Reingelesen: Ella TheBee, Organisella. Durchs Studium mit Zeitmanagement und Organisation

Klappentext
Im Studium gilt es, verschiedene Dinge gleichzeitig zu bewältigen. Es gibt viel zu verstehen und noch mehr zu lernen. Mitschriften müssen organisiert, Referate gehalten, Prüfungen bestanden und Hausarbeiten geschrieben werden. Und neben alldem sollen auch noch das Studentenleben genossen, Nebenjobs gemacht und Freundschaften fürs Leben geschlossen werden. Da kommt der ein oder andere schnell mal an seine Grenzen. So oft im Leben begegnet man Menschen, die einen klareren Kopf zu haben und mehr zu schaffen scheinen, als man selbst. Ihr Geheimnis ist Zeitmanagement. Organisella soll euer persönlicher Assistent im Studium sein, der euch inspiriert, anleitet, motiviert und manchmal sogar den Kopf streichelt. Es enthält alles, was ihr über die Organisation im Studium wissen müsst und bietet zusätzlich eine wertvolle Sammlung an Checklisten, Videos, Kopiervorlagen, Tipps und Tricks.

www.organisella.de
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Zum Buch
In diesem Buch gibt die Germanistik-Studentin und YouTuberin Ella TheBee einige Tipps, wie man mit Zeitmanagement und Organisation leichter durch das Studium kommt.

Das Buch unterteilt sich in drei große Abschnitte. Es beginnt mit „Vorbereitung und Leben“ zu Themen wie Arbeitsplatz, das erste Semester und Kalenderführung. Der 2. Abschnitt „Das Semester richtig starten“ behandelt unter anderem Mitschriften, Literaturrecherche & -bearbeitung, Referate, Prüfungsformen, Lerntechniken und Stress. Im letzten Teil „Zukunft“ geben Absolventen und Dozenten persönliche Tipps.

Das gesamte Buch ist liebevoll mit persönlichen Notizen und Fotos der Autorin gestaltet und beinhaltet zusätzlich viele Kopiervorlagen und Materialien, die man auch auf der Homepage zum Download findet. Begleitet wird das Buch von einem kleinen Zusatzheft mit Listen und anderen Hilfsmitteln.

Der Schreibstil ist leicht und flüssig. Die Autorin schreibt, wie sie spricht und denkt. Für Belletristik ist das nicht immer ein Vorteil, für dieses Genre schon. Ich kenne Ella TheBee von ihrem YouTube-Kanal und hatte beim Lesen immer ihre Stimme präsent. Ein dicker Pluspunkt: Zu manchen Themen sind QR-Codes abgebildet, die zu den jeweiligen Videos auf YouTube führen. Wenn man also etwas nicht komplett nachvollziehen kann, hilft das Video auf die Sprünge.

Mein Fazit
Obwohl ich keine Studentin bin, finde ich dieses Buch sehr hilfreich. Ich habe viele Tipps und Anregungen für meinen Alltag umgewandelt. Das Buch ist ein absoluter Allrounder. Empfehlenswert!

Ella TheBee, Organisella. Durchs Studium mit Zeitmanagement und Organisation
nr Fachverlag, Bremen, 3. Auflage 2016
www.organisella.de
Autorin der Besprechung: Tatjana „Tatii“ Scegelskis
https://derbuecherfuchs.com/

Letzte Lesung im Helheim: Und die Antwort ist immer sieben

Lesung Helheim 23.06.2016. Foto Detlef M. Plaisier (4)Zweimal werden wir noch wach, dann ist das Helheim Geschichte. Nach der zunächst überstandenen Insolvenz vor zwei Jahren ist jetzt doch endgültig Schluss. In der morbiden Stimmung des Untergangs erhielt Gründer und Betreiber Markus Böhme ein letztes Geschenk: Nach zwei Besuchen als Terrassengast bei Volly Tanner gab Manja Fyah Flame aka Manja Kendler ihr Solo-Lesungsdebut.

Sie ist schüchtern. Die Haare sind verwuschelt. Und ich verehre Sommersprossen. Manja liest, und ich kann mich nicht entscheiden: Schließe ich die Augen oder schaue ich sie an? Der Lesungsreigen beginnt mit einer launigen Kindergeschichte für den vierjährigen Neffen („der ist schon ganz weit für vier“) über das Zuhören. Hey, Leipziger Lesepaten: Holt euch diese Geschichte für eure kleinen Zuhörer! Dann eine scharfe Wende: Es folgt ein belauschtes Kneipengespräch  („nichts für Kinder!“) über die stimulierenden Vorzüge proteinreicher Kängeruschnitzel. Augen auf: Manja lacht über ihre eigenen Formulierungen, ahmt trefflich die Tic-Störungen beim Tourette-Syndrom nach, ohne dabei peinlich zu wirken.

Lesung Helheim 23.06.2016. Foto Detlef M. Plaisier (26)Urlaub am Bodden: Manjas Naturbeobachtung ist wie ihre Sicht auf Menschen, scharf gezeichnet und distanziert zugleich. Ich folge ihr an das Brackwasser, beobachte den Vogelflug, rieche den Räucherofen, spüre die Freiheit. Bitte lasst mich hier. Nicht aufwachen. Oder lasst mich stiller Beobachter sein, wenn Mandy im „Café Elise“ (was mag da Pate gestanden haben? Vielleicht das Café Grundmann?) mit einer alten Dame über die Vorzüge von Kakao mit Vanillesahne plaudert oder als scharfzüngige Garderobenfrau den Umgang von Gästen mit niederem Personal beklagt.

Was ich gehört habe, hat mir besser gefallen als so manche Lesung am DLL. Wer Manja verpasst hat, kann sie und ihren skurrilen Gedankenaffen im 520 Universum besuchen: rund um die Uhr, ohne Kleiderzwang. Persönlich geht es dort zu. Und ich habe gelernt: Die Antwort ist immer sieben.

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Manja auf YouTube

Rezension: Shida Bazyar, Nachts ist es leise in Teheran

Vier Familienmitglieder, vier Jahrzehnte, vier unvergessliche Stimmen. Aufwühlend  und anrührend erzählt Shida Bazyar die Geschichte einer iranisch-deutschen Familie, die ihren Anfang 1979 in Teheran  nimmt und den Bogen spannt bis in die deutsche Gegenwart.

Mit diesen Worten beginnt der Klappentext dieses in vier Abschnitte gegliederten Romans. Wir lesen von Behsad, dem jungen linken Revolutionär, der in der mutigen, literaturbesessenen Nahid die Liebe seines Lebens findet. Wir lesen von der Flucht der Liebenden nach der Machtübernahme der Mullahs. Und von ihren Kindern, Laleh, Mo und Tara, die in Deutschland aufwachsen und zwischen den Welten zu Hause sind.

Im ersten Teil ergreift Behsad das Wort. Als junger Mann steht er während der Revolution in Teheran auf der Seite der Kommunisten und muss erleben, wie die Mullahs nach dem Fall des Schah-Regimes die Macht übernehmen. Mit bewegenden Worten schildert er, wie sich seine Freunde verändern und manche gar zu Feinden werden. Im nächsten Abschnitt berichtet seine Frau Nahid aus ihrer Sicht über die Flucht der Familie nach Deutschland. Zusammen mit ihren Kindern Laleh und Morad muss sie sich in einem fremden Land zurechtfinden, das für sie eigentlich nur eine Zwischenstation sein sollte. Doch die Nachrichten, welche die Familie aus dem Iran erreichen, lassen nicht auf eine baldige Besserung der Situation hoffen.

Teheran
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Jeweils weitere zehn Jahre später erzählen die inzwischen fast erwachsenen Kinder über ihr Leben. Noch immer lebt die Familie in Deutschland, doch immerhin ist nun ein Besuch in der alten Heimat möglich. Lalehs Bericht über diese Reise zeigt in bildhafter Sprache sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten der Kulturen. Die Freude über ein glückliches Wiedersehen, die Unsicherheit angesichts fremder Konventionen und die Angst vor dem Verlust geliebter Menschen kennt wohl jeder auf dieser Welt.

Im letzten Abschnitt kommen Mo und Tara zu Wort. Mo erzählt von seiner Studentenzeit, die sich im Grunde kaum von der seiner Kommilitonen unterscheidet. Er sieht zwar manche Dinge aus einem anderen Blickwinkel, so kann er zum Beispiel den ständigen Demonstrationen  nicht viel abgewinnen. Am meisten stören ihn jedoch die Fragen nach seiner Herkunft. Künftig, so beschließt er, werde er einfach sagen, er sei Spanier oder Argentinier. Im Epilog kommt schließlich Tara, die jüngste Tochter, kurz zu Wort. Bereits in Deutschland geboren, scheint sie am ehesten  angekommen zu sein. Durch ihre Familie ist jedoch auch sie noch mit dem Iran verbunden.

Mein Fazit
Shida Bazyars Roman passt sehr gut  zur aktuellen Flüchtlingskrise. Zwar kennt man die Bilder aus den Kriegs- und Krisengebieten und versteht, was die Menschen zu ihrer verzweifelten Flucht zwingt. Was sie bewegt und worauf sie hoffen, bleibt uns jedoch meist verborgen. Die Autorin gibt einigen Verzweifelten eine Stimme und lässt sie in ergreifender und teilweise poetischer Sprache ihr Leben erzählen. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch ein wenig zum gegenseitigen Verständnis beiträgt. Dem Klischee, dass es in einem Gottesstaat nur überzeugte Gläubige gibt, begegnet die Autorin mit  einem Satz, den sie Lalehs Onkel in den Mund legt:  „Religion ist Opium fürs Volk, aber dieses Volk braucht Opium, um vor der Religion zu flüchten.“

Shida Bazyar, Nachts ist es leise in Teheran
Kiepenheuer & Witsch, 2016
Die Autorin liest: https://www.youtube.com/watch?v=RDAmd4F2gvk
Autorin der Rezension: Petra Gugel

Rezension: Anthony Phelps, Wer hat Guy und Jacques Colin verraten?

Durch das Werk von Anthony Phelps zieht sich wie ein roter Faden die Titelfrage: Wer hat Guy und Jacques Colin verraten? In seinem Werk gibt der Autor einen eindrucksvollen Einblick in das Leben auf Haiti unter der Diktatur von Papa Doc, der die Bevölkerung mit seiner Todesschwadron tontons macoute von 1957 bis 1971 in Angst und Schrecken versetzte.

www.litradukt.de
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Der Inhalt
Wie jeden Tag begibt sich Claude, der Erzähler, schon morgens auf seinen Balkon, wo er den Tag verbringt. Im Schutz seines Muskatnussbaums, der vor neugierigen Blicken schützt, beobachtet Claude die Umgebung und die gesellschaftlichen Veränderungen auf Haiti. Im Lauf der Erzählung vermischt sich die Realität mit den Erinnerungen und Träumen des Protagonisten. Immer wieder fragt er sich, wer es wohl gewesen sein mochte, der Guy und Jacques Colin an die Schergen des Diktators verraten haben mochte.

Ein einfaches und doch raffiniertes Verwirrspiel
Der Autor bedient sich einer einfachen, leicht zugänglichen Sprache und Erzählstruktur, um ein kriminalistisches Verwirrspiel vom Feinsten zu erschaffen. Ebenso, wie die Grenzen zwischen Realität und Traum, zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen, so wechseln auch die Rollen von Täter und Opfer mehrfach.

Ein Werk mit persönlichem Touch
Wer sich als Leser einlässt, spürt in jeder Zeile, dass Anthony Phelps selbst in die Geschichte verwoben ist. Als Gegner des Duvalier-Regimes wurde er inhaftiert und hatte im Jahr 1964 die Chance, Haiti zu verlassen. Wie in allen anderen Werken steht auch in „Wer hat Guy und Jaques Colin verraten?“ die große Frage nach dem Widerspruch zwischen Menschenwürde und Widerstand im Vordergrund.

Mein Fazit: Zu Recht ein moderner Klassiker der Weltliteratur. Eine Erzählung, die unter die Haut geht.

Anthony Phelps, Wer hat Guy und Jacques Colin verraten?
Aus dem Französischen von Ingeborg Schmutte
literadukt Literatureditionen, Trier 2016
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Licia Troisi, Die Drachenkämpferin 4: Nihals Vermächtnis

Natürlich kann man sich streiten, ob ein weiteres Buch über Nihal wirklich notwendig war. Natürlich kann man wagemutig verlautbaren lassen, das Ganze sei nur Geldmacherei, um an den Hype vor einigen Jahren anzuknüpfen und ihn wieder aufleben zu lassen. Was auch immer stimmt: Licia Troisi hat mit dem vierten Teil ihrer Drachenkämpferin auf dem deutschen Markt noch immer etliche Fans erreicht.

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Alles auf Anfang
Nachdem der Tyrann Aster besiegt worden ist, gehen Nihal und Sennar zusammen mit Oarf dem Drachen in die Unerforschten Lande, um dort ein neues, bescheidenes Leben abseits des Trubels um ihre Personen zu führen und eine Familie zu gründen. Als Sennar Opfer eines missglückten Zaubers wird, sieht Nihal sich gezwungen, Hilfe bei den verhassten Elfen zu suchen. Der Preis dafür ist ihr Leben, und sie ist gewillt, ihn auch zu zahlen. Doch mit ihrem Ableben endet ihre Geschichte noch nicht.

Nur Geldmacherei?
Natürlich freute sich mein Fanherz über einen neuen Band mit dem Titel „Die Drachenkämpferin“ und Nihal in heroischer Pose auf dem Cover.  Mit dem Abstand der Jahre zur eigenen Jugend bleibt dennoch ein kleiner Wehmutstropfen, denn Troisi ist alles andere als eine talentierte Autorin. Sie hält sich nicht lange mit Beschreibungen auf – warum auch,  wenn das halbe Buch ohnehin nur aus Dingen besteht, die man bereits aus den anderen beiden Trilogien der Aufgetauchten Welt kennt? Hier fühle ich mich als Leser an der Nase herumgeführt. Die Nacherzählung dessen, was bereits bekannt ist, wirkt gehetzt und gedrängt, so als sei der Autorin bewusst gewesen, dass ihre Fans das eigentlich nicht lesen wollten, sondern lieber neuen Stoff bekommen hätten. Also hält sie sich gar nicht erst mit ausschweifenden Sätzen oder allzu detaillierten Beschreibungen von Umgebung und Handlung auf und schreitet mit großen Schritten zur zweiten Hälfte des Buches. Als Leser war mir von vornherein klar, dass jedes „neue“ Abenteuer Nihals mit ihrem Tod enden würde. So war ihre Wiederbelebung nach über einhundert Jahren in der Tat eine überraschende Lösung. Das vorhersehbare Ende trübt leider erneut das Leseerlebnis.

Gelungen ist dagegen der Aufbau des Buches: Die Rahmenhandlung bestreitet ein geheimnisvoller Barde, der Lieder singt über Nihals früheste Kindheitstage, ihre Zeit in den Unerforschten Landen sowie über die Ereignisse nach ihrer Wiederbelebung. Doch so geheimnisvoll ist der Barde letztlich doch nicht … Die geschickte Rahmenhandlung gibt dem Buch den Anstrich einer Ballade.

Nichts verpasst
Mein Fazit: Fans der Aufgetauchten Welt kommen mit einigen kleineren Abstrichen wieder auf den Geschmack. Der Rest hat nichts verpasst.

Licia Troisi, Die Drachenkämpferin 4: Nihals Vermächtnis
Heyne Verlag, 2015
Autorin der Rezension: Maria Schönberg

So entsteht ein Buch: Mitfiebern auf der Mitlese-Plattform Fortschrift.net

Am 6. Juni hatte Fortschrift.net Premiere – die Mitleseplattform, bei der Leser das Entstehen neuer Bücher live verfolgen können. Mutige Autorinnen und Autoren veröffentlichen hier mehrmals wöchentlich den Fortgang ihres Werkes – ungeschnitten, unlektoriert, unzensiert und immer überraschend. Leser zahlen für ihren Lieblingsschreiber einmalig 8,99 Euro und können dann miterleben, wie ein Roman oder ein Sachbuch entsteht. Sie diskutieren über das Gelesene, untereinander oder mit den Schreibenden, sie erhalten frühzeitige Einblicke und schüren damit die Vorfreude auf das fertige Buch. Wenn das Werk dann fertig geschrieben und professionell lektoriert wurde, erhalten die Vorab-Mit-Leser ihre eigene Version des eBooks.

Ab 6. Juni mit dabei sind Béla Bolten (Krimi-/Thrillerautor aus Konstanz), CJ Crown (Pseudonym einer erfolgreichen Liebesroman- und Fantasy-Autorin) und Matthias Matting („Selfpublishing-Papst“, Autor und Journalist). Die Leser können wählen zwischen dem Thriller „Spiegeltod“, dem erotischen Roman „School of Love“ und dem fantastisch-realistischen Drama „Die Frau, die zu viel träumte“. Ab Ende Juni wird mit Michael Meisheit ein weiterer Bestseller-Autor hinzukommen.

Die Vorteile für Leser

Leser können ihren Lieblingsautoren beim Schreiben zusehen – und sie auch finanziell unterstützen. Die Texte sind zunächst unlektoriert, sie können sich im Verlauf des Schreibens sogar dramatisch ändern. Doch am Ende erhält der Leser die professionell lektorierte eBook-Ausgabe.

Die Vorteile für Autoren

Autoren können Leser und Fans frühzeitig einbeziehen. Sie erhalten den größten Teil der Einnahmen (derzeit 65 Prozent) und können damit z.B. das Lektorat finanzieren. Wenn das Buch erscheint, hat es bereits Fans, die Rezensionen verfassen können. Autoren können bestimmten Lesern (etwa Bloggern oder Journalisten) oder ausgewählten Fans über Gutscheine auch kostenlosen Zugang gewähren. Fortschrift.net löst für beteiligte Autoren und Verlage (auch die sind herzlich eingeladen!) damit gleich mehrere Probleme. Die so entstandenen Bücher können nach dem Lektorat über einen beliebigen Weg veröffentlicht werden (Verlag, E-Book-Plattform, Amazon KDP, Tolino Media…).

Vielen Dank für den Text an Matthias Matting von der Self-Publisher-Bibel!

Rezension: Eka Kurniawan, Tigermann

Eka Kurniawan, einer der stimmgewaltigsten Erzähler Indonesiens, entführt den Leser in die exotische Welt seines Landes. Genauer gesagt, in einen kleinen, dörflich geprägten Vorort einer Stadt an der südlichen Küste der Insel Java, wo jeder jeden kennt.

Quelle: www.ostasien-verlag.de
Quelle: www.ostasien-verlag.de

Der Inhalt
Eka Kurniawan steigt direkt in die Erzählung ein, die mit einem brutalen Mord beginnt. Täter ist der erst 20jährige Margio, der als von allen geschätzter Treiber bei der Wildschweinjagd arbeitet. Er hat überraschenderweise seinen Nachbarn getötet – durch einen Biss in die Kehle. Als er für diese Tat zur Rede gestellt wird, rechtfertigt er sich mit den Worten: „Nicht ich habe ihn getötet. Es gibt einen Tiger in meinem Körper“.

Eka Kurniawan schildert die Hintergründe der Tat. Das Werk kreist um schwierige Verhältnisse in der Familie ebenso wie um die Beziehungen zwischen den Nachbarn im dörflichen Indonesien und die Unsicherheiten, die mit der ersten Liebe verbunden sind. Auf weniger als 250 Seiten zeichnet der Autor ein dichtes Bild der sozialen Struktur in dieser Gesellschaft und eine präzise psychologische Darstellung des Hauptcharakters. Zugleich bringt er mit dem im südostasiatischen Raum verbreiteten Tigermythos ein magisches Element in sein Werk ein. Dabei zeichnet sich Eka Kurniawan durch einen äußerst eleganten Erzählstil sowie eine meisterhafte psychologische Betrachtung und Deutung der Handlung seines Protagonisten aus.

Mein Fazit
„Tigermann“ ist eine der beeindruckendsten Neuerscheinungen der asiatischen Literatur des Jahres 2015. Eka Kurniawan vermag es meisterhaft, Leser in die Mythologie der Inselwelt Indonesiens zu entführen.

Eka Kurniawan, Tigermann
Aus dem Indonesischen übersetzt von Martina Heinschke
OSTASIEN Verlag, 2015
Online bestellen: http://www.reihe-phoenixfeder.de/bestellformular.html
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Stephan Abarbanell, Morgenland

Wir schreiben das Jahr 1946. Die gesamte Welt liegt nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs in Trümmern. Genau in diese scheinbar postapokalyptische Welt versetzt Stephan Abarbanell den Leser in „Morgenland“. Es ist ein spannender Thriller mit kleinen Schwächen.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Der Inhalt
Der Leser begleitet die Protagonistin Lylia Wasserfall. Sie engagiert sich aktiv im palästinensischen Widerstand gegen die britische Mandatsmacht. Sie würde gern bei Sabotageakten eingesetzt werden, jedoch wird sie stattdessen auf eine sehr viel heiklere Mission geschickt: Sie soll im Nachkriegsdeutschland nach Raphael Lind suchen. Der jüdische Wissenschaftler soll angeblich in einem Konzentrationslager ermordet worden sein, allerdings gibt es Hinweise, dass er noch am Leben ist. Lylia Wasserfall macht sich auf die Reise durch das zerstörte Europa und hat neben dem britischen Geheimdienst zusätzlich einen mysteriösen Verfolger auf den Fersen. Jener will offensichtlich verhindern, dass sie den Wissenschaftler findet.

Ein Schmankerl für Geschichts-Fans?
Der rbb-Kulturchef Stephan Abarbanell begibt sich mit seinem Debütroman auf ein relativ gewagtes Terrain gewagt. Schließlich gibt es kaum belletristische Werke zur unmittelbaren Nachkriegszeit. Auf den ersten Blick meistert er dieses Terrain, das vor allem historisch interessierte Leser begeistert, scheinbar mit Bravour. Ich kann mich als Leser hervorragend in die Hauptfigur hineinversetzen, die Handlung verspricht pure Spannung. Allerdings scheint der Autor keinen rechten roten Faden für seine Geschichte gefunden zu haben. Denn je weiter der Roman fortschreitet, umso flacher wird die Geschichte. Abarbanell streift zahlreiche Themen und lässt sie wieder fallen. Und auch vielen handelnden Personen fehlt die rechte Tiefe. Selbst die Widerstandskämpferin Lylia Wasserfall lässt eine persönliche Entwicklung vermissen, was angesichts eines vielversprechenden Anfangs schade ist.

Mein Fazit
Der Autor spickt „Morgenland“ mit zahlreichen guten Ideen, setzt diese aber nur relativ dürftig um.  Dennoch ist das Buch eine empfehlenswerte Lektüre für historische interessierte Leser, die hier Anregungen für eigene Spurensuche erhalten.

Stephan Abarbanell, Morgenland
Karl Blessing Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Morgenland-9783896675170
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: Marceline Loridan-Ivens, Und du bist nicht zurückgekommen

Mit „Und du bist nicht zurückgekommen“ hat Marceline Loridan-Ivens eine herzzerreißende Liebeserklärung einer Tochter an ihren Vater verfasst. Zusammen mit ihrem Vater wurde die Autorin 1944, im Alter mit 15 Jahren, von den Nationalsozialisten deportiert. Sie kam nach Birkenau, der Vater nach Auschwitz. Die Mutter entkam mit zwei Geschwistern dem Zugriff der Nazis nur knapp. Siebzig Jahre später schreibt die überlebende Tochter einen Brief an den Vater, den er nie lesen wird.

Quelle: www. suhrkamp.de
Quelle: www. suhrkamp.de

Der Inhalt
Die Autorin versucht etwas schier Unmögliches: Sie will dem unaussprechlichen Leid, das die nationalsozialistische Herrschaft vor allem über viele jüdische Familien brachte, eine Stimme geben. Schon kurz nach der gemeinsamen Ankunft in Auschwitz wird sie von ihrem Vater getrennt und landet im drei Kilometer entfernten Birkenau. Trotz der strengen Kontrollen im Konzentrationslager gelingt es ihrem Vater, Marceline noch eine Nachricht zukommen zu lassen, deren Inhalt sie jedoch wenig später vergessen hat.

Für die heutige Generation sind die Zustände und Vorgänge in den Konzentrationslagern unvorstellbar. Dazu gehört auch eine Begegnung der Autorin mit Josef Mengele, der in Auschwitz als Lagerarzt tätig war und unmenschliche, grausame medizinische Experimente an den Häftlingen vornahm. Obwohl die Nachricht des Vaters in Vergessenheit geriet, bleiben die Erinnerungen an die Zeit der Nazi-Herrschaft für immer im Gedächtnis und auf der Haut der Autorin eingebrannt. Sie wurde mit der Zahl 78750 gebrandmarkt, die sie das ganze Leben über als schreckliche Gefährtin begleiten sollte, wie sie selbst sagt.

Die Autorin bedient sich in ihrem Werk einfacher und klarer Sätze. Genau das erzeugt Kälte und Schrecken. Einer der Schlüsselsätze dürfte das Bekenntnis sein „Ich liebte dich so sehr, dass ich glücklich war, mit dir deportiert zu werden“, das auf den heutigen Leser einfach nur erschütternd wirkt.

Mein Fazit
Der Autorin gelingt es auf nur knapp mehr als 100 Seiten eine komplexe Geschichte zu erzählen, die das Grauen des Dritten Reiches lebendig macht. Beeindruckend, bedrückend und ein wichtiges Dokument der jüngeren Geschichte.

Marceline Loridan-Ivens, Und du bist nicht zurückgekommen
In der Übersetzung von Eva Moldenhauer
Insel Verlag, 2015
Gespräch mit der Autorin: https://www.youtube.com/watch?v=zLLyeREWrrk
Gespräch mit der Autorin (französische Sprache): https://www.youtube.com/watch?v=jLa7Erf5eHI
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Und-du-bist-nicht-zurueckgekommen-9783458176602
Autor der Rezension: Harry Pfliegl