buchmesse:blogger sessions – Agieren Blogger zu flauschig? Eine Keynote als Provokation

@Buchkolumne

Anja Bagus lieferte vor der Leipziger Buchmesse einen Aufreger für Autoren und Blogger mit der provokativen Frage, ob denn ein Lektorat ein Qualitätskriterium für ein Buch sein könne. Am Buchmessesonntag gegen elf Uhr startete die nächste Rakete. Und auch diese Provokation war geplant und getimt: Auf der ersten Bloggerkonferenz der Leipziger Buchmesse eröffnete Karla Paul den Diskussionssonntag mit einer zunächst harmlos klingenden Aufforderung an Literaturblogger. „Raus aus der Flauschzone!“, so ihr Appell. 17 Minuten Explosives. Mir wurde das erst beim Nachlesen und Nachhören klar.

Und weil ich mir noch nicht klar bin, inwieweit ich dieser Revolution folgen werde und inwieweit dies meinen Bloggeralltag und das Aussehen meines Blogs verändern könnte, möchte ich an dieser Stelle nur einige Denkanstöße geben. Lassen wir Karla Paul zu Wort kommen (Hervorhebungen von mir):

„[1] Stets wird sehr gönnerhaft über diese paar Blogger gesprochen, die Bücher mit Heißgetränken auf Instagram posten, die für ihre Lektüre Schmetterlingspunkte vergeben, sich gegenseitig via Facebook Blogstöckchen zuwerfen und deren Seiten vor Flausch kaum ladbar sind. Niedlich, dieses herzige kleine Ökosystem Young-Adult-lesender Katzenbesitzer, die ihre Bücher nach Farbe sortieren und zum aktuellen Lieblingsbuch gleich noch den passenden Tee samt Nagellack empfehlen.

Niedlich ist hier einzig und allein die Naivität des Feuilletons samt derer Redakteure, für deren angeblich so wichtige Tradition sich niemand mehr außerhalb ihrer eigenen Welt interessiert – die Literatur ist bereits vor Jahren ins Netz abgewandert und wait, sorry not sorry, sie hat nicht einmal um Erlaubnis gefragt.

[2] Aber verdammt noch eins, wir haben 2016 – kommt endlich raus aus Eurer Emo-Flauschzone und stellt Euch der dringend notwendigen Professionalität, denn Ihr macht Werbung für das wichtigste Medium überhaupt. Literatur verändert Menschen und benötigt Euch als Botschafter. Wo Mode- und Lifestyleblogs längst zu eigenen Unternehmen geworden sind, habt Ihr weder Mediadaten noch Nutzeranalysen, SEO-Optimierung ist ein Fremdwort, kein Affiliatesystem und auf Nachfrage reicht Euch allein das Herzblut, aber excuse me – davon kann man keine Miete bezahlen. Ihr liebt Literatur? Dann steht dafür auf und beweist, dass Euch das Thema so wichtig ist, dass Bücher so lebensverändernd sind, dass sich die Instagram-Fans lieber den neuen Juli Zeh Roman anstatt den Bibis Beautypalace Bodyschaum kaufen. Literatur ist eine Milliardenindustrie und Ihr findet ernsthaft kein anderes Geschäftsmodell als Herzblut? Verlage geben lieber Millionen an Marketingbudget für Plakatwände und Zeitungsanzeigen aus als für Euch, weil Ihr Euch mit Sprechstunden, Leseexemplaren und Geschenkpäckchen für zehn Euro zufrieden gebt, dabei hat Eure Arbeit einen nachweisbaren Wert. Der Kauf ist nur einen Klick entfernt und die Leser vertrauen Euch längst weit mehr als jedem Journalisten.

Ist meine Meinung weniger wert, nur weil ich mit Literatur tatsächlich meinen Lebensunterhalt verdiene oder vielleicht sogar mehr, weil ich meine Arbeit rund ums Buch mit Selbstbewusstsein und Zahlen untermauere, weil ich für meine Haltung einstehe und ganz klar die Folgen und den Einfluß meiner Empfehlungen komuniziere? Warum stehe ich hier und Ihr nicht, obwohl ich im letzten Jahr nicht einmal ein halbes Dutzend Rezensionen geschrieben habe? Und sagt jetzt nicht: ich will wie Karla werden. Werdet gefälligst besser!

Wir haben zusammen die Literatur demokratisiert, wir geben ihr im Netz tausend Stimmen und Möglichkeiten. Die Zeiten sind vorbei, dass wir uns als Nerds belächeln lassen müssten, dass wir einsam und allein in der Ecke sitzen und einzig die jeweiligen Buchcharaktere als Freunde haben.

[3] Professionelles Arbeiten und Leidenschaft schließen sich nicht aus, ganz im Gegenteil – zusammen macht es uns besser, lasst Euch nichts anderes erzählen. Ich hoffe, dass Ihr von dieser Messe und auch dieser Veranstaltung neben viel Motivation sehr viel neues Wissen mitnehmt und dies nutzt. Dass es Euch zu besseren Lobbyisten für die Literatur macht. Kommt raus aus Eurer Nerdecke, werdet Vollprofis für die leidenschaftliche Hingabe zum Buch! Lasst Euch nicht kleinreden für das, was Ihr täglich für Literatur leistet.“

Den deutlichsten Gegenwind gab es von Stefan Holzhauer auf phantanews.de (Hervorhebungen von mir):

„[1] … Und wenn ich das lese, geht mir ordentlich der Hut hoch, wenn gefordert wird, dass Blogs sich professionalisieren müssen. Einen Scheiß müssen Blogs. Das ist allein Wunschdenken der Branche.

[2] Das “wichtigste Medium überhaupt”? Das zeugt dann doch von einiger Realitätsferne. Wie das Statistische Bundesamt kürzlich veröffentlichte, liest der Deutsche pro Woche im Durchschnitt (!) dreidreiviertel Stunde. Das ist gerade mal knapp über eine halbe Stunde am Tag und noch nicht mal allein für Bücher, da geht das Lesen von Zeitschriften und Zeitungen mit ein. Das ist im Vergleich mit der Nutzung anderer Medien (Internet, Filme, Fernsehen, Computerspiele, Apps, soziale Medien) sogar eher wenig.

Und dann kommt direkt die unsägliche Forderung nach der Professionalisierung. Wer so etwas schreibt, hat noch nicht mal ansatzweise verstanden, was Blogs eigentlich sind, und wozu sie dienen. Wer so etwas fordert, insbesondere gleich mit Hinweis auf Mediadaten, SEO, Nutzeranalysen oder Affiliate-​Anbindungen, der fordert das nicht für euch Blogger. Denn ihr kommt prima ohne so etwas aus. Wichtig sind solche Analysedaten ausschließlich für die Verlage, die unbedingt handfeste Zahlen dazu haben wollen, wie ihr ihnen genau nutzt. All dieses Professionalisieren dient letztendlich ausschließlich dazu, damit die Verlage ihre Prozesse optimieren können, vom Aufwand her und eben letztenmdlich wirtschaftlich. Wenn ihr dann alle datenschutzrechtlich möglicherweise bedenkliche Zählpixel eingebaut habt, und den Verlagen Nutzeranalysen liefert, dann könnte es schneller sein, als euch liebt ist, dass nur noch der mit den meisten Nutzern oder Zugriffen die ach so beliebten Rezensionsexemplare bekommt, über die er dann ohne Honorar schwärmen darf.

[3] Verlage geben im Gegensatz zu dem was Frau Paul sagt, sogar sehr gerne Werbebudgets für euch aus, weil sie genau wissen, wie zielgenau dieses Geld bei euren Lesern ankommt und direkt Käufe generiert, eben viel genauer als sonstige Werbemaßnahmen. Eben weil ihr für eure Leser inzwischen eine glaubwürdigere Quelle seid, als Werbung allgemein oder irgendwelche Profi-​Journalisten.

Nochmal ganz deutlich: Es geht nicht um euch, die Blogger, oder eure Blogs. Die Professionalisierung dient einzig und allein den Verlagen und deren Interessen.

[4] Und sie nennt ernsthaft “Herzblut” und “Geschäftsmodell” in einem Satz. Beklagt sich sogar darüber, dass “die Blogger” kein anderes Geschäftsmodell finden, als Herzblut. Angesichts solcher pur aufs Knetemachen ausgelegten Denke könnte ich kotzen. Nicht alles im Leben ist Geschäftsmodell. Das Herzblut, die Motivation, die Authentizität derjenigen, die für die Verlage bisher kostenlos Werbung machen, derartig abzukanzeln, ist eine Stufe von  kapitalistischer Arroganz, die ich für geradezu widerlich halte.“

Ich bin verwirrt. Und nun? Leider konnte ich auf den Bloggersessions nur zwei Stunden bleiben und die weiteren Diskussionen nicht verfolgen. Mein Literaturblog ist Herzblut. Kostet Zeit. Bringt keine Einnahmen. Meine Gastrezensenten erhalten das Rezensionsexemplar und ewigen Ruhm. Mehr nicht. Ich habe ein gutes, teilweise persönliches Verhältnis zu den PR-Abteilungen der Verlage. Soll das jetzt alles nicht mehr ausreichen? Soll das jetzt alles schlecht sein? Meine Leser vertrauen den Empfehlungen meiner Autoren. Wird das immer noch so sein, wenn ich Beiträge als Anzeige kennzeichne? Ich habe noch keine Antworten, bisher nur die eine: Ich fühle mich wohl mit meinem Modell. Nennen Sie es flauschig, Frau Paul. Und sagen Sie mir: Warum soll ich meine Komfortzone verlassen? Warum soll ich alles aufs Spiel setzen?