Rezension: Jana Beňová, Abhauen!

Was bedeutet die Flucht vor dem eigenen Leben? Was bleibt zurück? Ist es Mut oder Feigheit? Die Protagonistin Rosa träumt schon lange davon, aus ihrem Leben auszubrechen, die Welt zu entdecken. Was in ihrer Schulzeit ein kindlicher Wunsch blieb, sieht sie am Ende ihrer Ehe als einzigen Ausweg. Eine gedankenvolle Reise beginnt.

Poetin & Prosaistin
Jana Beňová, geboren 1974, studierte Dramaturgie an der Akademie der darstellenden Künste in Bratislava. Nach ihrem Abschluss 1998 schrieb sie zunächst unter Pseudonym für verschiedene slowakische Zeitungen und arbeitet heute als Dramaturgin am Theater Institut in Bratislava. Bereits zu Beginn ihres Studiums veröffentlichte Beňova ihren ersten Gedichtband, auf den bald ein zweiter und schließlich auch eine Sammlung von Kurzgeschichten erschienen. Für ihren Roman „Plán odprevádzania“ erhielt sie 2012 den EU Prize for Literature.

Quelle: www.residenzverlag.com
Quelle: www.residenzverlag.com

Aus Bratislava in die Welt
Rosa wächst nahe dem Bahnhof auf, überquert in den vierzig Jahren ihres Lebens jeden Tag die Gleise. Ihren Mann Son lernte sie zu Schulzeiten kennen, als sie mit dem Schwänzen begann, weil sie der Unfreiheit der Schulpflicht ein wildes Herumstreifen entgegensetzen wollte. Bis heute hat Rosa diese Angewohnheit beibehalten. So hält sie Abstand zu ihrer hinterlistigen Chefin und ihren oberflächlichen Kolleginnen, den Kukulas. Das graue Leben und die bröckelnde Ehe mit dem Poeten Son zernagen die Protagonistin und schließlich rennt sie mit einem neuen Mann davon. Das Ziel ist noch nicht klar, vielleicht das Meer, vielleicht Paris. Während der Stationen ihrer Reise reflektiert Rosa über ihr Leben und ihre Beziehungen zu dem alten und dem neuen Mann.

„the best of course is poetry“
Der Originaltitel „ Preč! Preč!“ beschreibt die Essenz des lediglich 132 Seiten umfassenden Romans am treffendsten: Fort! Fort! Rosa läuft davon – in jedem Sinne. Sie sucht ihre Freiheit fernab der Enge ihrer Ehe, in der Dichter Son doch immer wieder als der starke Teil propagiert wird. Er ist der gefeierte Poet und große Künstler, sie ist lediglich Prosaistin. Als Rosa den Hund ihrer Chefin aus dem Fenster wirft, knackt sie letztendlich alle Konventionen und legt jede Rücksicht auf andere ab. Die Reise mit Corman, dem neuen Mann an ihrer Seite, zwingt Rosa zur Auseinandersetzung mit dem Damals, denn eine Flucht schützt nicht vor dem Abschied von ihrem alten Leben. Ein Vergleich zwischen Son und Corman wird unvermeidlich, die Reise gerät zu einem Kraftakt. Langsam muss sich Rosa der Erkenntnis stellen, dass sie nur einen Alltag gegen einen anderen getauscht hat.

„Abhauen!“ liest sich wie eine szenische Lesung und die einzelnen Absätze halten wie die Strophen eines Liedes großen Abstand voneinander. Stetig wird zwischen Rosa als Protokollantin ihrer Ansichten und allgemeiner Schilderung gewechselt, ohne dass eine direkte Rede deutlich gemacht wird. Vielmehr ist es ein ewiges Sinnen um Vergangenheit und Zukunft, das von Rosas gefühlter Einsamkeit ummantelt scheint, die sie gerade durch ihren neuen Begleiter umso stärker spürt. In einer Mischung aus Prosa und Lyrik erzählt Jana Beňová eine Geschichte vom Weglaufen ohne Ziel, bei dem die Stationen der Reise so austauschbar sind wie die Gesprächsthemen der Kukulas. Jana Beňová verzichtet zum Glück auf eine „Eat, pray, love“-Mentalität zugunsten einer ernsthafteren Botschaft.

Mein Fazit
Die starken Lyrikelemente in einem Roman waren für mich recht ungewohnt. Aber die punktgenaue Sprache und die bildhaften Vergleiche, die durch die Übersetzung an nichts verloren haben, formen eine Erzählung über Alltagsflucht und rastloser Suche nach Sinn.

Jana Beňová, Abhauen
Residenz Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Abhauen–9783701716449
Autorin der Rezension: Jasmin Beer