Review: Gelber Hund, grüne Katze by author Yvonne Kuschel – the colors of acceptance

The 2015 book „Gelber Hund, grüne Katze“ (“Yellow Dog, Green Cat“) is clearly a work of love by author Yvonne Kuschel, who wrote, illustrated and designed it herself. Kuschel, currently a Leipzig resident and member of the e.o.plauen Foundation, is an eclectic author: Her richly illustrated books have dealt with the wonders of the bosom (Busenwunder – intime Geschichten rund um die schönsten Kurven der Welt, 2014); the relationship between tragic lovers (Der himmlische Heinrich – Eine perfekte Liebeserklärung, 2013); and uneven resource distribution on the planet (the award-winning Beschissatlas, 2012).

Quelle: http://kunstanstifter.de
Quelle: http://kunstanstifter.de

Kuschel’s latest manages to produce quite a nuanced and creatively illustrated fable; it’s attractive for adults as well as children, refreshingly lacking a canned, black-and-white moral lesson and instead gently offering up many insights. It can be interpreted as a political work calling for greater acceptance of difference in society as much as a nice children’s book about the importance of being open to new friendships, experiences and even misfortunes in life (which many adults could learn from as well). It is also a good way for those learning German to pick up new vocabulary while using Kuschel’s vivid, quirky drawings as a guide.

In fact, there is quite a gray area involving the book’s colored protagonists, the Yellow Dog and the Green Cat. We learn the basic facts about them pretty quickly, but it is not easy to guess how their relationship will play out. They both live alone, and inside mountains facing each other. The Dog is hyperactive and likes to dig all day long and howl at the moon every night; the Cat meanwhile prefers to sleep all day long in her hammock, and then climb out of her mountain for nighttime escapades. One night they happen to be looking out of their respective mountain dwellings at the same time, and catch a glimpse of each other. While the Green Cat shows only a passing interest in the Dog, the Yellow Dog decides to invest considerable effort in trying to get to know the Cat.

The Yellow Dog tries to reach out to the group of cats the Green Cat hangs out with, but is rejected. The journey the friendly Yellow Dog falls into while trying to befriend the elusive, aloof (but perhaps, deep inside, caring) Green Cat lands him in an unpleasant situation. What the Dog learns from it, and whom he meets unexpectedly, may make all the difference, however. The greatest punishment and reward one finds in this book may both have to do with degrees of acceptance.

Overall a very entertaining read also for its illustrations (how many mice can you count?), and with nice depth; I would just have liked the last two pages to have had more details about the denoument.

Gelber Hund, grüne Katze (2015) is published by kunstanstifter verlag, Mannheim. It can be ordered here. Author of this review is Ana Beatriz Ribeiro, Editor-in-Chief, The Leipzig Glocal.

Save the date: Erste englischsprachige Rezension auf dem Blog

Ana Beatriz Ribeiro. Quelle: www.leipzig-writers.de
Ana Beatriz Ribeiro. Quelle: www.leipzig-writers.de

Morgen gibt’s eine Premiere auf dem Blog: Ana Beatriz Ribeiro, Chefredakteurin von The Leipzig Glocal, hat mit großer Freude ein Kinderbuch gelesen. Sie hat dazu eine Rezension in englischer Sprache geschrieben, und die erscheint dann morgen hier. Freuen Sie sich auf „The colors of acceptance“, einen Lesebericht zu dem wunderbaren Kinderbuch „Gelber Hund, grüne Katze“ der Leipziger Autorin und Illustratorin Yvonne Kuschel.

schriftgut in Dresden: Literaturmesse en miniature mit Originalen

csm_Plakat_web_b286c3e74a Die „Lesemesse“ präsentiert sich auf einer Fläche etwa so groß wie eine Etage in der Leipziger Spinnerei. Wir sind auf der Messe Dresden. Dies ist die sächsische Landeshauptstadt.  „Einen Blick hinter die Kulissen eines Verlages, einer Buchbinderei, Druckerei oder anderer Gewerke“ zu eröffnen, ist der Anspruch der Veranstalter. Versprochen wird der „Charme einer qualitativ hochwertigen Verkaufsausstellung“ mit dem „Anreiz, sich mit Literaturschaffenden intensiv zu beschäftigen, Bücher hautnah zu erleben und vielleicht auch selbst sein eigenes Schriftgut zu kreieren“. Das wird eingelöst mit Lesungen, Autoren zum „Anfassen“ und Mitmachaktionen für die ganze Familie. Und so wäre der Vergleich mit der Leipziger Buchmesse auch nicht angebracht.  Ich treffe drei Aussteller mit ganz unterschiedlicher Motivation, die auf der schriftgut den Kontakt zu ihrem Zielpublikum suchen.
[Alle Fotos: Detlef M. Plaisier]

schriftgut Lesemesse Dresden Nov 2015. Foto Detlef M. Plaisier (77)„Ich bin besessen.“ Walter Staufenbiel gesteht es freimütig. Seine Leidenschaft sind Miniaturbücher. Rund 13.000 Schätze mit einem Buchblock von maximal 10 cm im Quadrat füllen jede Ecke seiner DDR-Neubauwohnung in Dresden aus, dazu gibt es noch Leporellos und Werbehefte. Als Walter Staufenbiel Ende der 1970er Jahre zu sammeln begann, war er fasziniert von der handwerklichen Präzision der Minibücher mit Fadenheftung. So griff er überall zu und versäumte es, sich zu spezialisieren. „Erotik war damals besonders begehrt“, erinnert sich Walter Staufenbiel schmunzelnd. „Und heute laufen alle an der Mutzenbacher vorbei.“ Nach mehreren Jahrzehnten gibt es immer noch Begehrlichkeiten, etwa die internen Minibücher des Ministeriums für Staatssicherheit. Natürlich gibt es auch einen Sammlerverein, dessen Vorsitzender Staufenbiel seit 2010 ist: Der „Sammlerkreis Miniaturbuch“ zählt bundesweit rund 90 Mitglieder, Durchschnittsalter 69 Jahre, Verjüngung nicht absehbar. Und auch um die Zukunft von Staufenbiels Sammlung ist es schlecht bestellt: Töchter und Enkel winken ab, Gemeinden und Museen haben kein Budget. „Um in einem Museumskeller zu verstauben, sind die Kleinode zu schade“. Möge der Stoßseufzer erhört werden.

www.miniaturbuch.de

schriftgut Lesemesse Dresden Nov 2015. Foto Detlef M. Plaisier (3)„Sie ist ein ziemlicher Wildfang und liebt das freie Leben. Mit ihrer Schönheit und Leichtigkeit verdreht sie den Männern reihenweise den Kopf. Auch der Sergeant Don José erliegt ihrem Charme…“. Kennen Sie? Kurz nachgedacht… Genau: Das ist Bizets „Carmen“. Den frechen Text mit passenden Illustrationen hat sich Petra Sprenger von der Dresdner Werbeagentur Kampagner ausgedacht und im Westentaschenformat veröffentlicht. 64 vergnügliche Seiten mit angenehmer Haptik und Fadenheftung gibt’s zum Einführungspreis von 7,90 Euro. „Der Freischütz“ und „Turandot“ komplettieren das bisherige Trio, sieben weitere populäre Opern stehen bis Ende 2016 auf dem Plan. Die Reihe heißt „Opern einfach erklärt“, richtet sich an Einsteiger und Liebhaber von 8 bis 80 und vereint erstmals Graphic Novel mit augenzwinkernder Musikpädagogik. Europas größtes Opernmagazin „Der Opernfreund“ zeigt sich von der Newcomerin begeistert. Ich werde jetzt „Carmen“ neu kennenlernen und freue mich auf „Die Zauberflöte.“

www.opernmouth.com

schriftgut Lesemesse Dresden Nov 2015. Foto Detlef M. Plaisier (55)„MitteDeutschland – Das Mehrgenerationen Brettspiel“. Was etwas sperrig klingt, ist eine pfiffige Projektidee mit fünf Jahren Entwicklungszeit in der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK). Dahinter steckt ein traditionelles Brettspiel, das mit allen Sinnen die Region Mitteldeutschland vorstellt. Die Regeln sind bewusst an bekannte Spielvarianten angelehnt: Jeder Mitspieler würfelt sich mit seiner Spielfigur aus Holz (Elisabeth von Thüringen, August der Starke, Luther oder Goethe) durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und beantwortet Wissensfragen in vier Kategorien (Technik, Geschichte, Kultur, Natur). Als Ergänzung muss bei einigen Fragen gezeichnet, geraten, gepfiffen, gebrummt oder geschätzt werden. In der Premium-Edition mit zusätzlichen Fragekarten vermittelt ein Begleitbuch außerdem Infos zu den erwürfelten Stationen. Ideengeber Prof. Rüdiger Ulrich (HTWK, im Foto rechts): „Preisgekrönte Spiele des Jahres sind schnell vergessen. Wir haben Inhalte entwickelt, die zeitlos sind.“ Das Entwicklerteam an der HTWK tüftelt an zusätzlichen thematischen Frageeditonen, etwa über Wein und Eisenbahngeschichte. „MitteDeutschland“ ist auf Messen und über die Internetseite erhältlich.

www.mittedeutschland.de

Rezension: Ivana Jeissing, Wintersonnen

Ivana Jeissing widmet sich in „Wintersonnen“ der Frage, wie man sich selbst finden kann, wenn ein wichtiger Teil der eigenen Herkunft fehlt. Ein klassisches Thema der Literatur in immer neuen Facetten, aber nicht immer ein Lesegewinn.

Quelle: www.metrolit.de
Quelle: www.metrolit.de

Mütter und Töchter
Gustava ist 34, als ihre Mutter nach einer langen Demenzerkrankung stirbt. Um die Mutter zu pflegen, hatte Gustava sich eine Auszeit von ihrer vielversprechenden Karriere am Wiener Burgtheater genommen und damit ihre Karriere der Mutter geopfert. Gustava wuchs auf, ohne jemals etwas über ihren Vater zu wissen. Die Mutter schwieg anfangs eisern und war dann später nicht mehr in der Lage, Antworten zu geben. Nach ihrem Tod gibt Gustava die Wohnung und das von ihr als hoffnungslos empfundene Leben in Wien auf und zieht nach Berlin, auf der Suche nach sich selbst und nach ihrem Vater. In Berlin startet sie einen Neuanfang mit Hilfe des Psychologen Donald, des Gärtners Nello und der Erkenntnis, dass allein sie für ihr Leben verantwortlich ist.

Unbeschwerter Erzählstil
Ivana Jeissing erzählt in „Wintersonnen“ die Geschichte von Gustava aus der Ich-Perspektive, und das lobenswert ohne jedes weinerliche Selbstmitleid, das sonst gerne gescheiterten Künstlerfiguren angedichtet wird. Vielmehr werden mit einer gehörigen Portion Selbstironie, Witz und Leichtigkeit alle Figuren und ihre Probleme zu Puzzleteilchen in Gustavas Reise zum Ich. Der lockere Erzählstil der Autorin ermöglicht eine heitere, entspannte Sicht auf das Leben, die auch im Scheitern immer noch komische Aspekte liefert. Die Sprache lässt dem Leser keinen Platz für Schwermut oder Zweifel, sondern verleitet dazu, das Leben von der positiven Seite zu sehen.

Fazit
Licht und Schatten: Ivana Jeissing ist mit „Wintersonnen“ eine locker-leichte Erzählung über das Leben, seine Krisen und seine Auswege gelungen. Zugegeben: Auch wenn man sich nicht unbedingt mit den Figuren identifizieren kann, die Schauplätze teilweise austauschbar wirken und der Schluss ein wenig zu aufgesetzt ist, sind die „Wintersonnen“ dennoch eine entspannte Lektüre für zwischendurch. Wer auf der Suche nach Unterhaltungsliteratur für lange Reisen oder Wartezeiten ist, dem kann „Wintersonnen“ nur empfohlen werden. „A good read“, wie eine andere Rezensentin urteilte. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Ivana Jeissing, Wintersonnen
Metrolit, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Wintersonnen-9783849303716
Autoren der Rezension: Harry Pfliegl / Detlef M. Plaisier

Rezensionsreihe Indonesien zur Frankfurter Buchmesse 2015, Teil 3: Ratih Kumala, Das Zigarettenmädchen

Dass kein episches Werk vonnöten ist, um die Geschichte zweier Familien zu erzählen, die schicksalhaft miteinander verwoben zu sein scheinen, beweist Ratih Kumala mit ihrem fünften Roman „Das Zigarettenmädchen“. Geschickt lässt die Autorin zudem die wechselhafte Geschichte Indonesiens während des 20. Jahrhunderts sowie Mythen und Einblicke in die Herstellung der für Indonesien typischen Nelkenzigaretten in das Werk einfließen. Ratih Kumala spart auch die blutigen Episoden während der japanischen Besatzung und nach Suhartos Machtergreifung nicht aus. Diese „Säuberungen“ hatten in den 1960er Jahren etwa eine Million Indonesier das Leben gekostet.

Quelle: www.culturbooks.de
Quelle: www.culturbooks.de

Auf der Suche nach der Geliebten
Der Zigarettenmagnat Pak Raja liegt im Sterben und flüstert immer wieder den Namen Jeng Yah. Hinter dem Rücken seiner eifersüchtigen Frau bittet er die Söhne, nach „seinem Zigarettenmädchen“ zu suchen. Denn Jeng Yah war seine Verlobte, die er verlassen musste, nachdem sich General Suharto an die Macht geputscht hatte. Pak Raja, ursprünglich ein mittelloser Wanderarbeiter, hatte vor der Hochzeit mit der hübschen Tochter eines Zigarettenfabrikanten ein eigenes Geschäft eröffnen wollen, weil er nicht auf das Geld seines Schwiegervaters angewiesen sein wollte. Deshalb plante er, mit Geld von der kommunistischen Partei eine eigene Marke etablieren – und stand genau deshalb nach dem Machtwechsel auf der Todesliste der neuen Herrscher. Während ihm die Flucht gelingt, geraten seine Verlobte und deren Vater in Gefangenschaft und erlangen ihre Freiheit nur durch sehr glückliche Umstände.

Pak Raja findet in einer Stadt Unterschlupf, ausgerechnet beim ärgsten Konkurrenten seines Schwiegervaters, dessen älteste Tochter sich in ihn verliebt. Was Pak Raja zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Sein tatsächlicher und sein Beinahe-Schwiegervater waren schon seit ihrer Jugend erbitterte Konkurrenten, was sich im Lauf der Jahre zu einer regelrechten Feindschaft steigerte. Pak Rajas Söhne erfahren während ihrer Suche die Geschichte ihrer Familien und decken ein Verbrechen ihres Vaters an der Verlobten auf, das dieser fast mit ins Grab genommen hätte.

Eine Saga mit leisen Melodien
Einfühlsam versetzt sich Ratih Kumala in ihre Protagonisten hinein und lässt sie dadurch im Kopf des Lesers umso lebendiger werden. Die Autorin schildert aus der Perspektive des neutralen Beobachters den Alltag der Menschen, erzählt von deren Wünschen und Träumen vor dem Hintergrund massiver historischer Umwälzungen. Dadurch verwebt sie geschickt die Geschichte zweier Familien über drei Generationen hinweg und reichert ihre Saga mit zahlreichen hintergründigen Details an. Dazu gehört etwa die Legende der wunderschönen Roro Mendu, die für ihren süßen Speichel berühmt war. Eher nebenbei, dafür aber umso eindrücklicher, fließen die blutigen Gräueltaten der Machthaber mit ein. Etwa indem Ratih Kumala beschreibt, wie die Menschen täglich zum Fluss gehen, um zu sehen, ob unter den dahin treibenden Leichen möglicherweise ein verschwundener Bekannter oder Verwandter sein könnte.

Fazit
Ratih Kumala gelingt durch ihre einfühlsame Erzählweise ein Kunststück, das nur wenige Autoren schaffen: Sie erzeugt Bilder im Kopf des Lesers. Wohltuend ist die neutrale Position der Autorin, die nur schildert und nicht wertet. Das gilt sowohl für die Charaktere ihrer Geschichte als auch für die umwälzenden Ereignisse inklusive blutiger Gräueltaten der jeweiligen Machthaber. Ratih Kumalas fesselnde Erzählweise ist beileibe keine leichte Kost, aber leichter zu verdauen als im Vergleich Laksmi Pamuntjaks Abrechnung mit der indonesischen Geschichte in „Alle Farben rot“.

Ratih Kumala, Das Zigarettenmädchen
CulturBooks Verlag Hamburg, 2015
Die Autorin im Gespräch: http://www.culturbooks.de/ratih-kumala-im-gespraech/
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Das-Zigarettenmaedchen-9783959880046
Autoren der Rezension: Harry Pfliegl / Detlef M. Plaisier

Meine Entscheidung: Keine Rezensionen mehr zu Akif Pirinçci und Strafanzeige

Zum einjährigen Bestehen der PEGIDA-Bewegung hat der deutsch-türkische Schriftsteller Akif Pirinçci gestern in Dresden eine Rede gehalten. Er führte unter anderem aus:

„Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.“

Die bisher schon bekannten schwulen- und ausländerfeindlichen Äußerungen Pirinçcis haben damit eine neue Dimension erhalten. Er hat sich offen zu den Prinzipien des Nationalsozialismus und zum Massenmord im Dritten Reich bekannt.

Ich werde auf diesem Blog keine weiteren Texte von Akif Pirinçci mehr besprechen oder besprechen lassen. Dies gilt bereits für „Die große Verschwulung“, die morgen erscheint. Außerdem habe ich heute gegen Akif Pirinçci bei der Staatsanwaltschaft Dresden Strafanzeige wegen Volksverhetzung erstattet.

Nachtrag:
„Die Verlage Diana, Goldmann und Heyne haben mit großer Bestürzung und Unverständnis die Aussagen des Autors Akif Pirinçci auf der gestrigen Pegida-Kundgebung in Dresden zur Kenntnis genommen und distanzieren sich entschieden. Der Schutz von Demokratie und Menschenrechten ist für uns ein zentraler Bestandteil unseres verlegerischen Schaffens, ebenso wie der Respekt vor Traditionen und dem Wunsch nach kultureller Vielfalt. Die Aussagen von Akif Pirinçci stehen diesen Werten diametral entgegen. Als Reaktion auf seine inakzeptablen Äußerungen werden unsere bereits vor Jahren veröffentlichten, ausschließlich belletristischen Bücher von Akif Pirinçci umgehend gesperrt und nicht mehr angeboten.“

Rezension: Bea Dieker, Vaterhaus

Bea Dieker wurde 1960 im Münsterland geboren. Sie studierte Visuelle Kommunikation und ist als Künstlerin tätig. „Vaterhaus“ ist ihr erster Roman.

Quelle: www.jungundjung.at
Quelle: www.jungundjung.at

Anfangsschwierigkeiten
Was da als Roman daherkommt, machte es mir zunächst schwer, hineinzufinden. Adjektivlastige, oft nur aus einem, zwei oder drei Worten bestehende Sätze, merkwürdig gedrechselte Formulierungen („Formen und Farben, die mir die pastellige Verheißung eines unbeschwerten, fröhlichen Lebens entgegenwehten“, S. 7), komplizierte, oft nicht nachvollziehbare Beschreibungen des Interieurs („Hohe, sanft geschwungene Theke, besetzt mit strengen, vertikal verlaufenden, vor- und zurückspringenden Leisten… die gelben nach vorn herausstehend, die schwarzen sich mit ihrem hinteren Platz bescheidend“, S. 8) sowie ungebräuchliche Formulierungen („setzte meinen Atem still“, S. 9) und merkwürdig unpassende Adjektive („keusch gemusterte Kittelschürze“, S. 21), ebenso Wortneuschöpfungen („asthmagelb“, „Nuschelfarben“ S. 30/31) ließen immer meinen Lesefluss stocken.

Thema?
Noch auf S. 26 war mir nicht klar, warum mich die Erinnerungen dieser Frau interessieren sollten. Es war mir, als sähe ich ein altes Fotoalbum an mit Menschen, die mir völlig unbekannt sind. Keine Geschichten hinter den Menschen. Der Großvater war im Krieg? So what? Das waren Millionen andere auch. Nicht mal da etwas, das aus dem Einheitsbrei heraussticht. Eine Aneinanderreihung von Worten: „Plötzlich in großer Mission unterwegs. Auf großer Fahrt. Abenteuer. Bedeutung. Ausland. Mittendrin. Fremde Sprachen. Fremde Gesichter. Fremde Gefahr. Russland. Gefangennahme.“

Erst auf S. 27 scheint etwas durch, was mich interessieren könnte. Die Protagonistin hockt sich hinter die Tür und kackt. Und taucht die Füße ihrer Puppe in den Haufen, um damit die Tapete zu „bemalen“. Nach dem Geschrei der Mutter das Resümee: „In diesem Moment begann ich, eine klammheimliche und hartnäckige Missachtung zu entwickeln für alles, was je aus mir hervorkommen sollte.“ Doch im weiteren Verlauf des Buches erfährt man dazu nichts mehr.

Auf S. 36 fasst die Autorin die vorher schon geäußerten Gedanken ihrer Figur über den Verlust des Birnbaums noch einmal in Form eines Gedichtes zusammen. Der Verlust des Baumes ging einher mit der Unverträglichkeit von Birnen. Bis zum Zeitpunkt ihrer Erinnerung daran. Jetzt kann sie wieder Birnen essen.

Brüche
Auf S. 51 dann die Vermutung, die später zur Gewissheit wird: Der Vater schlägt die Mutter. Der erste auftauchende Konflikt ist jedoch viel zu schnell wieder abgehandelt, wird zur Normalität, löst nur später, viel später, eine Aktion der Protagonistin aus. Es geht weiter mit unzähligen Partizipialkonstruktionen und Beschreibungen von Umbauten und Veränderungen. Ansonsten ist alles, was die Protagonistin auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden erlebt, allseits bekannt. Nichts, was nicht jeder von uns ähnlich erlebt hätte. Nichts, was durch die artifizielle manieristische Sprache gewönne.

Endlich, auf S. 58, explodiert die bürgerliche Wohlanständigkeit der Wirtschaftswunderjahre. Spät, viel zu spät, wird es interessant. Aber nur vorübergehend. Im ganzen Roman ist keine Entwicklung der Protagonistin zu finden, keine mit dem Älterwerden einhergehende Wandlung. Nur Aneinanderreihungen von Vorkommnissen.

Mein Fazit
Statt Beschreibungen von Tapeten- und Fliesenmustern, Um- und Ausbauten hätte ich mir von der Autorin gewünscht, die Figuren lebendiger zu gestalten, ihnen mehr Tiefe zu geben. So waren sie für mich nur Statisten in einem Haus, das am Schluss ebenso dem Verfall preisgegeben ist wie deren Bewohner.

Bea Dieker, Vaterhaus
Jung und Jung, Salzburg und Wien 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Vaterhaus-9783990270745
Autorin der Rezension: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de

Rezension: Andrei Mihailescu, Guter Mann im Mittelfeld

Sowjetunion, Vietnam, Nord-Korea, Kuba – über Diktaturen gibt es viele Geschichten und Gerüchte von Hunger, Elend, Terror und Unterdrückung. Nicht so zu Rumänien am Ende der Donau, immerhin Teil der EU. Andrei Mihailescu nimmt den Leser in seinem Buch „Guter Mann im Mittelfeld“ mit zu einem Leben unter einem Regime, das den großen Diktatoren in nichts nachsteht.

Quelle: www.hanser-literaturverlage.de
Quelle: www.hanser-literaturverlage.de

Leben zwischen Angst, Resignation und Hoffnung
Bukarest, 1980. Stefan Irimescu ist Journalist bei einer der größten rumänischen Tageszeitungen. Zwar weiß er, dass er Teil einer gewaltigen Propaganda-Maschinerie ist, doch er redet sich ein, dass er mit seinen an der Zensur vorbei gemogelten Spitzfindigkeiten in den Artikeln und durch das Abfangen von unvorsichtigen Leserbriefen nicht wirklich davon betroffen ist. Als er sich offen mit dem Securitate-Beamten in der Zeitung anlegt, wird er verhaftet und verhört – und Tage später zerlumpt und verletzt auf einer Baustelle wieder freigelassen. Dort trifft er auf Raluca, Architektin und Ehefrau des mächtigen Parteikaders Ilie Stancu. Raluca und Stefan beginnen eine Affäre, die nicht lange geheim bleibt. Als Ralucas Ehemann davon erfährt, lässt er sich von einem Parteifreund bei der Securitate helfen, um Stefan erneut verhaften und im Gefängnis verschwinden zu lassen. Doch statt ihn zu brechen, lässt die Zeit im Gefängnis Stefan über elegantere Wege des Widerstandes nachdenken und seine Liebe zu Raluca noch wachsen.

Von den Problemen und Siegen des Alltags
Die unter Ceauşescu in Rumänien errichtete sozialistisch-stalinistische Diktatur brachte der rumänischen Bevölkerung anfangs, angefacht durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung der späten 1960er Jahre, den erhofften Wohlstand. Doch das schlug schnell um: zum Zeitpunkt der Geschichte von Andrei Mihailescu, zwischen 1980 und 1982, herrschte allgemeiner Mangel. Anstehen für Brot, Milch oder Ersatzkaffee gehörte zum Alltag. Eier, Zucker oder Fleisch waren kaum oder nur durch Beziehungen zu Parteikadern zu bekommen. Unter dem Terror-Regime des Geheimdienstes Securitate wagte niemand offen aufzubegehren aus Angst, zu Tode gefoltert zu werden oder elend in einem Gefängnis dahin zu vegetieren. „Guter Mann im Mittelfeld“ bringt die Situation der Menschen ohne unnötige Sentimentalitäten und gerade damit umso erschreckender zum Leser.

Mein Fazit
„Guter Mann im Mittelfeld“ ist ein Buch, das gerade wegen seiner authentischen, unprätentiösen Schilderung des Lebens in Rumänien unter der Ceauşescu-Diktatur unter die Haut geht. Das Aufeinanderprallen der Welten von Stefan und Raluca, die Unterschiede zwischen den Privilegierten und der normalen Bevölkerung und die Willkür der Verhaftungen durch die Securitate führen vor Augen, dass es keinen Grund gibt, als Europäer auf andere Erdteile herabzublicken. Ist es doch gar nicht so lange her, als vor unserer Haustür Terror-Regime an der Macht waren. Eine unbedingte Leseempfehlung!

Andrei Mihailescu, Guter Mann im Mittelfeld
Hanser, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Guter-Mann-im-Mittelfeld-9783312006694
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Rezension: E. L. Doctorow, In Andrews Kopf

Neueste Forschungsergebnisse und diverse esoterisch angehauchte Theorien besagen, dass auch Zellen ein Gedächtnis haben – und dass es etwas wie ein kollektives Bewusstsein gibt. Doch das ist nicht irgendwo gespeichert, sondern einfach da. Was würde aber geschehen, wenn man das Bewusstsein aller Menschen in einem Supercomputer speicherte? Würden die Menschen dann als ihre Geschichte lebendig bleiben oder würden sich eher Geschichte und Geschichten vermischen? Genau diese Frage ist der zentrale Punkt in E. L. Doctorows „In Andrews Kopf“. Der Text ist das letzte Buch des Autors, der im Alter von 74 Jahren am 21. Juli 2015 verstarb.

Quelle: www.kiwi-verlag.de
Quelle: www.kiwi-verlag.de

Machen wir unsere Geschichte oder macht die Geschichte uns?
Andrew ist Professor der Kognitionswissenschaften und erzählt aus seinem Leben. Von der ersten Ehefrau, von der er sich scheiden ließ. Von der zweiten, die er eigentlich gar nicht geheiratet hat, die am 11. September 2001 starb. Von seinen Töchtern: Die eine starb seiner Meinung nach durch seine Schuld, weil er ihr ein falsches Medikament gab. Die zweite musste er nach dem Tod ihrer Mutter weggeben – zu seiner ersten Frau, als Wiedergutmachung. Von den Höhen und Tiefen, von den Glücksmomenten und dem tiefen Fall. Und von seinem Traum, einem Supercomputer, in dem das Bewusstsein all jener gespeichert ist, die einmal lebten und noch leben, jeder ihrer Gedanken, alle ihre Gefühle, jede Handlung, jedes Wort. Und davon, dass es damit möglich sein müsste, Verstorbene wieder lebendig werden zu lassen außerhalb unserer Erinnerung. Und wirft dabei immer wieder die Frage auf, ob wir unsere Geschichten bestimmen – oder die Geschichten, wer wir sind?

Wahrheit ist immer subjektiv
Doctorow lässt seinen Protagonisten Andrew sagen: „Heutzutage kann ich niemandem trauen, am allerwenigsten mir selbst“. Gemeint ist, dass wir alles durch Filter wahrnehmen und so unsere Erinnerung beeinflussen und verfälschen. Manches geht verloren, manches wirkt überdimensioniert. Und jeder Mensch erlebt die Wirklichkeit ein wenig anders, wenn auch die Unterschiede im Gespräch oft verwischen. Doctorow gelingt es, diese Verwirrung und Vermischung der unterschiedlichen Perspektiven in seine Sprache zu packen: manchmal für mich als Leser verwirrend, spricht der Protagonist abwechselnd von sich oder von „Andrew“, und die Einwürfe, die sein vermutlicher Psychotherapeut macht, sind teilweise nur an den Formulierungen oder Fragen zu erkennen. Damit wird der Leser immer weiter hineingezogen in die Welt „in Andrews Kopf“.

Mein Fazit
Verwirrend und faszinierend zugleich zwingt mich „In Andrews Kopf“ zum aufmerksamen Lesen. Je weiter ich lese, desto eher frage ich mich, was wirklich passiert ist. Was hat Andrew erfunden, damit die Abfolge der Ereignisse in seinem Kopf Sinn ergibt, sodass er nicht daran zerbricht? Ein Buch für alle, die mit schöner Regelmäßigkeit an ihrem Verstand zweifeln – und gerade deswegen gerne in den Kopf anderer eintauchen möchten.

E. L. Doctorow, In Andrews Kopf
Kiepenheuer & Witsch, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/In-Andrews-Kopf-9783462048124
Autor der Rezension: Harry Pfliegl

Online-Lesemarathon: Die Welt liest „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi

Gerne gebe ich heute eine Meldung von Russia Beyond The Headlines wieder:

„Auch in diesem Jahr wird es wieder einen Online-Lesemarathon zu einem Werk des berühmten russischen Schriftstellers Leo Tolstoi geben: Vom 8. bis 11. Dezember kann jeder, der des Russischen mächtig ist, ein Kapitel aus dessen weltberühmten Roman „Krieg und Frieden“ auf der Videoplattform Youtube vorlesen. Starten soll der Marathon am 8. Dezember um 10 Uhr morgens Moskauer Zeit (8 Uhr deutsche Zeit). Die Aktion findet im Rahmen des russischen Literaturjahres statt.

Bis zum 18. November können sich Interessierte auf der Webseite voinaimir.com anmelden, den Teilnahmeantrag ausfüllen und eine Videoprobe hochladen. Die Jury wird anschließend 1 300 Teilnehmer auswählen.

Wie Fjokla Tolstaja, Urenkelin von Tolstoi und Leiterin des Projektes, verriet, werde in mehreren russischen Regionen und auch weltweit an ausgewählten Orten vorgelesen. „Gelesen wird unter anderem auf einem Atomeisbrecher, am Baikalsee und auf der Internationalen Raumstation“, kündigte sie an. Die Lesung wird live auf Youtube übertragen.

„Krieg und Frieden. Wir lesen den Roman“ setzt die erfolgreiche Aktion des vergangenen Jahres fort, in dem eine Online-Lesung von Tolstois „Anna Karenina“ stattfand. Diese wurde auf Initiative von Google und des Tolstoi-Museums in der einstigen Residenz des Schriftstellers in Jasnaja Poljana (Russland) im Oktober veranstaltet. Die Lesung schaffte es in das Guinness-Buch der Rekorde als „der erfolgreichste Online-Lesemarathon“ – er wurde von Zuschauern aus mehr als 106 Ländern verfolgt.“