Rezension: Harald Gilbers, Germania. Oder: Ein Krimi erklärt den Krieg

Das Buch tanzt Pogo mit dem Leser. Zumindest ging’s mir so bei der Lektüre. Denn die Aufs und Abs inhaltlicher wie stilistischer Art haben hier eine hohe Frequenz. Da folgen Passagen von eindringlichster Intensität und Dichte auf leider oft arg schlichte Dialoge oder innere Monologe – da werden bestialische Grausamkeiten detailverliebt geschildert und ein paar Seiten später Sentenzen wie aus einer Seifenoper präsentiert – und da stehen teilweise brillant gezeichnete Charaktere im einer vollkommen durchschnittlichen „Whodunit-Handlung“, die vom Autor eben kurzerhand in eine Welt mit in jeder Hinsicht extremen Konditionen transferiert wurde. Die Gesellschaft ist nicht nur korrupt, es sind Nazis. Der Underdog ist nicht einfach ein Außenseiter, er ist Jude. Das tägliche Leben ist nicht nur eine Zumutung, es hagelt Bomben.

Quelle: Droemer Knaur
Quelle: Droemer Knaur

Worum handelt es sich konkret? Nun, den Plot kann man relativ kurz abhandeln. Und weil das Werk als „Thriller“ firmiert, will ich auch nicht allzu viel verraten. Die Handlung spielt im Berlin des Jahres 1944, zwischen dem 7. Mai und dem 25. Juni. Die Stadt zerbröselt zusehends unter den andauernden Angriffen alliierter Bomber. Ein Serienmörder geht um und verstümmelt und ermordet nicht nur junge Frauen – er legt die Leichen auch noch an Mahnmalen zum Gedenken an den 1. Weltkrieg ab. Die Behörden sind ratlos, erinnern sich dann aber an den Juden Richard Oppenheimer, der früher mal Kriminalkommissar war. Oppenheimer leidet zwar unter der Verfolgung durch die Nazis, sieht sich aber immer noch als pflichtbewusster preußischer Beamter und macht sich unter dem Schutz der SS auf die Tätersuche. Sein Problem dabei: wenn er den Täter hat, dürfte seine Gandenfrist abgelaufen sein.

Nun gut. Krimis, die ins Berlin der 20er, 30er und 40er Jahre verlegt werden, kennt man. Nicht zuletzt durch den Gereon-Rath-Zyklus von Volker Kutscher. Harald Gilbers geht allerdings härter zur Sache. Der Autor ist Jahrgang 1969, studierte Anglistik und Geschichte und arbeitete erst als Feuilleton-Redakteur, bevor er Theaterregisseur wurde. Das macht sich in der nicht immer gelungenen Dialogdichte des Romans bemerkbar – aber erfreulicherweise eben auch in seiner akribischen Recherche zu den Rahmenbedingungen des Lebens in Berlin zur Endzeit der Naziherrschaft. Sprachliche Wendungen, Witze, U-Bahnverbindungen, Wetter, Nachrichten… all das ist stimmig in die Handlung integriert. Und Gilbers kann durchaus ergreifend schreiben. Die Sequenz über einen Bombenangriff, den der Held Oppenheimer zusammen mit seinem SS-Partner Vogler im Bunker übersteht, gehört für mich zu den stärksten Stellen des ganzen Buchs. In seiner ganzen expressiven Wucht durchaus vergleichbar mit der Beschreibung des Bombardements von Dresden im Roman „Schlachthof 5“ von Kurt Vonnegut. Trotzdem: die Fallhöhe danach ist dann wieder entsprechend hoch. Und schmerzt.

„Germania“ ist der erste Roman von Harald Gilbers und für die Kenner der Szene offenbar ein ausgezeichneter Start in die Krimiautor-Karriere: nämlich prämiert mit dem Glauser-Preis 2014 für das beste Debüt. Mir hat’s im Ganzen nicht ganz so gut gefallen.

Harald Gilbers, Germania. Knaur TB, 2013.

Autor: Harald Wurst | ph1.de

Rezension: Cornelia Lotter, Elstertränen

Elstertränen: sensibel, schockierend, intim… einfach nur gut!

Wer ist eigentlich die Hauptfigur in Cornelia Lotters Krimi „Elstertränen“? Ist es Martin Bender, der die Ermittlungen der Sonderkommission „Elster“ leitet und den Mord an einem kleinen Mädchen aufklären soll, während alle Spuren scheinbar ins Leere laufen? Ist es seine Partnerin Kirsten Stein, die ihn mit ihren oft unorthodoxen Ermittlungsmethoden unterstützt? Oder ist es gar der Unbekannte, der die Mädchenleiche aus der Elster fischt, ihre Blöße mit einem Weißdornzweig bedeckt und schließlich verschwindet?

Bender und Kirsten, kurz Ki genannt, stehen ebenso wie die Beamten der Mordkommission vor einem schier unlösbaren Rätsel: Die kleine Ilka war auf dem Weg zum Spielplatz, hat diesen jedoch nicht erreicht und ist scheinbar spurlos verschwunden, bis ihre Leiche am Elsterufer gefunden wird. Das ist bereits der vierte Mord an einem kleinen Mädchen in Leipzig und Umgebung. Das Mädchen wurde sexuell missbraucht und starb vermutlich an einer Überdosis K.-o.-Tropfen.

… doch der Unbekannte schweigt

Der unbekannte Finder der Leiche gibt sich zunächst nicht zu erkennen. Er hat Angst, als Täter abgestempelt zu werden, weil er selbst pädophil veranlagt ist, jedoch immer verzweifelter gegen seine Neigungen ankämpft. Dass er schließlich doch mit der Polizei zusammenarbeitet, ist lediglich einem Zufall zu verdanken: Er ist beim selben Therapeuten in Behandlung wie Ki, die einige unschöne Kapitel aus ihrer Vergangenheit aufarbeiten möchte und sich von Martin sehnlichst ein Kind wünscht. Schließlich gelingt es diesem ungleichen Trio, einen Pädophilen-Ring zu sprengen, der Kinderpornos produziert und in der Szene verbreitet.

Einfühlsam und trotzdem temporeich

Die Story von „Elstertränen“ ist in mehrfacher Hinsicht ein Wettlauf gegen die Zeit: Martin Bender will den Täter fassen, ehe noch weitere Morde passieren oder sich die wenigen Spuren endgültig im Nichts verlieren. Ki spürt ihre biologische Uhr in rasantem Tempo ticken und hat ihre eigene Vergangenheit – vor allem eine Abtreibung – noch nicht richtig aufgearbeitet. Und der Unbekannte schließlich fürchtet, dass er irgendwann seinen unterdrückten Neigungen nachgehen könnte. Erst recht, als eine neue Nachbarin im Mietshaus einzieht, deren Tochter genau in dem Alter ist, das zu seinem Beuteschema passt.

Das Tempo macht Cornelia Lotter mit kurzen Kapiteln und raschen Szenewechseln, die stilistisch etwas an die Arbeitsweise des Regisseurs Quentin Tarrantino erinnern. Trotzdem nimmt sie sich die Zeit, um die Protagonisten tiefgründig zu charakterisieren. Darüber hinaus geht sie das Thema Pädophilie äußerst sensibel an.

Trotz des direkten Einstiegs in die Thematik verzichtet die Autorin auf jegliche Effekthascherei und darauf, die betreffenden Szenen unnötig auszumalen. Durch ihre einfühlsame Charakteristik des Unbekannten macht sie deutlich, dass pädophil veranlagte Menschen nicht zwangsläufig Täter oder Monster werden müssen, sondern sich unter Umständen selbst in einer Opferrolle befinden.

Cornelia Lotter wagt mit der Thematik einen äußerst schwierigen Spagat, den sie mit Bravour meistert. Sie verpackt die schwierige Thematik in eine spannende und gut erzählte Geschichte. Mögen ihre Leser dazu animiert werden, genauer hinzuschauen, wenn in seiner eigenen Nachbarschaft etwas seltsam erscheint.

Cornelia Lotter, Elstertränen – Ki und die verlorenen Kinder.
Ein Krimi um Privatdetektivin Kirsten Stein
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Autor: Harry Sochor

Torjubel, Thunfisch und Tofu: Das Kochbuch zur Fußball-WM in Brasilien

Sie steht bei Hannover 96 mit dem Fanschal in der Kurve. Sie sammelt seit über 30 Jahren Kochbücher (nicht nachrechnen…). Im Urlaub fragt sie den Koch des Hotels immer nach seinen Rezepten. Und sie kann schreiben. Alles in einen Topf, gut durchgerührt, und das Ergebnis ist ein Kochbuch mit Rezepten aus den 32 teilnehmenden Nationen der Fußball-WM 2014 in Brasilien, gewürzt mit Infos rund um das Leder, das die Welt bedeutet. Ich habe Autorin Katrin Roßnick auf der Leipziger Buchmesse getroffen.

Autorin Katrin Roßnick. Quelle: www.hannover-schnitte.de
Autorin Katrin Roßnick. Quelle: www.hannover-schnitte.de

„Ich bin da schon ein bißchen verrückt“, lacht die Frau mit dem festen Händedruck. 2006, als Hannover Spielort der Fußball-WM war, entstand die erste Buchidee. Mit dem Konzept „32 Mannschaften – 32 Spiele – 32 Rezepte“ fuhr Katrin Roßnick vor der Fußball-WM 2010 auf die Frankfurter Buchmesse, um einen Verlag zu suchen – damals noch zu blauäugig und ohne Gefühl für die Vorlaufzeit einer Buchproduktion. Was jetzt mit dem Titel „Kick and Cook“ in einer Startauflage von beachtlichen 6.000 Exemplaren vorliegt, ist professionell: Jede Teilnehmernation wird mit einem Rezept vorgestellt, das jeweils eine landestypische Zutat enthält. „Alle Zutaten sollen im Supermarkt um die Ecke erhältlich sein.“ Das ist zum Beispiel im Iran der Safran und für Kroatien Rosenwasser. Die Rezepte stammen aus dem Fundus der Autorin (es mögen wohl mehrere Zehntausende sein) und von Freunden aus den WM-Ländern.

Kick and Cook Cover„Natürlich habe ich alles selbst gekocht“, betont Katrin Roßnick. Die Gegenkontrolle gab es durch den Foodfotografen Andreas Keudel, Freunde, Familie und Kollegen. Für Deutschland gehen Berliner Buletten mit Kräuter-Kartoffelsalat an den Start, Nachbar Niederlande serviert zwei Sorten Tartar vom Matjes, und beim Außenseiter Bosnien und Herzegowina kommen Hackfleischröllchen vom Grill auf den Tisch.

Und nach der WM? Na klar: Nach dem Turnier ist vor dem Turnier. Katrin Roßnick wird die Qualifikationsspiele zur WM 2018 in Russland verfolgen und schon mal die passenden Rezepte heraussuchen…

Katrin Roßnick, Kick and Cook. Das Kochbuch zur Fussball-WM 2014. Verlag Die Werkstatt, 1. Auflage 2013.

Leipziger Buchmesse 2014: Die roten Schweizer Lesebänke sind wieder da

Zurück: Eine Schweizer Lesebank im Clara-Zetkin-Park. Foto Detlef M. Plaisier
Zurück: Eine Schweizer Lesebank im Clara-Zetkin-Park. Foto Detlef M. Plaisier

Sie waren Gastgeschenk und Blickfang zur diesjährigen Leipziger Buchmesse: Die roten Schweizer Lesebänke prägten das Stadtbild an zentralen Orten vor Buchhandlungen und in Parks – und genauso schnell waren sie wieder verschwunden. Nach fast drei Monaten Abwesenheit kommt jetzt ein Teil der literarischen Sitzgelegenheiten zurück.

Zehn der ursprünglich 40 Bänke wurden der Stadt Leipzig jetzt vom Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband (SBVV) übereignet. Fünf von ihnen sind bereits im Lesegarten des Clara-Zetkin-Parks südlich des „Schachhäuschens“ dauerhaft aufgestellt. Sie verbleiben in der kleinen Anlage bis zur geplanten Sanierung in den nächsten Jahren. Mit der Aufstellung wird die Tradition des Lesegartens an dieser Stelle aus den 1950er Jahren wiederbelebt. Die anderen fünf Bänke bleiben zunächst in einem Depot der Stadt, um eventuell durch Graffiti beschädigte Bänke schnell austauschen zu können. „Diese Gegend ist dafür aber weniger anfällig“, ist Gerald Biehl vom Amt für Stadtgrün und Gewässer zuversichtlich.

Um die literarische Freundschaft zwischen Leipzig und der Schweiz zu untermauern, hat der SBVV zusätzlich eine Mini-Handbibliothek mit 100 Ausgaben Schweizer Literatur gestiftet. Die Bücher können im Schachhäuschen während der Öffnungszeiten ausgeliehen werden (Mai bis September jeweils montags, mittwochs und freitags von 14 bis 18 Uhr). Für das Schweizer Buchgeschenk haben städtische Tischler eigens Regale angefertigt.

Rezension: Jan-Philipp Sendker, Herzenstimmen

Der Titel des Romans von Jan-Philipp Sendker klingt zunächst nach einem schnulzigen Liebesroman. Doch schon nach den ersten Seiten wird klar: „Herzenstimmen“ ist alles andere als das.

Hauptperson des Buches ist Julia Win, Anwältin in New York und bestens durchorganisiert. Spontan ist bei Julia nichts, noch nicht einmal ein Treffen mit ihrer besten Freundin. Doch dann erhält Julia unerwartet einen Brief von ihrem Halbbruder U Ban aus Burma, den sie zehn Jahre zuvor kennengelernt hatte. Von dieser Reise erzählt der Vorgängertext „Herzenhören“. Und doch ist „Herzenstimmen“ mehr als eine bloße Fortsetzung, denn auch wer das erste Buch nicht gelesen hat, ist von Julias Geschichte gefesselt.

Nachdem Julia den Brief ihres Bruders gelesen hat, hört sie plötzlich die Stimme einer Frau in ihrem Kopf, die offensichtlich sehr verängstigt ist. Wie jeder „normale“ Mensch geht Julia zu einem Psychotherapeuten, doch der kann ihr nicht helfen. Erst durch die Intervention ihrer besten Freundin wird Julia klar, dass sie zurückkehren muss nach Burma, in das Land ihres Vaters, um herauszufinden, was es mit dieser geheimnisvollen Stimme auf sich hat – und das, obwohl die Stimme versucht, sie mit allen Mitteln von dieser Reise abzuhalten.

Julia fliegt nach Burma. Hier sieht sie nicht nur ihren Bruder wieder, sondern findet auch ein völlig verändertes Land vor, das auch mich als Leser fasziniert. Jan-Philipp Sendker gelingt es, in seinem zweiten Roman nicht nur eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern dem Leser auch die Geschichte Burmas näherzubringen. Das geschieht nicht mit dem Holzhammer, sondern ist so geschickt in die Geschichte eingebettet, dass man es als Leser kaum bemerkt. Besonders deutlich empfindet der Leser dabei die allgegenwärtige Macht des Militärs und die Ohnmacht der Bevölkerung, sich gegen das Militär zu wehren. Romantisch-verklärende Blicke auf die ostasiatische Lebensweise, wie sie im Westen vielerorts bis heute Konjunktur haben, haben hier keinen Platz. Und trotzdem ist der Roman keine Generalabrechnung oder Anklage – im Gegenteil: Er beschreibt sehr behutsam die Verhältnisse in Burma und entfaltet gerade dadurch eine ungeheure Wucht.

In Burma angekommen, wird Julia mit Hilfe ihres Bruders schnell klar, dass auch die Stimme in ihrem Kopf unmittelbar mit der brutalen Militärherrschaft über Burma zu tun hat. Für Julia beginnt eine gefährliche Spurensuche, an deren Ende sie durch ihre Beharrlichkeit die berührende Geschichte von Nu Nu (der Stimme in ihrem Kopf), ihrem Mann Maung Sein und den gemeinsamen Söhnen Ko Gyi und Thar Thar kennt. Vor allem aber weiß sie, was im Leben wirklich zählt.

„Herzenstimmen“ ist ein tief-bewegender Roman über die Geschichte Burmas und darüber, dass das Leben oft vielschichtiger ist, als es auf den ersten Blick scheint. Es lohnt sich, diese Vielschichtigkeit aus der Sicht von Jan-Philipp Sendker zu erforschen.

Jan-Philipp Sendker, Herzenstimmen
Karl Blessing Verlag (2012)

Autorin: Yvonne Giebels

Rezension: Ulrike Sosnitza, Ein Klick zu viel

Die letzte Hausfrau des neuen Jahrtausends“, so wird Emmy genannt. Dabei wäre sie doch viel lieber erfolgreich und berühmt. Emmy möchte einen Roman schreiben, um endlich zu beweisen, dass sie mehr kann als kochen und Kinder hüten. Allerdings fehlen ihr Talent und Ausdauer, um ein ordentliches Manuskript zu Papier zu bringen.

Eher zufällig als geplant kopiert sie einen Text aus dem Internet und gibt ihn als ihren eigenen aus. Eigentlich wollte sie damit nur eine Bekannte beeindrucken. Als das Manuskript jedoch einem Verleger in die Hände fällt, nimmt das Unheil seinen Lauf. Das Buch wird ein großer Erfolg und sogar für einen Literaturpreis nominiert. Als die wahre Autorin Mere dahinterkommt, nimmt sie den Kampf nach ihren eigenen Regeln auf.

Der Klappentext verspricht eine bitterböse Komödie, in der nicht alles ernst gemeint ist, was in rasantem Tempo geschildert wird. Leider ist der Anfang des Buches nicht unbedingt rasant. Nur allmählich entwickelt sich die Story um die Protagonistinnen Emmy und Mere, die ich zudem beide nicht besonders sympathisch fand – wobei Mere in ihrer Kompromisslosigkeit immerhin ein interessanter Typ ist. Obwohl sie nach der Trennung von ihrem Mann obdachlos ist, schreibt sie ein hervorragendes Manuskript. Emmy lebt dagegen in ihrem Villenhaushalt und wird schlimmstenfalls von Minderwertigkeitsgefühlen geplagt.

Dass ich das Buch dennoch nicht weglegen konnte, lag am Thema. Das Buch widmet sich einer aktuellen Problematik, auf die mich eine befreundete Autorin aufmerksam machte. Viele unbekannte Schriftsteller veröffentlichen ihre Texte auf Internetplattformen, um Verlage darauf aufmerksam zu machen. Einige von ihnen mussten jedoch feststellen, dass jemand ihren Text kopiert, geringfügig verändert und dann als eigenes E-Book zum Download angeboten hat.

Fazit: Wer die dahinplätschernden ersten zehn Kapitel (insgesamt sind es 47) durchgehalten hat, wird mit einer spannenden Story belohnt. Die Autorin findet zu einem flotteren Schreibstil und die Geschichte nimmt richtig Fahrt auf. Im letzten Teil des Buches überschlagen sich die Ereignisse und das Tempo wird tatsächlich so rasant wie im Klappentext versprochen. Der Roman überrascht mit einigen unerwarteten Wendungen und hinterlässt eine interessante Frage: Wie weit würde ich selbst gehen, um ein Ziel zu erreichen?

Ulrike Sosnitza, Ein Klick zu viel
(Verlag Königshausen und Neumann, 2013)

Autorin: Petra Gugel

Rezension: Roy Jacobsen, Die Farbe der Reue

„Die Farbe der Reue“ ist ein Roman des norwegischen Autors Roy Jacobsen aus dem Jahr 2011. Gabriele Haefs übersetzte das Buch ins Deutsche, 2012 erschien es im Berliner Osburg Verlag.

Das Buch erzählt die Geschichte des 72 jährigen Hans Larsen, der nach einer langen Haftstrafe vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird. Er war, ist und bleibt ein Eigenbrötler. Es war es immer am liebsten, wenn er unsichtbar und unerkannt leben konnte.

Die zweite Hauptperson des Buches ist Hans Larsens Tochter Marianne. Sie ist alleinerziehende Mutter der kleinen Greta, arbeitet im Waschsalon, ist ständig knapp bei Kasse und wirkt auch psychisch labil. Jeden Tag stellt sie To Do- Listen für sämtliche zu erledigende Kleinigkeiten des Alltags auf, und jeden Abend wird der Tag kurz in ihrem Tagebuch analysiert und mit Plus- und Minuszeichen versehen. Zu ihrem Vater hat sie seit Jahren keinerlei Kontakt.

Hans arbeitet nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis schwarz bei seinem ehemaligen Chef im Hafen als Tagelöhner. Nach einem Unfall lernt er im Krankenhaus seinen wohlhabenden Bettnachbarn Arthur Almlie und dessen Frau Agnes besser kennen und tritt trotz seines hohen Alters bei ihnen eine Stelle als Gärtner und Hausmeister an. Seine Beziehung zu Agnes Almlie wird bald inniger und intimer. Agnes recherchiert ohne sein Wissen in Hans‘ Vergangenheit. Sie versucht auf eigene Faust mehr über Marianne und die kleine Greta herauszufinden und tut ihnen auch unbemerkt Gutes.

Ich fand es sehr schwierig, mich in das Buch hinein zu finden. Der Autor lässt sehr lange offen, warum das Verhältnis zwischen Vater und Tochter so zerrüttet ist. Es gibt immer wieder Hinweise auf die Kindheit von Marianne, aber was genau zwischen beiden geschah, erfährt der Leser erst gegen Ende des Textes. Vieles scheint mir einfach nur Füllmaterial zu sein ohne Bedeutung für den Fortgang der Handlung. Erst im letzten Drittel des Romans zeigt sich dann wieder eine einigermassen nachvollziehbare Handlung, die allerdings den zähen und langweiligen ersten Teil nicht mehr aufwerten kann.

Ich hätte das Buch am liebsten zur Seite gelegt und es nicht weiter gelesen. Die Geschichte wird lange nicht wirklich spannend und fesselt mich nicht. Der Autor selbst ist einer der meistgelesenen Schriftsteller Norwegens. „Die Farbe der Reue“ ist nicht sein herausragendster Roman. Von mir gibt es keine Empfehlung für dieses Buch.

Roy Jacobsen, Die Farbe der Reue
Osburg Verlag, 1. Auflage 2012

Autorin: Sarah Czerwa

Rezension: Owen Matthews, Winterkinder – ein intimes Stück Zeitgeschichte

Was ist Owen Matthews‘ Roman „Winterkinder“? Ein historischer Roman? Eine Familiensaga? Ein Stück persönlicher Vergangenheitsbewältigung? Vermutlich eine gut gelungene Mischung aus allen dreien. Der Autor begibt sich in „Winterkinder“ auf eine Spurensuche in die eigene Vergangenheit und erzählt die Geschichte der verzweifelten Liebe seiner Eltern, eingebettet in die politische Weltlage und den Alltag in der Sowjetunion während des Kalten Krieges.

Quelle: Ullstein Buchverlage
Quelle: Ullstein Buchverlage

Die Geschichte beginnt mit der Verhaftung seines Großvaters Boris Bibikow an einem Mittsommertag des Jahres 1937. Der glühende Sozialist hatte nach der sozialistischen Revolution eine steile Karriere gemacht und es bis zum Leiter einer Traktorenfabrik gebracht. Hochmotiviert war es ihm gelungen, mit seinen Arbeitern die Fabrik in Rekordzeit aus dem Boden zu stampfen und das Soll des ersten Fünfjahresplans zu erfüllen. Doch dann wird Boris Bibikow zum Opfer der stalinistischen Säuberungswelle. Seine Familie, die zuvor bescheidene Privilegien genossen hatte, stürzt ins Elend. Die Töchter Mila und Lenina erleben eine Odyssee durch sowjetische Waisenhäuser.

Als Erwachsene hat sich Mila weitgehend mit dem System arrangiert, bewegt sich jedoch in subversiven Kreisen, die das System in Frage stellen. Sie lernt den jungen Briten Mervyn Matthews kennen. Mervyn Matthews ist auf dem besten Weg, eine akademische Karriere in Oxford zu machen und hat ein Stipendium für den Aufenthalt in der Sowjetunion erhalten. Dort bewegt er sich gern am Rande der vom britischen Außenministerium erlaubten Pfade und eckt deshalb mehrfach an. Mervyn widersteht den Anwerbungsversuchen des KGB und verliebt sich in Mila.

Schachfiguren der Weltpolitik

Als die Behörden von dieser Affäre erfahren, muss Mervyn schnellstmöglich ausreisen, während Mila versetzt wird. Doch das junge Paar hat sich geschworen, um seine Liebe zu kämpfen. Mervyn geht in die Medien und setzt alle Hebel in Bewegung, um für Mila die Ausreiseerlaubnis zu erwirken. Er zahlt jedoch einen hohen Preis, weil er darüber seine akademische Karriere komplett vernachlässigt, die Stellung in Oxford verliert und an eine drittklassige Universität versetzt wird.

Schließlich gelingt es ihm, die Ausreise Milas zum Teil eines Agentenaustausches zu machen und das junge Paar kommt nach Jahren der Trennung endlich zusammen. Doch Mila hat in der Fremde zunächst Schwierigkeiten, sich anzupassen. Zunehmend entfremdet sich das Paar, und sowohl Mila als auch Merwyn wird klar, dass sie in erster Linie nur der schier unmögliche Kampf gegen übermächtige Gegner zusammengeschweißt hat.

Moskau, Bolschoi-Theater. Quelle: Postkartenarchiv Plaisier
Moskau, Bolschoi-Theater. Quelle: Postkartenarchiv Plaisier

Owen Matthews schildert einfühlsam und fesselnd das Schicksal zweier Menschen, deren Leben von den Interessen der großen Politik massiv beeinflusst und fast zerstört wird. Er verzichtet dabei auf eine moralische Wertung, sondern stützt seine Geschichte auf Archivmaterial. Gerade durch diese nüchterne Darstellung wird die Perversion der Machtverhältnisse in der früheren Sowjetunion offensichtlich. Phasenweise erinnern die radikalen Kurswechsel der Machthaber an Passagen aus Orson Welles‘ „1984“, der ebenfalls den Kalten Krieg als Ausgangspunkt für seine Dystopie gewählt hatte. Unsympathisch wirken eher die Vertreter des britischen Polit-Establishments, die sich über Jahre hinweg weigern, dem verzweifelten Paar zu helfen, um nur ja das fragile Verhältnis zwischen Ost und West nicht zu gefährden.

Owen Matthews hat angesichts der aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ein Werk von fast erschreckender Aktualität geschaffen. Vor allem Lesern der Generation, die den Mauerfall miterlebt hat, dürften so manche Szenen aus „Winterkinder“ vertraut erscheinen.

Owen Matthews, Winterkinder
Graf Verlag, 2014

Autor: Harry Sochor

Rezension: Carlos Ruiz Zafón, Der Schatten des Windes

„Bücher sind Spiegel: Man sieht in ihnen nur, was man schon in sich hat.“

Quelle: Suhrkamp Verlag
Quelle: Suhrkamp Verlag

Dieses Zitat aus „Der Schatten des Windes“ beschreibt am besten, was man von diesem Roman erwarten kann. Viele Rezensionen wurden darüber bereits geschrieben, und fast alle sind gleichlautend mit meiner Meinung: Es ist eine Geschichte voller Romantik, Tragik und Mystik, geschrieben in poetischer Sprache und bevölkert von einem Sammelsurium liebevoller Protagonisten. Joschka Fischer schwärmte nach der Lektüre: „Anderthalb Tage – Sie werden die Nacht durchlesen. Sie können es nicht weglegen, bevor Sie nicht am Ende sind.“ Einige Leser fanden das Buch etwas düster und den Anfang zu langatmig, was ich jedoch nicht nachvollziehen kann. Ich habe das Buch inzwischen fünfmal gelesen und schmökere auch zwischendrin immer wieder in meinen Lieblingsstellen.

Der Autor Carlos Ruiz Zafón versetzt den Leser in ein bedrückendes Barcelona zur Zeit der Franco-Diktatur. Als der junge Daniel Sempere zum ersten Mal den geheimnisvollen Friedhof der vergessenen Bücher betritt, darf er gemäß der Tradition ein Buch aus dem Bestand mitnehmen. Daniel entscheidet sich für den Roman „Der Schatten des Windes“, geschrieben von einem unbekannten Schriftsteller namens Julián Carax. Daniel möchte mehr von diesem Carax lesen und macht sich auf die Suche nach weiteren Romanen. Doch der Autor ist verschwunden, und seine Bücher scheinen allesamt von einer unheimlichen Person vernichtet worden zu sein.

Barcelona, Park Güell (Gaudi). Quelle: Postkartenarchiv Plaisier
Barcelona, Park Güell (Gaudi). Quelle: Postkartenarchiv Plaisier

Während Daniel älter wird, kommt er dem Geheimnis von Carax allmählich näher. Bei seinen Nachforschungen begleiten Daniel zwei Personen: Bea, der Schwester eines Freundes, und Fermín Romero de Torres, dem Zafón Dialoge voll sprühenden Wortwitzes in den Mund legt. Mit der Zeit entdeckt Daniel eine unheilvolle Verstrickung von Liebe, Gewalt und Politik, deren Auswirkung bis in die Gegenwart reicht. Gleichzeitig entspinnt sich zwischen ihm und Bea eine zarte Liebesgeschichte, die der verhängnisvollen Romanze zwischen Carax und dessen Jugendliebe gleicht. In einer verlassenen Villa trifft Daniel dann auf die Geister der Vergangenheit. Die Ereignisse spitzen sich zu, und Carax‘ unseliges Schicksal scheint sich bei Daniel zu wiederholen. Wobei die Betonung auf „scheint“ liegt, denn das Ende möchte ich natürlich nicht verraten.

„Der Schatten des Windes“ ist der Auftakt einer bisher dreibändigen Barcelona-Reihe, ein viertes Buch soll noch folgen. Die Geschichten der beiden Folgebände „Das Spiel des Engels“ und „Der Gefangene des Himmels“ spielen teils vor und teils nach den Ereignissen des ersten Teils. Zwar können die Fortsetzungen mit ihrem Vorgänger nicht ganz mithalten, sie sind aber dennoch ebenso lesenswert.

Carlos Ruiz Zafón, Der Schatten des Windes
Suhrkamp Verlag, 2005

Autorin: Petra Gugel

Buchmesse in Teheran: Laut, bunt – und was bitte ist Urheberrecht?

Buchmesse Teheran 2014. Foto: Steffen Meier
Buchmesse Teheran 2014. Foto: Steffen Meier

Zugegeben: In Teheran hatte ich eine Buchmesse nicht erwartet. Dabei ist sie mit fast fünf Millionen Besuchern eine der größten der Welt. Und es ist (fast) alles anders als in Leipzig und Frankfurt: Der Kaffee ist ungenießbar, man kann Bücher direkt vor Ort kaufen, und Raubkopien werden offen gehandelt.

Steffen Meier, Ideengeber im Marketing von Readbox, war dort und hat für uns Daheimgebliebene seine Eindrücke aufgeschrieben. Ein bisschen neidisch bin ich schon. Aber ich weiß jetzt auch, was ich an meinem Leipzig habe.