Rezension: Stephanie Lam, Das Haus der Lügen

Jeder Mensch hat seine kleinen oder größeren Geheimnisse, und jeder lügt ab und zu aus verschiedenen Gründen. Manche, um andere nicht zu verletzen, manche aus Scham oder Angst, wieder andere aus Berechnung, Zorn oder Rachedurst. In Stephanie Lams „Haus der Lügen“ besteht das ganze Leben aus Lügen – und dem, was passiert, wenn man sich zu tief darin verstrickt hat, um die Wahrheit noch sehen zu können.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Ein Haus und seine Geheimnisse
1965 zieht die 18-jährige Rosie Churchill in Castaway House ein. Die einst herrschaftliche Villa thront auf den Klippen über einem englischen Küstenstädtchen. Unter einem Fensterbrett entdeckt sie die Inschrift „Robert Carver ist unschuldig“ und damit ein kleines Stück des dunkelsten Geheimnisses der alten Villa aus dem Sommer 1924, als der 19-jährige Robert Carver auf Einladung seines Cousins Alec eine vermeintlich unbeschwerte Zeit an der See zu Erholung seiner Lungen verbringen will. Doch bald schon wird auch Robert hineingezogen in das Gewirr aus Lug und Betrug, das Alec und seine Frau Clara rund um sich gesponnen haben. Robert, der das Spiel nicht durchschaut, wird selber zum Lügner.

1965 taucht ein Landstreicher an der Tür der Villa auf, der behauptet, er müsse etwas Wichtiges wegen des Hauses klären, wisse aber nicht mehr was, da er vor Jahren das Gedächtnis verloren habe. Rosie, die selbst ein Geheimnis mit sich herumträgt und deswegen zur Lügnerin geworden ist, hat Mitleid mit dem alten Mann und beginnt, sich um ihn zu kümmern. Und plötzlich kreuzen sich die Lebensgeschichte von Robert und Rosie trotz der mehr als 40 Jahre zwischen ihrer Anwesenheit in Castaway House.

Langsam, dicht und detailreich
Stephanie Lam erzählt die Geschichten von Castaway House und seiner Bewohner zwischen 1924 und 1965 langsam, präzise und spannend. Als Leser habe ich eine Ahnung von dem, was passiert, und werde dennoch überrascht. Mit vielen Details erwacht die Welt der Protagonisten zum Leben und es wächst das Verständnis dafür, warum jeder sich in seinen Lügen sicherer fühlt als mit der Wahrheit. Trotz der langsamen Erzählweise und der beiden Handlungsstränge, die sich mehr und mehr ineinander verweben, ist „Das Haus der Lügen“ niemals langatmig oder verwirrend. Und gelegentlich ertappe ich mich dabei, den handelnden Personen den Rat geben zu wollen, es einmal mit der Wahrheit zu versuchen, anstatt auf Lügen zu beharren, die sich längst schon verselbstständigt haben.

Fazit
„Das Haus der Lügen“ ist Erzählung und Krimi in bestem britischen Stil. Ein Buch, das den Leser dazu verführt, immer „nur noch eine Seite“ lesen zu wollen, weil es von Anfang an in den Bann der Geschichten zieht. Je weiter die Entwicklungen fortschreiten, desto klarer werden die Entscheidungen und Lügen, und desto mehr wächst das Verständnis für jeden einzelnen Protagonisten wie auch die Erkenntnis, dass auch im eigenen Leben das eine oder andere Geheimnis schlummert. Die Wahrheit ist zwar nicht immer schön, aber das einzige Mittel, mit sich selbst in Frieden und ohne Schuld zu leben. Eine wirklich faszinierende Geschichte mit unbedingter Leseempfehlung.

Stephanie Lam, Das Haus der Lügen
Goldmann Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Das-Haus-der-Luegen-9783442204458
Autor der Rezension: Harry Pfliegl