Rezension: Donna Tartt, Der Distelfink

Theo Decker erlebt als Kind den Supergau: Bei einem Bombenangriff auf ein New Yorker Museum kommt seine Mutter ums Leben. Er begleitet den tödlich verletzten Antiquitätenhändler Welton Blackwell bei dessen Sterbeprozess, anschließend gelingt es dem Jungen, aus dem zerstörten Gebäude zu gelangen. Dabei lässt er das Gemälde „Der Distelfink“, ein Werk des niederländischen Malers Carel Fabritius, mitgehen – eine Tat, die schicksalsträchtiger nicht sein könnte. Mit diesem umfangreichen Werk, das Theo Deckers bewegten Weg hin zum Erwachsenen erzählt, sorgt die US-amerikanische Autorin Donna Tartt dafür, dass ihre Leser regelrecht an den Seiten festkleben.

Quelle: www.randomhouse.de
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Ein Drama, ein Thriller…
Theos Eltern sind seit kurzer Zeit getrennt, der alkoholkranke Vater lebt mit seiner neuen Freundin in Las Vegas. Nach dem Tod der Mutter kommt Theo zunächst zu den reichen Barbours, der Familie seines Freundes Andy. Doch bald holt sein Vater ihn zu sich nach Arizona, wo Theo den gewitzten Ukrainer Boris kennenlernt, der zu seinem besten Freund und Gefährten bei diversen Drogenabenteuern wird. Nach dem Tod des Vaters zieht es Theo zurück nach New York. Hier lebt er bei Hobie, dem ehemaligen Geschäftspartner des verstorbenen Welton Blackwell. Theo lernt nicht nur die Kunst der Restauration, er sieht bei Hobie auch Pippa wieder, die Nichte von Blackwell. Sie war am Tag des Anschlags ebenfalls im Museum und wurde schwer verletzt. Pippa wird die Liebe seines Lebens – doch bleibt sie für Theo unerreichbar. Andys Tod, die glücklose Verlobung mit dessen Schwester, das immer tiefere Abdriften Theos in die Illegalität und der ewige Nervenkrieg um das gestohlene Gemäldes schaffen mehr und mehr Dramen. Als Leser bin ich zerrissen: Bemitleide ich den jungen Mann, der sich immer mehr in Lügen verstrickt, oder hoffe ich darauf, dass Theos Geheimnisse auffliegen und er eine gerechte Strafe erhält?

… und eine moderne Quest
Die einzelnen Stationen werden nicht nur durch Theo selbst, sondern auch durch das Gemälde zusammengehalten. In jeder Phase seines jungen Lebens liegt Theos gedanklicher Fokus auf dem Bild: War es Unrecht, es zu entwenden? Wie verwahrt er es am besten? Ist es an einem sicheren Ort? Und vor allen Dingen: Welche Möglichkeiten hat er, es zurückzugeben und straffrei auszugehen? Oder ist er bereit, für seine naive Tat ins Gefängnis zu gehen? Die philosophische Komponente hinter all diesen Fragen wird auf den finalen Seiten eingehend aufgegriffen. Wo man vielleicht einen klassischen Showdown erwarten würde, trifft der Leser auf einen gänzlich unerwarteten Schluss, der viele Fragen offen lässt und zumindest mir noch eine ganze Weile nachhing.

Mein Fazit
Ich habe schon lange nicht mehr ein derart mitreißendes Buch in meinen Händen gehabt: Donna Tartt schickt ihr Publikum auf eine Reise mit Tiefgang. Das durch ein Attentat aus seinen eigentlich sicher erscheinenden Fugen geratene Leben eines jungen Amerikaners wird in all seinen Facetten beleuchtet. Der mitreissende, dramatische und bisweilen auch verwirrende Anfang der Geschichte bringt Theo für den Rest des Buches in arge Schwierigkeiten – und das geich auf mehreren Ebenen. Donna Tartt schreibt eindringlich und bildhaft, man fühlt sich ihrem Protagonisten wirklich nah. Nach einem packenden Einstieg erwarten den Leser ab und an auch mal kleinere und tatsächlich quälende Durststrecken nach dem nächsten Wendepunkt. Doch sind diese auf ihre Art auch wieder faszinierend, da sie sich so real anfühlen. „Der Distelfink“ ist ein Buch, das so schnell nicht mehr loslässt, ein Buch mit „Wow!“-Effekt.

Donna Tartt, Der Distelfink
Goldmann Verlag, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Der-Distelfink-9783442312399
Mehr zur Autorin: http://www.randomhouse.de/Autor/Donna_Tartt/p59218.rhd
Autorin der Rezension: Kathrin Demuth