Buchmesse im Poniatowski I: Paulina Schulz bleibt fremd

Muss es sein, dass eine um 19 Uhr angekündigte Veranstaltung wie selbstverständlich ohne Erklärung 20 Minuten später beginnt? Ich habe andere Maßstäbe gelernt, gehöre damit wohl zu einer im Aussterben begriffenen Spezies Mensch. Als Zuhörer verärgert mich so ein Verhalten zutiefst. Daher verzichte ich auf das übliche Autoreninterview.

Leseatmosphäre im Poniatowski. Foto: Detlef M. Plaisier
Leseatmosphäre im Poniatowski. Foto: Detlef M. Plaisier

In der für Lesungen so wunderbaren Atmosphäre im Kellergewölbe des Poniatowski stellt Paulina Schulz ihre Erzählung „Das Eiland“ vor. Angekündigt ist ein Text „über Liebe, Schmerz und unerträgliche Sehnsucht“, übernommen aus dem Prospekt des Freiraum-Verlages. Einleitend stellt die Autorin klar, dies erwecke den falschen Eindruck einer Liebesgeschichte. Vielmehr gehe es um die „Suche nach Identität“, verkörpert durch die pubertären Erlebnisse des Protagonisten John und die Fortsetzung einige Jahre später.

Paulina Schulz liest Passagen, die mir teilweise schon aus dem Internet bekannt sind. Mein Eindruck verfestigt sich: Die detailreiche und zugleich nicht greifbare Schilderung von Charakteren und Handlungen bleibt mir fremd. Es entstehen keine Bilder. Ich habe mich an vielen Stellen gefragt: Wann passiert denn nun endlich etwas? Und gibt es hier eigentlich gar keine direkte Rede? Völlig verstörend war für mich die ausschweifende und belehrende Schilderung verschiedener Formen des Zwillingskultes mit Ausflügen zum Voodoo, ohne dass ein direkter Zusammenhang zu den vorherigen Passagen erkennbar war.

Vielleicht lag es ja nur an der Auswahl der Textstellen. Mich hat dieser Appetithappen nicht neugierig gemacht. Es waren lange 40 Minuten.

Paulina Schulz, Das Eiland. freiraum-verlag, 2014.

www.paulinaschulz.de 

Hallo, Franz Hohler: „Eine gute Idee kommt öfter zu mir“

Schon eine halbe Stunde vor seinem Gespräch im Schweizer Forum sitzt Franz Hohler gemütlich am Rand, hört zu und signiert erste Bücher von Besuchern. Mit „Gleis 4“ hat Hohler einen Text vorgelegt, der mich in den Bann gezogen und eine Nacht gefesselt hat. Die Geschichte ist so einfach: Eine junge Frau wird am Bahnhof Oerlikon von einem älteren Herrn gefragt, ob er ihr den Koffer tragen könne. Sie willigt ein, und wenige Augenblicke später bricht der freundliche Helfer mit der Last ihres Gepäcks tot zusammen. Was sich aus dieser Situation entwickelt, war für mich vielschichtig, spannend und überraschend. Übermorgen, wenn die Buchmesse vorbei ist, werde ich das Buch noch einmal beginnen, und ich bin sicher, ich werde weitere Facetten der handelnden Personen entdecken.

Franz Hohler im Gespräch. Foto: Detlef M. Plaisier
Franz Hohler im Gespräch. Foto: Detlef M. Plaisier

„Wenn man als Autor lebt und erzählt, findet man überall Anfänge von Geschichten. Ich vertraue darauf, dass eine Idee, die etwas von mir will, auch öfter zu mir kommt“,  sagt Franz Hohler. Es habe keinen konkreten Anlass für die Handlung von „Gleis 4“ gegeben. Als er aber auf demselben Bahnhof Oerlikon einer behinderten Frau geholfen und die ihn erkannt habe, wusste er, es sei nun an der Zeit, das Eingangsmotiv auszuarbeiten.

Nach dem Gespräch signiert Franz Hohler weitere Bücher und liest im kleinen Kreis einige seiner bezaubernden Kinderverse. Da ist das Getümmel der Buchmesse für einige Minuten vergessen.

Franz Hohler, Gleis 4. Luchterhand, 2014.

Hallo, Martin Suter: „Ich mag Hochstaplerfiguren“

Martin Suter im Schweizer Forum. Foto: Detlef M. Plaisier
Martin Suter im Schweizer Forum. Foto: Detlef M. Plaisier

In den Büchern von Martin Suter lebt Johann Friedrich von Allmen seit 2011. Jetzt, mit dem vierten vorgelegten Band „Allmen und die verschwundene Maria“, ist der Charakter eingeführt. „Er ist gewachsen, kann sein Leben führen; und doch überrascht er mich immer wieder“, erzählt Autor Martin Suter im Schweizer Forum. Allmen, der Mann mit den zwei Gesichtern, entdeckt jetzt einen neuen Charakterzug an sich: Er erlebt und fühlt Empathie, fast schon beängstigend. Beinahe geht er sogar unrasiert aus dem Haus; undenkbar in den Bänden eins bis drei. „Diese Hochstaplertypen liegen mir“, gibt Suter verschmitzt zu – und lüftet eine Schwäche von sich: „Ich bin ein ungeduldiger Leser, lege schnell was weg. Deswegen sollen meine Leser auch rasch in den Stoff hineinfinden.“ Sein Rezept: „Ich lasse weg, suche gezielt Stichworte aus. Wenn ich fünf Dinge in einem Raum beschreibe, sollen dann beim Leser dieselben Bilder entstehen wie bei mir.“

Martin Suter, Allmen und die verschwundene Maria. Diogenes, 2014.

Hallo, Henryk M. Broder: Wie soll es mit Europa weitergehen?

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken“ heißt das neue Buch von Henryk M. Broder. Er analysiert klar und schonungslos, wie die Idee Europa als moderne Tragödie zugrunde gerichtet wird. Doch was schlägt er vor? Im Café Europa sagte er dazu:

Henryk M. Broder im voll besetzten Café Europa. Foto: Detlef M. Plaisier
Henryk M. Broder im voll besetzten Café Europa. Foto: Detlef M. Plaisier

„Ich kann keine Vorschläge machen. Jeder kommt ja kaum mit seinem eigenen Leben zurecht. Ich unterstütze  das, was der britische Ministerpräsident David Cameron vorgeschlagen hat. Dafür ist er unheimlich gebasht worden. Martin Schulz und seine Jungs haben es geschafft, die Europäische Union mit Europa gleichzusetzen. Wer den Betrieb der Europäischen Union kritisiert, ist gleich ein Europagegner, wenn nicht sogar ein Europafeind. Schulz hat neulich gesagt: Die wollen Europa zerstören. Nun gut: Was Hitler und Stalin nicht geschafft haben, werden ein paar Kritiker wie ich bestimmt auch nicht schaffen. Ich finde den Vorschlag von Cameron sehr gut, ein Moratorium einzurichten, also innezuhalten, die EU nicht zu erweitern, nicht zu vertiefen, zwei, drei Jahre, und in den Medien und in den Parlamenten eine Diskussion stattfinden zu lassen, wie es weitergehen soll, statt mit dieser Wahnsinnshektik einfach weiterzumachen. Jacques Delors hat einmal gesagt: Europa ist wie ein Fahrrad. Wenn es stehenbleibt, fällt es um. Wenn es tatsächlich so ist, dann soll es meinetwegen umfallen. Wenn es nicht so ist, wird Europa die Krise überstehen.“

Endlich gelöst: Das Buch für die Badewanne

Mordsspannung in der Wanne. Quelle: wannenbuch.de
Mordsspannung in der Wanne. Quelle: wannenbuch.de

Bücher aus Plastik? Na ja. Wo ich doch eh lieber Seiten umblättere statt auf das Display des Readers zu starren. Schwierig nur, wenn ich mit meinem australischen Rotwein in der Wanne sitze und lesen möchte. Die Hände sind nass, die Seiten werden beim Blättern feucht, und die Buchdeckel quellen langsam auf. Ich habe mich überzeugen lassen: Ein wasserfestes Buch aus Plastik löst das Problem. Es schwimmt, ist handlich aus umweltfreundlichem Kunststoff, und es passt ganz schön viel rein. „Bevor das Wasser abkühlt, ist das Buch in 15 Minuten gelesen“. Das verspricht mir Jens Koch, Verleger der „Edition Wannenbuch“, die seit fünf Jahren Plastiktitel für Erwachsene herausgibt. Die Palette reicht von Romanen, Krimis und Reiseführern bis zu Gehirnjogging. So kann man in der Wanne über Goethes erotische Seiten lesen,  löst das Rätsel um einen Toten im Ehebett und erfährt, warum Italiener nie Espresso bestellen. Frauen lesen übrigens häufiger im Badeschaum als Männer. Deswegen ist der Titel „Sonnengruss im Badeschaum“ mit Yoga-Übungen für die Wanne auch der unangefochtene Renner im Sortiment.

Alle Titel gibt’s unter www.wannenbuch.de.

Pfiffige Ideen: Initiative Bibelmobil auf der Leipziger Buchmesse 2014

Druckplatte im Nachbau der Gutenbergpresse. Foto Detlef M. Plaisier
Druckplatte im Nachbau der Gutenbergpresse. Foto Detlef M. Plaisier

Wer wissen möchte, ob sein Vorname in der Bibel steht, kann dies in Halle 3 am „Bibelmobil“ in einer Datenbank mit rund 1.500 Nennungen überprüfen lassen. Gibt es einen Eintrag, wird er mit einer Erläuterung des Namens kostenlos ausgedruckt. Ich gehe leer aus: Detlef ist Fehlanzeige, und auch der heilige Martin (der mit dem halben Mantel)  kommt in der Bibel nicht vor.  Wenige Schritte weiter ist ein Nachbau der ersten Gutenbergpresse aufgebaut. Hier können Besucher eines von vier ausgewählten Bibelzitaten mit Muskelkraft unter Anleitung selbst drucken. Ich entscheide mich für Psalm 23. Ohne Gutenbergs Idee gäbe es heute keine SMS und kein WhatsApp…

Ein Rätsel für Leseratten mit der Gutenbergschule Leipzig

10.800 Seiten... oder doch mehr?  Foto: Detlef M. Plaisier
10.800 Seiten… oder doch mehr? Foto: Detlef M. Plaisier

Die Gutenbergschule ist das Berufliche Schulzentrum der Stadt Leipzig für Buch, Büro, Druck, Medien, Sprachen und Kunst. Für die Leipziger Buchmesse haben sich die Auszubildenden etwas Besonderes einfallen lassen: Besucher können raten, wieviele Seiten der aufgebaute Bücherturm am Stand in Halle 5 / C 507 insgesamt hat. Gute Schätzer bekommen einen kleinen Gewinn. Ich habe versprochen, nichts zu verraten. Aber mit 10.800 Seiten lag ich gar nicht so schlecht ….

Pünktlichkeit, Käse und farbenfrohe Demokratie: So tickt und redet die Schweiz

Die Schweizer sind immer pünktlich. Sie essen viel Käse. Und sie sind reich. Von wegen. Wie die Schweiz wirklich tickt, verraten Martin Walker und Anica Jonas jeden Morgen um 09:45 Uhr im Schweizer Forum in der Glashalle. Das vergügliche Viertelstündchen hat so manche Überraschung bereit.

Sind die Schweizer langsam? Na ja, schon etwas gemütlich. Deswegen heißt die Schweizer Version von „Mensch ärgere dich nicht“ ja auch „Eile mit Weile“. Und ordentlich sind die Nachbarn auch: Die Mülltrennung ist perfekt geregelt (mal abgesehen vom Mülltourismus in Gemeinden mit niedrigen Gebühren), und die Schweiz hat die höchste europäische Recyclingquote ganz ohne Pfand. Natürlich sind die Schweizer extrem höflich. Man soll im Umgang mit ihnen nie zu forsch sein. Bitte, Danke, ein schöner Tag und ein guter Weg sind Pflicht. Mit der Sprache ist das so eine Sache: Warum heißt das offizielle Schweizer Wörterbuch wohl Idiotikon …. Die Deutschschweizer nennen ihre Söhne am liebsten Noah und Luca, Franzosen und Italiener bevorzugen Gabriel. Royals gibt es in der Schweiz auch, zum Beispiel die Apfelkönigin, die Kuhkönigin (vier Beine) und die Braunviehkönigin (zwei Beine). Und mit der bunten direkten Demokratie sind die Schweizer nicht immer so wirklich glücklich …

Ein amüsanter Tagesauftakt, bevor die Hallen öffnen. Davor spielt „Doppelbock“ ebenfalls ein Viertelstündchen mit Landstreichermusik auf: nicht immer melodisch, aber laut und schrill bis unter das Hallendach.

Martin Walker und Anica Jonas, Die Schweiz für die Hosentasche. Was Reiseführer verschweigen. Fischer TaschenBibliothek, 2014.