Rezension: H. Norman Schwarzkopf, Man muss kein Held sein – Blicke hinter die Kulissen eines amerikanischen Lebens

Aus Anlass des Todes von General H. Norman Schwarzkopf möchte ich auf seine Autobiografie hinweisen. Sie trägt den Titel „Man muss kein Held sein“, im amerikanischen Original „It doesn´t take a hero“.

Diese Autobiografie ist ein spannendes historisches Dokument über den Vietnamkrieg und die militärische Aktion „Desert Storm“ der USA in Kuwait. Schonungslos schildert Schwarzkopf Leben und Arbeiten im Einsatz, die zähen Verhandlungen mit hochrangigen Politikern, die Probleme in den Truppen und mit den klimatischen Bedingungen. Aus der Perspektive des Beteiligten und später Verantwortlichen erfährt der Leser, wie es wirklich zuging.

„Man muss kein Held sein“ ist auch eine Geschichte über schwierige Familienverhältnisse und das Leben in Amerika ab 1942. Das Buch will keine Klischees erfüllen, Bewunderung hervorrufen oder Mitleid wecken. Es verherrlicht weder Militär noch USA. Es ist „nur“ eine fast schon brutal ehrliche und nachdenkliche Schilderung eines amerikanischen Lebens im Dienst der USA. Und gerade deshalb ist diese Autobiografie so beeindruckend.

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Autorin: Mica Berlin

Rezension: Kay Schönewerk, Das Weiße ohne das Gelbe

Zugegeben: Ganz objektiv bin ich als Rezensent nicht. Ich kenne den Autor Kay Schönewerk aus seiner Leipziger Kommunikationsagentur 4iMEDIA, deren Geschicke er leitet. Bei unseren Begegnungen hat er sein Ernährungscredo nie vor sich her getragen und auch nie missioniert. Mit der Publikation des Buches im Eigenverlag der Agentur hat sich Kay Schönewerk einen Traum erfüllt. Also mal eben ein Buch raushauen, schließlich ist man ja in der Kreativenbranche? Mitnichten: Der Anlass ist in Bildern auf dem Cover zu sehen, und der ist wahrhaftig pfundig.

Kay-Schönewerk-Das-Weiße-ohne-das-Gelbe-Buch-CoverMinus 50 Kilo in neun Monaten erscheint wie Hexenwerk. Dabei ist der Königsweg zum dauerhaften Erfolg nichts anderes als die Umsetzung der Erkenntnis: Wer dem Körper mehr Kalorien zuführt, als er am Tag verbraucht, wird auf Dauer dick. Und wer zu Radikalkuren greift, legt am Ende sogar noch mehr zu. Das verstehen Bürohocker, Leistungssportler und Schwerarbeiter. Kay Schönewerk greift zu einem kleinen Kniff: Mit dem Untertitel des Buches „Wie ich mit dem richtigen Frühstück 50 Kilo abgenommen habe“ suggeriert er, schon eine Veränderung der ersten Mahlzeit des Tages verhelfe zum Wunschgewicht. Das allerdings wäre Hexenwerk. Zu drei kleinen Frühstückchen vor dem Mittag kommt nach dem Tagwerk noch eine gehörige Portion Sport, die das Abnehmkonzept stützt. Da ist der innere Schweinehund besonders gefordert. Und auch für die restlichen Mahlzeiten des Tages gibt es Rezepte, die auf einer Low Carb-Ernährung basieren.

Kay Schönewerk hat sich nicht nur schlank gegessen, er hat sich vielmehr schlank gerechnet. Dafür bedarf es nicht einmal höherer Mathematik und Alchimie. Seine Beispiele sind für jeden nachvollziehbar: Ein Ei hat 95 Kilokalorien, davon allein das Eigelb 73. Also gibt’s das morgendliche Rührei mit vier Eiweiß und einem Vollei für den Geschmack, dazu mageren Kochschinken und frische Champignons. Kaffee mit Milch? Gestrichen, trotz der exquisiten Maschine in der Agentur. Allein der „Schuss Milch“ in den Kaffee macht bis zu 200 Kalorien am Tag aus. Diese Beispiele lassen sich fortführen, und jeder Leser fühlt sich dabei ertappt. [Für mich als Ostfriesen ist der Tee ohne Sahne allerdings undenkbar …]

Kay Schönewerk entwickelt ein Szenario, das den Belastungen des Alltags standhält und zu einem dauerhaften Abnehmerfolg führt. Die kurzen Buchkapitel, für jedes verlorene Kilo eines, beleuchten verschiedene Aspekte der Low Carb-Ernährung mit praktischen Tipps und Mutmachern, falls die Waage doch mal in die falsche Richtung ausschlägt. Dem Autor gelingt es, den Leser so auf eine Reise mitzunehmen, als hätte er die Route selbst bestimmt. Hier wird nicht wissenschaftlich doziert, sondern praktisch geholfen.

50 Kilo weniger sind eine enorme Leistung, insbesondere für jemanden, der als Selbständiger im Arbeitsleben steht und Verantwortung für Betrieb und Mitarbeiter trägt. Eine unabdingbare Regel im Arbeitsleben gilt auch für das Ziel, Kilos dauerhaft abzuspecken, seien es fünfzig oder nur fünf: Ohne Disziplin gelingt nichts. Dies ist die mahnende und erprobte Botschaft des Autors hinter dem unterhaltsamen Plauderton. Wer sich mit Kay Schönewerk darüber austauschen möchte, sei auf seine Seite http://www.abnehmen-minus50.de/ eingeladen. Hier findet man weitere praktische Kniffe, ermutigende Bilder und eine aktive Community. Einen Ernährungsplan von Kay Schönewerk gibt’s auf https://www.loox.com/plaene/viel-ausdauer—wenig-kohlenhydrate.

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Rezension: Niccolò Ammaniti, Du und Ich

Lorenzo muss sich verstellen, um einigermaßen unbeschadet durchs Leben zu kommen. In Wirklichkeit will Lorenzo nur mit seiner Mutter, seinem Vater und seiner Großmutter „Nonna Laura“ zusammen sein und sich ansonsten in seiner Welt aus Playstation, Träumen und Stephen King-Romanen vergraben. Aber so funktioniert Leben nicht! Lorenzo hat zu lernen, sich unter anderen Menschen zu bewegen, im Kindergarten, in der Schule, in der Freizeit. Dabei will Lorenzo nur allein sein und in seiner Welt leben dürfen. Wenn jemand sein Distanzbedürfnis nicht einhält und ihm zu nahe tritt, verliert er die Kontrolle, sieht rot und schlägt um sich. Nachdem er so einen Klassenkameraden verletzt hat, muss er zum Psychologen.

Aber Lorenzo ist nicht dumm. In einem langwierigen Lernprozess eignet er sich die gewünschten Verhaltensweisen an, indem er seine Umgebung kopiert. Er erlernt eine Art sozialer Mimikry, mit der er sich in der Menge verstecken kann, ohne sich wirklich am Zusammenleben zu beteiligen.

Skiausflug nach Cortina

Um ihr eine Freude zu machen, erzählt Lorenzo seiner Mutter, eine Klassenkameradin habe ihn zum Skifahren eingeladen. Eine Woche werde er mit Freunden in Cortina verbringen – was natürlich nicht stimmt. Die Freude seiner Mutter über diese positive Entwicklung ist so riesig, dass er beschließt, den Skiurlaub vorzutäuschen und die Woche im Keller des Hauses zu verbringen. Das klappt auch, bis ihn dort seine Stiefschwester Olivia findet. Sie hat keine Bleibe und ist drogenabhängig. Sie muss Lorenzo erst erpressen, damit er sie in seinem Kellerdomizil aufnimmt. Es beginnt ein schwieriges Zusammenleben, nachdem Lorenzo endlich Olivias Drogenabhängigkeit erkannt hat. Als Olivia auf eigene Faust einen Entzug versucht, übernimmt Lorenzo Verantwortung für seine Schwester und lernt so, dass es auch Wichtiges außerhalb des eigenen Ich gibt.

Zwangsgemeinschaft im Keller als Lorenzos Sprungbrett ins Leben

Nicht nur die übernommene Verantwortung, auch die Zuwendung seiner Schwester machen Lorenzo klar, dass er nicht auf ewig in sein eigenes Ich eingesperrt bleiben kann und das auch nicht will. Der Kelleraufenthalt ist Lorenzos Schnellkurs in sozialer Kompetenz.

Konsequent aus Lorenzos Ich-Perspektive geschrieben, fesselt „Du und Ich“ durch eine Schnörkellosigkeit in der Sprache und mit treffsicheren Bildern. Ein Kompliment an dieser Stelle auch dem Übersetzer Ulrich Hartmann.

Auch „Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao“ von Junot Díaz oder  „Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn“ von André Kubiczek handeln vom Erwachsenwerden, begleiten aber eine ganze Lebensentwicklung. Ammaniti hat sich auf diese eine Episode in Lorenzos Leben beschränkt und damit ein Werk von fast novellistischer Zuspitzung geliefert. Er beschreibt einen Wendepunkt, der Lorenzo den Start in ein anderes Leben ermöglicht. Ein Buch, das trotz einer fast grausamen Rahmenhandlung deutlich in die Kategorie „unbedingt lesen“ gehört.

Niccolò Ammaniti: Du und Ich. Piper Verlag, 2012. 
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Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – Dieses Buch sollte Pflichtlektüre werden

In dem Buch geht es um die Freundschaft des Deutschen Martin und des Juden Max. Diese haben in den USA gemeinsam einen florierenden Handel von Kunstwerken aufgebaut. Anfang der 1930er Jahre geht Martin zurück nach Deutschland. Während er erst dem neuen System sehr misstrauisch gegenübertritt, ändert sich dies innerhalb weniger Monate. Er wird zu einem glühenden Verfechter der Naziideologie und lässt dies auch seinen jüdischen Freund spüren. So bittet er diesen, die Geschäftspost nicht mehr zu ihm nach Hause, sondern direkt an die Firma zu senden. Als die Schwester von Max bei Martin Zuflucht sucht und ihr diese verwehrt wird, beschließt Max, sich an seinem früheren Freund auf ganz raffinierte Weise zu rächen. Wie die Geschichte ausgeht, wird hier natürlich nicht verraten, denn Sie sollen das Buch ja schließlich selbst lesen.

Während andere bekannte Bücher über die Nazizeit, beispielsweise „Die Blechtrommel“ oder „Die Welle“, erst Jahrzehnte später geschrieben wurden, verfasste Katherine Kressmann Taylor dieses Buch bereits im gleichen Jahrzehnt, genauer gesagt im Jahr 1938. Sie konnte dabei auf reelle Briefe zurückgreifen. Das Buch „Adressat unbekannt“ wurde in den USA zu einem absoluten Kassenschlager. Sicher haben sich auch einige Leser dieses Buch zu Herzen genommen und sich ebenfalls an so manchem deutschen Nazimitläufer gerächt. Verübeln könnte man es ihnen nicht.

Da das Buch gerade einmal 62 Seiten hat, eignet es sich hervorragend als Lektüre für den Schulunterricht. Auch „lesefaule“ Schüler, die nicht gerne dicke Wälzer lesen, sollten mit der Lektüre dieses Buches nicht überfordert sein. Absolut lesenswert ist auch das Nachwort von Elke Heidenreich. Sie bringt den Inhalt des Buches noch einmal kurz und prägnant auf den Punkt.

Mein Mann arbeitet als Lehrer bei der Bundeswehr. Irgendwann kam dort das Gespräch auf die Umerziehung von Menschen. Viele seiner Schüler konnten es sich nicht vorstellen, wie sich das Gedankengut eines einzelnen Menschen binnen weniger Monate so grundlegend wandeln kann. Bis sie dann dieses Buch gelesen haben …

Autorin: Susann Heinze-Wallmeyer

Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – Es gibt auch heute noch diesen Keim

Adressat unbekannt – so der Titel – der sichtbar, auf dem unscheinbaren Bild, mit einem Brief an eine deutsche Adresse gerichtet ist. Der Brief verrät durch seinen Stempel, dass sein Schreiber aus San Francisco kommt und dass der Brief schon sehr alt ist. 12. November 1932. 1932? Ein, zwei Gedanken weiter… also ein Buch über Antisemitismus. Ich fange an zu lesen.

Nach kurzer Orientierung stelle ich fest, dass hier ein sich wiederholender Schriftwechsel abgedruckt ist. Ist das spannend? Ich kenne weder die Leute noch habe ich von diesen je etwas gehört. Ich bin aber trotzdem neugierig und will die Briefe lesen, sind sie doch so voll Zuneigung zwischen zwei Menschen. Die ersten Briefe geben Orientierung. Ich weiß nun, wer was macht und wo wer wohnt. Jetzt könnte aber was passieren und in der Tat, der Tonfall ändert sich von jetzt auf gleich in den Briefen. Plötzlich stößt er durch die Erde, der Keim, von dem wir alle wissen, dass er zu einem Monster, ja zu einer Fratze des Bösen herangewachsen ist. Eine Fratze, die bis heute noch Leute in ihren Bann zieht, welche den Holocaust leugnen und damit wieder Mitläufer aus allen Gesellschaftsschichten findet. Dieser Keim scheint vor Kraft nur zu strotzen und er scheint auf nahrhaftem Boden zu stehen.

Jeder Brief wird schärfer. Wo ist die Zuneigung der Briefeschreiber geblieben? Sie waren doch Freunde, Geschäftspartner, die sich blind vertrauten. Nicht mal Belege über Buchungen wollte man voneinander sehen. Die Geldeingänge stimmen schon… und plötzlich will man keinen Kontakt mehr? Nicht nur, weil die Gefahr droht, entdeckt zu werden, wenn man mit einem Juden etwas zu tun hat, nein – aus Überzeugung! Welch ein Wandel, den der Leser hier über sich ergehen lassen muss und gegen den er nichts unternehmen kann. Ich selbst bin gefesselt, will aufschreien, warnen und meine Entrüstung öffentlich bekannt geben und kann und muss einfach das Buch doch einfach nur zu Ende lesen. Bis das Ende eingeleitet wird – Adressat unbekannt – ein Brief kommt zurück. Und doch wird es hier genau noch einmal spannend. Denn es wird noch ein weiterer Brief mit dem Stempel „Adressat unbekannt“ zurück gesendet in das freie Amerika. Der Brief, der an Martin gerichtet war, die Person, die mit einem Juden sehr gut und eng befreundet war und gute Geschäfte machte und dann nicht mehr liberal auftrat, sondern die NS-Zeit gelebt hat und voller Überzeugung war.

Zu viele haben damals weg geschaut. Doch hätte ich meine Stimme zu dieser Zeit damals erhoben? Wäre ich mutig genug gewesen?

Es gibt auch heute noch diesen Keim, der in der Erde schlummert und nur auf etwas Wasser wartet, um dann empor zu sprießen. Darum: Wehret den Anfängen und tauscht den Samen aus! Denn nur wer Liebe sät, wird diese mit Gerechtigkeit gekreuzt ernten.

Autor: Holger Micklitza Graf von Andechs

Rezension: Ursula und Katrin Busch, Zurück nach Ägypten – ein enttäuschender Tatsachenbericht

Selbst in Ägypten lebend, war ich mehr als enttäuscht von „Zurück nach Ägypten“ von Ursula und Katrin Busch.

Quelle: weltbild.de
Quelle: weltbild.de

Die „wahre Geschichte“, so der Untertitel, handelt von einer Mutter und ihrer Tochter. Sie betreiben im ägyptischen Hurghada ein Hotel. Die Tochter wird von einem Ägypter ausgenutzt. Eine typische Bezness¹-Geschichte, möchte man fast unterstellen. Auf der anderen Seite beteuert die Mutter im Buch, Ägypten zu lieben, stellt die Menschen aber ständig als Nichtsnutze, Lügner und Betrüger dar. Man spürt genau, dass sie keinerlei Sympathie zu Religion, Kultur, Menschen und Land aufbringt. Sie wirkt sehr überheblich, das Buch wirkt oberflächlich. Ihre ständigen Pauschal-Urteile machen „Zurück nach Ägypten“ sehr langweilig.

Selbst kurze Abschnitte zur Schönheit von Land, Pyramiden, den Tempeln und dem Nil können nicht darüber hinwegtrösten. Es wirkt einfach nicht ehrlich. Vielmehr hat man das Gefühl, dass sie mit einem persönlichen Rachefeldzug gegen einen mutmaßlich betrügerischen Ägypter Geld verdienen möchte.

Interessanter wäre die Geschichte aus Sicht der betroffenen Tochter. Sie war zum Zeitpunkt der Geschichte 40 Jahre alt. Man bekommt aber den Eindruck, es handle sich um ein naives Mädchen, welches von der Mutter geschützt werden muss.

Aber nicht nur inhaltlich überzeugt dieses Buch nicht. Es ist voll von Grammatik- und Rechtschreibfehlern. Es wird nur versucht, ein sehr negatives Bild von Ägypten zu zeichnen. Deswegen ist „Zurück nach Ägypten“ auf keinen Fall empfehlenswert.

¹ Bezness ist ein Kunstwort, hergeleitet vom englischen Wort „business“. Es beschreibt das Geschäft mit den Gefühlen von Frauen, meist europäischen Frauen. Bezness ist das Vorspielen von Gefühlen zum Zwecke der eigenen Vorteilsnahme, finanzieller oder materieller Art. Bezness geht einher mit der Vorspiegelung einer festen Beziehung und allzu oft mit der Vision einer gemeinsamen Zukunft. Bezness kommt überall dort verstärkt vor, wo „reicher“ Tourist auf ärmere Einheimische trifft. Sind z.B. in Thailand, Brasilien, Dominikanische Republik oder Kuba vorwiegend die männlichen Touristen Ziel der Begierde einheimischer Frauen, sind europäische Frauen eher in Ländern wie Ägypten, Tunesien, Kenia und der Türkei Ziel der einheimischen Männer. (Quelle: http://www.reiseinfo-tuerkei.de/Tuerkei/bezness.htm)

Ursula und Katrin Busch, Zurück nach Ägypten: Eine wahre Geschichte
Verlag Kern Bayreuth, 1. Auflage 2010

Autorin: Michaela Marx, Kairo
info@egytext.de
www.egytext.de

Link zum Buch: http://amzn.to/1kXSs9m

Rezension: Kressmann Taylor, Adressat unbekannt – Geschichte darf sich nicht wiederholen

Eines der bekanntesten Werke, die an die Zeit des Zweiten Weltkrieges erinnern, ist zweifelsohne “Das Tagebuch der Anne Frank”. Ein erschütterndes Werk, welches in 55 Sprachen übersetzt wurde und heute eine Auflage von sagenhaften 20 Millionen Exemplaren erreicht hat.

Es ist nicht nur ein Mahnmal an die Gräueltaten des Holocaust, den propagierten Antisemitismus und den Völkermord an mindestens 5,6 bis 6,3 Millionen Juden – darüber hinaus ist es auch über 60 Jahre später noch ein Zeichen gegen das Vergessen.

Dass gerade die Erinnerung so wichtig ist, dokumentieren immer wiederkehrende sowie bestehende rechtsextremistische Strömungen, aber auch die Unwissenheit heutiger Jugendlicher und die damit verbundene Gleichgültigkeit.

So liest Birge Tramontin

Aber auch das Unverständnis, wie es dazu kommen konnte, wirft viele Fragen auf. Antworten darauf gibt es im Werk von Kressmann Taylor “Adressat unbekannt”. In dem fast unscheinbaren, kleinen Buch wird auf nur 62 Seiten der Briefwechsel zwischen dem amerikanischen Juden Max Eisenstein und dem Deutschen Martin Schulse in der Zeit von 1932 bis 1934 beschrieben. Ohne näher auf geschichtliche Fakten einzugehen, wird von Brief zu Brief mit einer eindrucksvollen Dynamik die veränderte Beziehung bis hin zum Ende der einstigen Freundschaft geschildert.

Auf der einen Seite ist Max Eisenstein, der mit wachsender Sorge die politischen Veränderungen in Deutschland beobachtet. Auf der anderen Seite steht Martin Schulse, welcher nach seiner Rückkehr schnell in den Einfluss von Hitlers Politik gerät und dadurch nicht nur zum Mitläufer, sondern auch zum Verfechter antisemitischen Gedankengutes wird.

Auf die Frage, wer eigentlich Adolf Hitler ist, antwortet der deutsche Geschäftsmann: “Um die Wahrheit zu sagen, Max, glaube ich, dass Hitler in einiger Hinsicht gut für Deutschland ist, aber sicher bin ich nicht.” Er beschreibt ihn als elektrischen Schock, anfangs noch mit verhaltenen Zweifeln an der Entwicklung und der Leitidee. Doch bereits der nächste Brief entlarvt ihn als treuen Mitläufer, der völlig eingenommen von der Ideologie des Nationalsozialismus ist und die Juden als Schandfleck tituliert. Martin ist keine Einzelperson dieser Zeit – für den Leser steht er als Symbol für Millionen Deutscher.

Obgleich die Freundschaft längst zerbrochen ist und der Kontakt nur noch auf geschäftlicher Ebene basiert, appelliert der einstige Freund Max aus dem fernen Amerika im November 1933 voller Angst an Martin, sich um seine Schwester Griselle zu kümmern. Diese trat in einem Berliner Theaterstück auf, wurde als Jüdin enttarnt und war seither auf der Flucht.

Die Antwort von Martin beginnt nicht nur mit “Heil Hitler” – in einer schockierenden Gleichgültigkeit, aber auch Schonungslosigkeit berichtet er in wenigen Sätzen fern jeder Anteilnahme vom Tod Griselles. Diese hatte Zuflucht bei ihm, dem einstigen Freund sowie Geliebten gesucht und wurde gleich im Anschluss an sein Wegschicken durch dessen Mitschuld von der SA ermordet. Der Brief an sie kehrt mit dem Vermerk “Adressat unbekannt” an den Bruder zurück, an diesem Punkt dringt das Motiv erstmals durch.

Obwohl ich nur einen kurzen Blick in das Buch werfen wollte, habe ich es seit dem Zeitpunkt nicht mehr aus den Händen gelassen. Nach einer kontinuierlich ansteigenden Dramaturgie erreicht es einen neuen Höhepunkt. Denn Max rächt sich auf sehr subtile Weise: Die weiteren Briefe adressiert er entgegen Martins Weisung an dessen Privatadresse und versieht sie mit geschickten Zahlen sowie verschwörerischen Aussagen. Sehr wohl wissend, dass er damit die Aufmerksamkeit der Zensur erregt.

Es mutet schon unerträglich an, als Martin voller panischer Angst daraufhin an die alte Freundschaft appelliert und um Verständnis für sein Handeln bettelt. Vergebens – schon der zweite Brief danach wird mit dem Vermerk “Adressat unbekannt” zurückgesandt.

62 Seiten, die bewegen und zum Nachdenken anregen.

62 Seiten, die eindrucksvoll vermitteln, wie Millionen Deutsche als Mitläufer oder indem sie die Augen verschlossen ebenfalls zu Tätern wurden.

62 Seiten mit einer Botschaft: Die Geschichte darf sich nicht wiederholen!

Autorin: Birge Tramontin