Rezension: Thomas Brussig, Das gibts in keinem Russenfilm

Thomas Brussig, 1964 in (Ost)-Berlin geboren, arbeitet als Schriftsteller und Drehbuchautor. Er studierte nach Abbruch seines Soziologiestudiums an der Filmhochschule „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. Mit seinen Büchern „Helden wie wir“ und „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ (beide verfilmt) erlangte er große Bekanntheit.

Quelle: www.fischerverlage.de
Quelle: www.fischerverlage.de

Wenn die Mauer nicht gefallen wäre…
Als Thomas Brussig im Mai dieses Jahres anlässlich des Tübinger Bücherfestes in einem lauschigen Hof aus seinem neuen Buch mit dem sensationellen Titel „Das gibts in keinem Russenfilm“ las, wusste ich: Dieses Buch muss ich haben! (Dass höchstens ehemalige DDR-Bürger den Titel verstanden, war sowohl mir als auch ihm klar.) Der Protagonist in dieser kontrafaktischen Biografie ist der Autor selbst und er heißt auch so. Die Jahre bis zur „Wende“ dürften seinem eigenen Werdegang entsprechen. Auf selbstironische Weise erzählt Brussig von Armee-Erlebnissen, Liebesabenteuern und dem ganz normalen Alltagswahnsinn in der DDR. Er lässt bekannte Politiker und Künstler auftreten, von denen man allerdings nicht weiß, ob sie tatsächlich in der geschilderten Weise im Leben des Autors eine Rolle gespielt haben.

Die Wende findet nicht statt
Von den Ereignissen nach 1989 scheinen mir keineswegs alle erfunden zu sein. Das Leben von Thomas Brussig geht weiter, er schreibt an verschiedenen Romanen und die DDR versucht, ihren Devisenmangel mit dem Bedürfnis der Eingesperrten nach Westreisen zu verknüpfen, sozusagen eine Win-Win-Situation herzustellen. Es werden diverse „Erfindungen“ gemacht, angefangen von hölzernen Windkraftanlagen bis hin zu neuartigen Stromzapfanlagen für Elektroautos. Wobei zu bemerken wäre, dass an keiner Stelle die naheliegende Frage auftaucht, wie es mit der Akzeptanz und der Vereinbarkeit der Abholzung der Wälder mit Umweltschutz und Nachhaltigkeit steht.

Von der Stasi ist nicht mehr oft die Rede, Versorgungsengpässe scheint es auch nicht mehr zu geben. Man vergisstals Leser schnell, dass es in der Phantasie des Autors immer noch zwei deutsche Staaten gibt. So geht leider auch das eigentlich interessante Gedankenspiel (das auch andere Autoren bereits zur Grundlage ihrer Romane machten) unter, gerade so, als wüsste der Autor nicht, wie er es mit Leben füllen sollte. Erst am Ende, als sich Brussig über das Buch eines westdeutschen Jungautoren aufregt, der die friedliche Revolution als Fiktion in seinem Roman schildert, kriegt er noch einmal die Kurve und der Kreis schließt sich.

Probleme mit der Form
An die konsequente Einhaltung der „alten“ Rechtschreibung habe ich mich noch gewöhnen können, nicht jedoch an den vollständigen Verzicht des Plusquamperfektes, da wo die Vorvergangenheit erzählt wird, sowie an den oft schmerzlich vermissten Gebrauch des Konjunktivs.

Mein Fazit
Ein unbedingt empfehlenswertes, weil originelles Buch, das mit selbstironischem Augenzwinkern erzählt, was war und was hätte sein können, getragen von großer Fabulierkunst. Besonders interessant dürfte es für all jene sein, die einen Teil ihres Lebens in der DDR zugebracht haben. Wer selbst schreibt, kann anschaulich verfolgen, welche Kämpfe der Autor beim Entstehen der jeweiligen Romane ausgefochten hat.

Thomas Brussig, Das gibts in keinem Russenfilm
S. Fischer, Frankfurt a.M., 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Das-gibts-in-keinem-Russenfilm-9783100022981
Autorin der Rezension: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de