Ein Rätsel für Leseratten mit der Gutenbergschule Leipzig

10.800 Seiten... oder doch mehr?  Foto: Detlef M. Plaisier
10.800 Seiten… oder doch mehr? Foto: Detlef M. Plaisier

Die Gutenbergschule ist das Berufliche Schulzentrum der Stadt Leipzig für Buch, Büro, Druck, Medien, Sprachen und Kunst. Für die Leipziger Buchmesse haben sich die Auszubildenden etwas Besonderes einfallen lassen: Besucher können raten, wieviele Seiten der aufgebaute Bücherturm am Stand in Halle 5 / C 507 insgesamt hat. Gute Schätzer bekommen einen kleinen Gewinn. Ich habe versprochen, nichts zu verraten. Aber mit 10.800 Seiten lag ich gar nicht so schlecht ….

Pünktlichkeit, Käse und farbenfrohe Demokratie: So tickt und redet die Schweiz

Die Schweizer sind immer pünktlich. Sie essen viel Käse. Und sie sind reich. Von wegen. Wie die Schweiz wirklich tickt, verraten Martin Walker und Anica Jonas jeden Morgen um 09:45 Uhr im Schweizer Forum in der Glashalle. Das vergügliche Viertelstündchen hat so manche Überraschung bereit.

Sind die Schweizer langsam? Na ja, schon etwas gemütlich. Deswegen heißt die Schweizer Version von „Mensch ärgere dich nicht“ ja auch „Eile mit Weile“. Und ordentlich sind die Nachbarn auch: Die Mülltrennung ist perfekt geregelt (mal abgesehen vom Mülltourismus in Gemeinden mit niedrigen Gebühren), und die Schweiz hat die höchste europäische Recyclingquote ganz ohne Pfand. Natürlich sind die Schweizer extrem höflich. Man soll im Umgang mit ihnen nie zu forsch sein. Bitte, Danke, ein schöner Tag und ein guter Weg sind Pflicht. Mit der Sprache ist das so eine Sache: Warum heißt das offizielle Schweizer Wörterbuch wohl Idiotikon …. Die Deutschschweizer nennen ihre Söhne am liebsten Noah und Luca, Franzosen und Italiener bevorzugen Gabriel. Royals gibt es in der Schweiz auch, zum Beispiel die Apfelkönigin, die Kuhkönigin (vier Beine) und die Braunviehkönigin (zwei Beine). Und mit der bunten direkten Demokratie sind die Schweizer nicht immer so wirklich glücklich …

Ein amüsanter Tagesauftakt, bevor die Hallen öffnen. Davor spielt „Doppelbock“ ebenfalls ein Viertelstündchen mit Landstreichermusik auf: nicht immer melodisch, aber laut und schrill bis unter das Hallendach.

Martin Walker und Anica Jonas, Die Schweiz für die Hosentasche. Was Reiseführer verschweigen. Fischer TaschenBibliothek, 2014.

Der Johnny mit den Apfelsamen: Amerikanische Legende begeistert Schüler aus acht Nationen

Die USA in der Bibliothek Volkmarsdorf. Foto: Detlef M. Plaisier
Die USA in der Bibliothek Volkmarsdorf. Foto: Detlef M. Plaisier

Wie schon im vergangenen Jahr, kam Teta M. Moehs, Generalkonsulin der USA in Leipzig, aus Anlass der Buchmesse in die Bibliothek Volkmarsdorf. Zu Gast waren diesmal Schülerinnen und Schüler der Klasse 3b von der Hans-Christian-Andersen-Schule aus Sellershausen. „Amerikanische Märchen und Sagen“ – wer oder was mag das sein? Ich dachte an Buffalo Bill und Billy the Kid.

Komplett daneben: Teta Moehs bringt „Johnny Appleseed“ mit, eine Legende aus dem amerikanischen Osten des 18. Jahrhunderts. „Ist das ein Indianer“, fragen die Schüler. Nein, es war ein Siedler aus Messachusetts, der es vorzog, im Einklang mit der Natur zu leben und auf ein festes Haus verzichtete. Die Bäume aus seinen Apfelsamen erleichterten nachkommenden Siedlern den Start in der Fremde.

Generalkonsulin Teta Moehs erzählt. Foto: Detlef M. Plaisier
Generalkonsulin Teta M. Moehs erzählt. Foto: Detlef M. Plaisier

Der Text mit den farbenfrohen, detailreichen Illustrationen von Steven Kellogg war ein Volltreffer. Teta Moehs beantwortete viele Fragen zu Text und Vokabeln, und ein zweites vorbereitetes Buch kam nicht mehr zum Zuge. Spielerisch dann auch eine improvisierte Englischstunde zum Abschluss: Die Schüler aus acht Nationen, darunter Russland, Rumänien, Südkorea, Vietnam und Brasilien, hatten jeder eine persönliche Vorstellung und Fragen auf Englisch vorbereitet. Da musste die Konsulin mit der deutschen Mutter Farbe bekennen: Diplomatin sei ihr Traumberuf, schließlich reise sie gern und bleibe nach Stationen in Seoul, Berlin und Peking nun drei Jahre in Leipzig. Sie liebe Leipzig als Musikstadt, radle gern, und weder Barack Obama noch Angela Merkel hätten bislang persönlich mit ihr gesprochen.

Wieder einmal war die Zeit zu schnell vorbei. Bis zum nächsten Jahr – vielleicht mit amerikanischem Folk oder einer kulinarischen Rundreise durch die USA…

Buchmesse im Poniatowski: Altpreußische Melancholie und Poetry Slam

Poniatowski Restaurant & Bar LeipzigSeit der Gründung im September 2013 hat das Team des Poniatowski um Ania Gorska ein beachtliches Kulturprogramm auf die Beine gestellt. Zur Leipziger Buchmesse lädt das polnische Restaurant & Bar an drei Tagen zu Lesung und Musik ein.

Am Messedonnerstag, 13. März, steht eine Doppellesung auf dem Programm. Um 19:00 Uhr liest Paulina Schulz aus „Das Eiland“. Angekündigt ist eine Erzählung „über Liebe, Schmerz und unerträgliche Sehnsucht.“ Um 21:00 Uhr folgt Jens Lange mit seinem Romandebut aus „Stahlbetone, Kenotaphe – Brauttruhen aus Mooreiche.“ Er schildert Familienforschung in Ostpreußen und eine abenteuerliche Flucht auf nächtlichen Alleen nach Leipzig.

Quelle: www.mirroblac.com
Quelle: www.mirroblac.com

Freitag, den 14. März gibt’s Musik auf die Ohren. Ab 19:30 Uhr gastiert das in Leipzig gegründete Alternative/Indie Rock Projekt Mirro Blac (Eintritt: 4 Euro/ erm. 2,50 Euro). Um 20:30 Uhr folgt The But. Das Singer-Songwriter-Trio in Unplugged-Besetzung orientiert sich an den britischen Beatgruppen der späten 1960er Jahre und bezeichnet den eigenen Stil als „Kammerbeat“. Ein Ensemble für Feinschmecker!

BEets & STreets“ heißt es am Samstag, 15. März ab 20:00 Uhr. Das Poniatowski bebt bei einer Mischung aus Beatpoesie und Hip Hop, Straßenperformance und Poetry Slam. Hier wird die Kultur des Open Mic mit Improvisation, Melodien und Texten gelebt. Eine Veranstaltung von Leipzig Writers e.V. featuring the Bimbotown Orchestra (Eintritt 4 Euro/ erm. 2,50 Euro / members Leipzig Writers e.V. free entry).

Für den Abend danach als Übergang in den letzten Tag der Buchmesse empfehle ich original polnischen Wodka im Poniat oder die Literaturparty LitPop im Neuen Rathaus.

Frisch zur Leipziger Buchmesse 2014: Literaturlandkarte der Schweiz

Als Ergänzung zur Website auftritt-schweiz.ch steht jetzt eine besondere Literaturlandkarte der Schweiz im Netz. Das Projekt vereint das gemeinsame kulturelle Erbe und die Vielstimmigkeit der Schweiz und der Schweizer Literatur.

Unter der Adresse literatur-karten.ch werden literarische Aspekte der Eidgenossen auf sechs Karten dokumentiert. Neben einer Übersichtskarte mit allen Stichworten gibt es fünf weitere maps mit Spezialthemen. So kann erforscht werden, an welchen Schweizer Orten literarische Figuren ihr Leben aushauchten und wo zwischen Berggipfeln und Almen ergreifend-tragische Liebesszenen spielen. Im Zentrum steht die deutsche Literatur, ergänzt um Kostbarkeiten aus den Literaturen der französischen, der italienischen und der rätoromanischen Schweiz. Kurios: Am Genfersee treffen sich Jean-Jacques Rousseau und Stefan Zweig, und in Zürich begegnen sich virtuell Alfred Döblin, Klaus Mann, Franz Hohler und Melinda Nadj Abonji. Wissen Sie, welche Stadt Wolfgang Koeppen „Fremdenstadt“ nannte? Schauen Sie nach!

Herzlich willkommen zur Leipziger Buchmesse 2014: Kraftvoller Auftakt zum „Auftritt Schweiz“

Felix Immler schnitzt mit Kindern. Foto: Detlef M. Plaisier
Felix Immler schnitzt mit Kindern. Foto: Detlef M. Plaisier

Als ich mich eine halbe Stunde vor Beginn in das Schauspiel Leipzig mogele, hält Felix Immler schon das Victorinox Schweizer Taschenmesser und ein Stück Holz in der Hand. Er hat heute beim Eröffnungsfest des Partnerlandes Schweiz für die Leipziger den längsten Job: Über zwei Stunden zeigt Felix Immler den sicheren Umgang mit dem Taschenmesser in praktischen Übungen. Er ist geduldig, weist immer wieder auf die Sicherheitsregeln hin: „Wer schnitzt, der sitzt. Immer vom Körper weg schnitzen. Und vor allem genügend Abstand zum Nachbarn halten.“ Wer heute mitmacht, nimmt einen selbst geschnitzten Kreisel und das Taschenmesser als Geschenk mit nach Hause.

Sozialarbeiter Felix Immler arbeitet in einem Kinderheim und ist speziell ausgebildet in Naturpädagogik. Gleichzeitig ist er Mitinitiator des Erlebniskindergartens Buchhorn in Arbon am Bodensee. „Es ist wichtig, dass Kinder in einer angstfreien Umgebung lernen können“, erläutert er sein Engagement. Der Naturbursche kann mehr als Schnitzen: Bogenbau, Steinschleifen, Messerschmieden und Survival stehen auf seinem Programm. In Halbtageskursen können Kinder bei ihm eine Taschenmesserprüfung mit Diplom ablegen.

Quelle:  www.brunohaechler.ch
Quelle: www.brunohaechler.ch

Eine Tür weiter begeistert Bruno Hächler aus Winterthur mit seinen Kinderliedern und Geschichten kleine Zuhörer und große Begleiter gleichermaßen. Seine Texte zur Gitarre hat er von Schwizerdütsch auf Hochdeutsch übersetzt. Bruno Hächler singt vom Dachs mit zwei Streifen, von Jap, dem englischen Hund, der so gerne Tee trinkt, von der laaaangsamen Schnecke, die immer schneller wird, und vom Teddy, der nicht schlafen will. Vor der Bühne tanzen Hächlers kleine Groupies und spielen Luftgitarre. Beim letzten Song dürfen dann alle mit auf die Bühne. „Ich musste für mich erstmal die Sprachhürde überwinden“, sagt mir Bruno Hächler. „Aber dann war es wie zu Hause. Kinder reagieren überall auf die gleichen Dinge.“

Mehrdad Zaeri zeichnet Wilhelm Tell. Foto: Detlef M. Plaisier
Mehrdad Zaeri zeichnet Wilhelm Tell. Foto: Detlef M. Plaisier

Zu einer Schweizer Präsentation gehört natürlich Nationalheld Wilhelm Tell. Claudia Malten vom Schweizer Buchhändler- und Verleger Verband liest, Mehrdad Zaeri zeichnet. Der in Mannheim lebende Deutsch-Iraner zeichnet mit schwarzem und rotem Stift auf weißen A4-Blättern. Um das Motiv fortzuführen, wird das benutzte Blatt fortgeschoben und ein neues verwendet. Die Zeichnung wird an die Wand projiziert. Die Zuschauer verfolgen mucksmäuschenstill, wenn der rote Apfel entsteht und Mehrdad Zaeri ein zuvor zerknülltes Blatt Papier als Vogelkörper weiter verwendet. „Erwachsene werden wieder zu Kindern, wenn ich zeichne“, weiß der Künstler. „Ich führe ganz einfach Animationen und 3D auf einfache Linien zurück. Jede Veranstaltug inspiriert mich neu. Nur wenn ich frei bin, macht es mir und dem Publikum Spaß.“  Der Schweizer Baobab-Verlag habe den Mut gehabt, das Freiheitsepos des Wilhelm Tell mit seinen Zeichnungen und einer arabischen Freiheitsgeschichte zu veröffentlichen. „Ich freue mich über dieses Zeichen“, sagt Mehrdad Zaeri. „Gerade hat die Schweiz Gesetze gelockert und liefert Waffen an Saudi-Arabien. Da muss man sich doch positionieren.“

Bei aller Faszination muss die Lesung von Endo Anaconda, Sänger der Kultband „Stiller Has“, leiden: Ich höre nur noch Bruchstücke. Immerhin hat er einige freundliche Worte über Leipzig. Nach fünf Besuchen fühle er sich hier wie in einer Zeitmembran, poltert das Multitalent: „Hier vereint sich, was war, was ist und was sein wird.“ In seiner Wahlheimat Bern sei das ebenso. Kleiner Seitenhieb: Warum werde am Schauspiel Leipzig kein Goethe gegeben? Na ja, wenigstens „Kabale und Liebe“ stehe auf dem Spielplan. Da fühle man sich als Schweizer nicht ganz so ausgeschlossen. „Aber der Tell wäre noch besser.“

Peter Bichsel im Schauspiel Leipzig. Foto: Detlef M. Plaisier
Peter Bichsel im Schauspiel Leipzig. Foto: Detlef M. Plaisier

Die Klingel ruft zum Abendprogramm. Der große Saal im Schauspiel ist bei der Abendlesung mit Peter Bichsel gerade mal zu einem Drittel gefüllt, und auch das Medieninteresse ist verhalten. Es ist meine erste Begegnung mit Bichsel. Der Philosoph und große Erzähler möge mir verzeihen, sollte ihm mein Urteil nicht gerecht werden. Bichsel liest von Freundschaft, von Macht und Ohnmacht. Ich fühlte mich gut unterhalten, streckenweise schmunzelnd und amüsiert. Die Mahnung des Textes „Des Schweizers Schweiz“ ist angekommen und wird im Bewusstsein bleiben. Die Worte von 1968 sind angesichts des jüngsten Referendums brandaktuell und werden auf der Buchmesse nicht auszublenden sein.

Im letzten Jahr lag Schnee. Heute ist die Abendluft in Leipzig angenehm mild.

Merci vilmal. Vielen Dank  an die Schweiz für einen entspannten und sympathischen Auftakt zur Buchmesse!

Bruno Hächler: www.brunohaechler.ch
Felix Immler: www.taschenmesserbuch.ch
Mehrdad Zaeri: merhrdad-zaeri.de
Endo Anaconda: www.stillerhas.ch