Rezension: Ivana Jeissing, Wintersonnen

Ivana Jeissing widmet sich in „Wintersonnen“ der Frage, wie man sich selbst finden kann, wenn ein wichtiger Teil der eigenen Herkunft fehlt. Ein klassisches Thema der Literatur in immer neuen Facetten, aber nicht immer ein Lesegewinn.

Quelle: www.metrolit.de
Quelle: www.metrolit.de

Mütter und Töchter
Gustava ist 34, als ihre Mutter nach einer langen Demenzerkrankung stirbt. Um die Mutter zu pflegen, hatte Gustava sich eine Auszeit von ihrer vielversprechenden Karriere am Wiener Burgtheater genommen und damit ihre Karriere der Mutter geopfert. Gustava wuchs auf, ohne jemals etwas über ihren Vater zu wissen. Die Mutter schwieg anfangs eisern und war dann später nicht mehr in der Lage, Antworten zu geben. Nach ihrem Tod gibt Gustava die Wohnung und das von ihr als hoffnungslos empfundene Leben in Wien auf und zieht nach Berlin, auf der Suche nach sich selbst und nach ihrem Vater. In Berlin startet sie einen Neuanfang mit Hilfe des Psychologen Donald, des Gärtners Nello und der Erkenntnis, dass allein sie für ihr Leben verantwortlich ist.

Unbeschwerter Erzählstil
Ivana Jeissing erzählt in „Wintersonnen“ die Geschichte von Gustava aus der Ich-Perspektive, und das lobenswert ohne jedes weinerliche Selbstmitleid, das sonst gerne gescheiterten Künstlerfiguren angedichtet wird. Vielmehr werden mit einer gehörigen Portion Selbstironie, Witz und Leichtigkeit alle Figuren und ihre Probleme zu Puzzleteilchen in Gustavas Reise zum Ich. Der lockere Erzählstil der Autorin ermöglicht eine heitere, entspannte Sicht auf das Leben, die auch im Scheitern immer noch komische Aspekte liefert. Die Sprache lässt dem Leser keinen Platz für Schwermut oder Zweifel, sondern verleitet dazu, das Leben von der positiven Seite zu sehen.

Fazit
Licht und Schatten: Ivana Jeissing ist mit „Wintersonnen“ eine locker-leichte Erzählung über das Leben, seine Krisen und seine Auswege gelungen. Zugegeben: Auch wenn man sich nicht unbedingt mit den Figuren identifizieren kann, die Schauplätze teilweise austauschbar wirken und der Schluss ein wenig zu aufgesetzt ist, sind die „Wintersonnen“ dennoch eine entspannte Lektüre für zwischendurch. Wer auf der Suche nach Unterhaltungsliteratur für lange Reisen oder Wartezeiten ist, dem kann „Wintersonnen“ nur empfohlen werden. „A good read“, wie eine andere Rezensentin urteilte. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Ivana Jeissing, Wintersonnen
Metrolit, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Wintersonnen-9783849303716
Autoren der Rezension: Harry Pfliegl / Detlef M. Plaisier

Rezension: Boris Pofalla, Low

Meine Buchhändlerin beklagt, dass mindestens die Hälfte der Käufer nach „Loof“ fragt. Richtig ist die englische Aussprache; low wie niedrig, unterer Level. Boris Pofalla wählt drei Buchstaben für das Lebensgefühl und die Ausstrahlung einer ganzen Generation. Leider strahlt diese Einschätzung auch auf den Stil des Buches aus.

Vordergründig beschreibt der Autor die Suche seines Protagonisten nach seinem spurlos verschwundenen Freund und Mitbewohner Moritz, auf einer eher unterschwelligen Erzählebene die eigene Suche nach dem Sinn seines Lebens. Diese Geschichte erzählt Pofalla lakonisch unaufgeregt, sodass sie auf manchen Leser langweilig wirken mag, zumal er seine Charaktere ohne besonderen Tiefgang zeichnet. Dass die Story eher vor sich hin plätschert als dass sie gezielt vorangetrieben wird, dürfte der Kunstkritiker und journalistische Autor aber durchaus bewusst als Stilelement eingesetzt haben.

Quelle: www.metrolit.de
Quelle: www.metrolit.de

Auf der Suche

Der Ich-Erzähler, dessen Namen der Leser nicht erfährt, verspürt ein Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit, als sein bester – und in Berlin wohl einziger – Freund Moritz plötzlich spurlos verschwunden ist. Er macht sich an den bekannten Plätzen und auf Partys auf die Suche. Dort trifft der Erzähler zahlreiche gemeinsame Bekannte, die zwar Mutmaßungen über Moritz Verbleib anstellen, aber nichts konkretes Wissen.

Eines Tages entdeckt sieht der Suchende plötzlich einen alten BMW am Straßenrand. Es ist das Auto von Moritz, für das er einen Zweitschlüssel besitzt. Er fährt ziellos durch die Stadt und erinnert sich dabei an einen gemeinsamen Ausflug an die Ostsee. Schließlich hält der Erzähler irgendwo im brandenburgischen Niemandsland, zündet das Auto an und trampt in die Stadt. Anschließend beginnt er damit, sein Leben zu ändern, schickt seine Exmatrikulation ab und schließt sich dem Freundeskreis eines aufstrebenden Künstlers an.

Die Leere der Stadt

Boris Pofalla beschreibt in Low das Gefühl, das vielen jungen Neu-Berlinern nicht unbekannt ist: Das vielfältige Angebot der Metropole macht es für sie unmöglich, mehr als nur flüchtige Bekanntschaften zu schließen, die sich genauso schnell wieder aus dem Leben verabschieden, wie sie gekommen sind. Die Akteure wollen sich den Normen des Alltags entziehen, feiern Partys und konsumieren Drogen. Das Marihuana der Eltern und Großeltern wird ersetzt durch Koks, Speed und andere unbekannte Substanzen. Die Partypeople sind nicht auf der Suche nach Frieden, Erlösung oder Erleuchtung, sondern nur nach der besten Location für das nächste Abfeiern. Ein höheres Ziel, sei es die Vision für eine bessere Welt oder ein persönlicher Zukunftstraum, fehlt den Akteuren jedoch komplett. Der Titel Low kann also als Anspielung auf die niedrige Erwartungshaltung der jungen Generation verstanden werden.

Mein Fazit

Boris Pofalla beobachtet und schildert präzise und kaschiert damit, dass in Low nicht wirklich etwas passiert. Handwerklich zählt Boris Pofalla zu den besseren jungen Autoren. Auch wenn Low kein herausragendes Werk ist, so hat Boris Pofalla doch eine gelungene Milieustudie einer Lost Generation im Großstadtdschungel vorgelegt; einer Generation, die nichts zu sagen hat.

Boris Pofalla, Low
Metrolit Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Low-9783849303655
Autor: Harry Pfliegl