Rezension: Hanns Zischler, Das Mädchen mit den Orangenpapieren

Dass es keiner reißerischen Sprache oder actiongeladener Szenen bedarf, um eine Geschichte fesselnd zu erzählen, beweist der Schauspieler und Dramaturg Hanns Zischler mit seinem belletristischen Debüt „Das Mädchen mit den Orangenpapieren“. Er lässt die eigentliche Aussage des Romans zwischen den Zeilen durchschimmern, während die Geschichte vor sich hinplätschert.

Quelle: www.galiani.de
Quelle: www.galiani.de

Die Geschichte

Hanns Zischler erzählt die Geschichte des Mädchens Elsa, das in den 1950er Jahren nach dem Tod der Mutter mit ihrem Vater ins bayerische Chiemgau zieht. Dort wird sie wegen ihres fremd klingenden Dialekts zwar nicht verspottet, jedoch belächelt. Obwohl sie eine Fremde bleibt, gelingt es ihr, Freundschaften zu schließen. Beispielsweise mit ihrem Mitschüler Pauli, mit dem sie auch ihre ersten sexuellen Erfahrungen macht, mit dem Lehrer Kapuste, der seinen Schülern Rätsel als Hausaufgabe aufgibt und mit der Obsthändlerin, die für Elsa die Papiere mit exotischen Motiven aufbewahrt, in denen die Orangen eingepackt sind. Das ändert sich erst, als mit Saskia eine neue Schülerin, die aus England stammt, in Elsas Klasse kommt. Elsa freundet sich mit ihr an und bleibt auch in Kontakt, als Saskia mit ihren Eltern nach England zurückkehrt.

Die Thematik des Romans

Einsamkeit und Sehnsucht sind die eigentlichen Themen des Romans, die aber eher hinter dem Lebensausschnitt, den Hanns Zischler erzählt, verborgen sind und nur durchschimmern. Elsa hat sich mit der Situation arrangiert. Und obwohl sie ihre Mutter sehr vermisst, trauert sie der Vergangenheit nicht so sehr nach, dass sie die Realität aus dem Blick verlieren würde. Die Orangenpapiere, in denen sie regelmäßig blättert, stehen hingegen für die Sehnsucht nach Ferne und nach einer positiven Zukunft.

Dass Hanns Zischler publizistische Erfahrung als Essayist und Übersetzer mitbringt, ist dem Roman deutlich anzumerken. Der Autor bleibt seinem Stil treu und lässt auch spektakuläre Ereignisse wie einen Schädelbruch oder eine Ballonfahrt eher beiläufig in die Geschichte einfließen. Dadurch wird „Das Mädchen mit den Orangenpapieren“ zu einem zeitlosen Werk, das Erfahrungen und Episoden im Leben eines Menschen schildert, der sich in der Fremde einzufügen versucht.

Mehr Lokalkolorit und Charaktere wären wünschenswert

Diese Allgemeingültigkeit kann aber zugleich auch als große Schwäche des Romans gesehen werden. Hanns Zischler beschreibt den Ort, in dem Elsa lebt, zwar nicht genau, aber doch gut genug, um den Leser den Chiemgau erahnen zu lassen. Diese Region war in den 1950er Jahren noch stark landwirtschaftlich geprägt, der Unterschied zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen ist hier bis heute spürbar. Die Bemühungen Elsas, Saskias und deren Eltern, sich in die Gemeinschaft zu integrieren, hätten anhand einiger typischer Szenen noch deutlicher herausgearbeitet werden können. Dass sich dies ohne klischeehafte Bayerntümelei umsetzen lässt, haben etwa Helmut Dietl in seinen „Münchner Geschichten“ oder der Regisseur Franz Xaver Bogner mit „Irgendwie und Sowieso“ bewiesen.

Was gravierender – und auch Lesern außerhalb Bayerns – auffällt: Die handelnden Personen wirken etwas flach. Wirklich in Erinnerung bleibt allenfalls Lehrer Kapuste wegen seiner Rätselmacke, alle anderen bleiben dem Leser nach der letzten Seite nicht in Erinnerung.

Mein Fazit

Hanns Zischler ist ein sehr solider Erstling gelungen, der mit seinen feinen Nuancen in der Erzählstruktur besticht. Für Leser, die gerne zwischen den Zeilen lesen, ist „Das Mädchen mit den Orangenpapieren“ in jedem Fall empfehlenswert.

Hanns Zischler, Das Mädchen mit den Orangenpapieren
Galiani Berlin, 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Das-Maedchen-mit-den-Orangenpapieren-9783869710969
Autor: Harry Pfliegl