazin Leistungsunterschiede nach Nationalitäten gegeneinander aufrechnet: Vietnamesen und Russen zeigten die höchste Bildungsleistung, Türken und Araber stünden am Ende der Skala.

Niemand widerspricht oder ruft dazwischen. Beim Signieren seiner Bücher erhält Sarrazin in Gesprächsfetzen viel Zustimmung, und das nicht nur aus der Kriegsgeneration.

Buchmesse im Poniatowski I: Paulina Schulz bleibt fremd

Muss es sein, dass eine um 19 Uhr angekündigte Veranstaltung wie selbstverständlich ohne Erklärung 20 Minuten später beginnt? Ich habe andere Maßstäbe gelernt, gehöre damit wohl zu einer im Aussterben begriffenen Spezies Mensch. Als Zuhörer verärgert mich so ein Verhalten zutiefst. Daher verzichte ich auf das übliche Autoreninterview.

Leseatmosphäre im Poniatowski. Foto: Detlef M. Plaisier
Leseatmosphäre im Poniatowski. Foto: Detlef M. Plaisier

In der für Lesungen so wunderbaren Atmosphäre im Kellergewölbe des Poniatowski stellt Paulina Schulz ihre Erzählung „Das Eiland“ vor. Angekündigt ist ein Text „über Liebe, Schmerz und unerträgliche Sehnsucht“, übernommen aus dem Prospekt des Freiraum-Verlages. Einleitend stellt die Autorin klar, dies erwecke den falschen Eindruck einer Liebesgeschichte. Vielmehr gehe es um die „Suche nach Identität“, verkörpert durch die pubertären Erlebnisse des Protagonisten John und die Fortsetzung einige Jahre später.

Paulina Schulz liest Passagen, die mir teilweise schon aus dem Internet bekannt sind. Mein Eindruck verfestigt sich: Die detailreiche und zugleich nicht greifbare Schilderung von Charakteren und Handlungen bleibt mir fremd. Es entstehen keine Bilder. Ich habe mich an vielen Stellen gefragt: Wann passiert denn nun endlich etwas? Und gibt es hier eigentlich gar keine direkte Rede? Völlig verstörend war für mich die ausschweifende und belehrende Schilderung verschiedener Formen des Zwillingskultes mit Ausflügen zum Voodoo, ohne dass ein direkter Zusammenhang zu den vorherigen Passagen erkennbar war.

Vielleicht lag es ja nur an der Auswahl der Textstellen. Mich hat dieser Appetithappen nicht neugierig gemacht. Es waren lange 40 Minuten.

Paulina Schulz, Das Eiland. freiraum-verlag, 2014.

www.paulinaschulz.de 

Hallo, Franz Hohler: „Eine gute Idee kommt öfter zu mir“

Schon eine halbe Stunde vor seinem Gespräch im Schweizer Forum sitzt Franz Hohler gemütlich am Rand, hört zu und signiert erste Bücher von Besuchern. Mit „Gleis 4“ hat Hohler einen Text vorgelegt, der mich in den Bann gezogen und eine Nacht gefesselt hat. Die Geschichte ist so einfach: Eine junge Frau wird am Bahnhof Oerlikon von einem älteren Herrn gefragt, ob er ihr den Koffer tragen könne. Sie willigt ein, und wenige Augenblicke später bricht der freundliche Helfer mit der Last ihres Gepäcks tot zusammen. Was sich aus dieser Situation entwickelt, war für mich vielschichtig, spannend und überraschend. Übermorgen, wenn die Buchmesse vorbei ist, werde ich das Buch noch einmal beginnen, und ich bin sicher, ich werde weitere Facetten der handelnden Personen entdecken.

Franz Hohler im Gespräch. Foto: Detlef M. Plaisier
Franz Hohler im Gespräch. Foto: Detlef M. Plaisier

„Wenn man als Autor lebt und erzählt, findet man überall Anfänge von Geschichten. Ich vertraue darauf, dass eine Idee, die etwas von mir will, auch öfter zu mir kommt“,  sagt Franz Hohler. Es habe keinen konkreten Anlass für die Handlung von „Gleis 4“ gegeben. Als er aber auf demselben Bahnhof Oerlikon einer behinderten Frau geholfen und die ihn erkannt habe, wusste er, es sei nun an der Zeit, das Eingangsmotiv auszuarbeiten.

Nach dem Gespräch signiert Franz Hohler weitere Bücher und liest im kleinen Kreis einige seiner bezaubernden Kinderverse. Da ist das Getümmel der Buchmesse für einige Minuten vergessen.

Franz Hohler, Gleis 4. Luchterhand, 2014.

Hallo, Martin Suter: „Ich mag Hochstaplerfiguren“

Martin Suter im Schweizer Forum. Foto: Detlef M. Plaisier
Martin Suter im Schweizer Forum. Foto: Detlef M. Plaisier

In den Büchern von Martin Suter lebt Johann Friedrich von Allmen seit 2011. Jetzt, mit dem vierten vorgelegten Band „Allmen und die verschwundene Maria“, ist der Charakter eingeführt. „Er ist gewachsen, kann sein Leben führen; und doch überrascht er mich immer wieder“, erzählt Autor Martin Suter im Schweizer Forum. Allmen, der Mann mit den zwei Gesichtern, entdeckt jetzt einen neuen Charakterzug an sich: Er erlebt und fühlt Empathie, fast schon beängstigend. Beinahe geht er sogar unrasiert aus dem Haus; undenkbar in den Bänden eins bis drei. „Diese Hochstaplertypen liegen mir“, gibt Suter verschmitzt zu – und lüftet eine Schwäche von sich: „Ich bin ein ungeduldiger Leser, lege schnell was weg. Deswegen sollen meine Leser auch rasch in den Stoff hineinfinden.“ Sein Rezept: „Ich lasse weg, suche gezielt Stichworte aus. Wenn ich fünf Dinge in einem Raum beschreibe, sollen dann beim Leser dieselben Bilder entstehen wie bei mir.“

Martin Suter, Allmen und die verschwundene Maria. Diogenes, 2014.

Hallo, Henryk M. Broder: Wie soll es mit Europa weitergehen?

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken“ heißt das neue Buch von Henryk M. Broder. Er analysiert klar und schonungslos, wie die Idee Europa als moderne Tragödie zugrunde gerichtet wird. Doch was schlägt er vor? Im Café Europa sagte er dazu:

Henryk M. Broder im voll besetzten Café Europa. Foto: Detlef M. Plaisier
Henryk M. Broder im voll besetzten Café Europa. Foto: Detlef M. Plaisier

„Ich kann keine Vorschläge machen. Jeder kommt ja kaum mit seinem eigenen Leben zurecht. Ich unterstütze  das, was der britische Ministerpräsident David Cameron vorgeschlagen hat. Dafür ist er unheimlich gebasht worden. Martin Schulz und seine Jungs haben es geschafft, die Europäische Union mit Europa gleichzusetzen. Wer den Betrieb der Europäischen Union kritisiert, ist gleich ein Europagegner, wenn nicht sogar ein Europafeind. Schulz hat neulich gesagt: Die wollen Europa zerstören. Nun gut: Was Hitler und Stalin nicht geschafft haben, werden ein paar Kritiker wie ich bestimmt auch nicht schaffen. Ich finde den Vorschlag von Cameron sehr gut, ein Moratorium einzurichten, also innezuhalten, die EU nicht zu erweitern, nicht zu vertiefen, zwei, drei Jahre, und in den Medien und in den Parlamenten eine Diskussion stattfinden zu lassen, wie es weitergehen soll, statt mit dieser Wahnsinnshektik einfach weiterzumachen. Jacques Delors hat einmal gesagt: Europa ist wie ein Fahrrad. Wenn es stehenbleibt, fällt es um. Wenn es tatsächlich so ist, dann soll es meinetwegen umfallen. Wenn es nicht so ist, wird Europa die Krise überstehen.“

Pfiffige Ideen: Initiative Bibelmobil auf der Leipziger Buchmesse 2014

Druckplatte im Nachbau der Gutenbergpresse. Foto Detlef M. Plaisier
Druckplatte im Nachbau der Gutenbergpresse. Foto Detlef M. Plaisier

Wer wissen möchte, ob sein Vorname in der Bibel steht, kann dies in Halle 3 am „Bibelmobil“ in einer Datenbank mit rund 1.500 Nennungen überprüfen lassen. Gibt es einen Eintrag, wird er mit einer Erläuterung des Namens kostenlos ausgedruckt. Ich gehe leer aus: Detlef ist Fehlanzeige, und auch der heilige Martin (der mit dem halben Mantel)  kommt in der Bibel nicht vor.  Wenige Schritte weiter ist ein Nachbau der ersten Gutenbergpresse aufgebaut. Hier können Besucher eines von vier ausgewählten Bibelzitaten mit Muskelkraft unter Anleitung selbst drucken. Ich entscheide mich für Psalm 23. Ohne Gutenbergs Idee gäbe es heute keine SMS und kein WhatsApp…