Rezension: Amber Dermont, In guten Kreisen

Was bewegt einen jungen Mann aus reichem Hause am Ende der 1980er Jahre? Die amerikanische Autorin Amber Dermont schickt ihre Hauptfigur Jason Prosper auf eine Reise zu sich selbst. Jason besucht die Bellingham Academy an der amerikanischen Ostküste, ein Internat für die Sprösslinge reicher Eltern. Die meisten Schüler treten arrogant, oberflächlich und egoistisch auf. Jason beschließt, sich auf die eine große Leidenschaft in seinem Leben zu konzentrieren: das Segeln – und muss sich schließlich damit auseinandersetzen, dass zwei Menschen sein Leben ordentlich durcheinanderwirbeln.

Quelle: www.mare.de
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Boys will be boys
Jason und seine Mitschüler sind Teil der Elite Neuenglands. Auf ihnen lasten hohe Erwartungen, die sie durch allerlei und bisweilen wirklich böse Streiche und Raufereien erst einmal hinter sich lassen – die Academy ist ihr Revier, hier können die Jugendlichen sich austoben, bevor das vermeintlich harte Erwachsenenleben sie einholt. So zeichnet dieser Entwicklungsroman das Heranwachsen eines jungen Mannes auf, der sich den harten und gefühlsbetonten familiären wie schulischen Herausforderungen seines Lebens stellt, sich selbst kennenlernt und schließlich beginnt, ein vergangenes Trauma zu verarbeiten: Jasons Freund und Segelkumpan Cal hat Selbstmord begangen.
Der nüchterne Ton, in dem Jasons Gedankengänge wiedergegeben werden, erscheint vor diesem Hintergrund zunächst unstimmig. Allerdings stellt man als Leser schnell fest, dass diese Rationalität einfach auch einen Schutzwall darstellt, um nicht von den eigenen Gefühlen übermannt zu werden. Nicht nur die Vergangenheit macht Jason zu schaffen, auch die Eheprobleme seiner Eltern sowie seine eigene Sexualität hinterlassen Fragezeichen in ihm. Die eigensinnige Aidan verhilft Jason jedoch schließlich zu einem wahren Aufschwung, er schöpft Kraft aus ihrem gemeinsamen Miteinander.

Eine außerordentliche Sprache – mit Abstrichen
Sprachlich hat mich Amber Dermonts Roman mitgerissen, ihre Ausdrucksweise ist resolut, eindringlich, einfühlsam. Ich war mit Jason auf den Segelbooten, habe seine Leidenschaft gespürt, habe mit ihm gelitten, wenn er an seinen Freund Cal zurückdachte. Selbst die eigentlich als eher nüchtern erwartete Segelsprache wird von der Autorin so lebendig genutzt, dass der Fluss der Erzählung stets auf hohem Niveau bleibt und mich als Laien niemals verliert. Da ist es bedauerlich, dass viele Handlungen, Gedankengänge und Charakterzeichnungen zu oberflächlich bleiben. Hinzu kommt: Alle Geschehnisse hätten auch auf der Hälfte der Seiten stattfinden können, möglicherweise wäre so mehr Tempo in den Roman gekommen. Denn zu viel verliert sich einfach in „schöner Sprache“ und oberflächlichen Beschreibungen – so eben auch die Verbindung zu dem Innenleben des Protagonisten. Ein weiterer großer Stolperstein für mich: Amber Dermont nutzt oftmals nicht das so wichtige Prinzip des “Show – don´t tell!“: Der Leser erfährt, wie etwas ist – statt es Jason wirklich erleben und im Dialog besprechen zu lassen.

Hohe Wellen, die zu seicht brechen
Jason hat wenige Ecken und Kanten, er reibt sich noch zu selten an sich selbst, geht bis zum Ende fast nie aus sich heraus. Trotz einschneidender Ereignisse spult Amber Dermont Jasons Verhältnis zu seiner Familie recht kurz ab. Für mich als Leserin bleibt viel Fassade – immer wieder habe ich mich gefragt: Was steckt wirklich dahinter? Eine Frage, die auch am Ende nur im geringen Umfang beantwortet werden konnte. Im ganzen Buch explodiert dieser junge Mann, der von seiner Gefühlen durcheinander gebracht wird, nur ein einziges Mal. Und so passt es für mich nur teilweise, dass Jason an anderen wichtigen Punkten in seinem Leben fast gelangweilt und regelrecht passiv wirkt, selbst wenn ich den angesprochenen Schutzwall berücksichtige.

Mein Fazit
Trotz einer großartig bildhaften Sprache und gutem Potential hinsichtlich der Dramatik ist mir Amber Dermonts Roman „In guten Kreisen“ doch zu glatt und leise. Für mich als Leser wäre eine intensivere Auseinandersetzung mit einigen Figuren rund um Jason wünschenswert gewesen. Es gibt zahlreiche vorhersehbare Momente, der finale Turn kommt äußerst kurz daher. Und so verbleibe ich mit dem Fazit, dass dieses Werk für mich einen Lektor gebraucht hätte, der vor allen Dingen die Würze der Kürze (und das in ihrer geballten Intensität) herausgekitzelt hätte.

Amber Dermont, In guten Kreisen
Mare Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/In-guten-Kreisen-9783866481923
Autorin der Rezension: Kathrin Demuth

Rezensionsreihe Finnland zur Frankfurter Buchmesse 2014, Teil 4: Ulla-Lena Lundberg, Eis – ein Drama voller Hoffnung

Wer den Klappentext des Romans „Eis“ der schwedisch-finnischen Autorin Ulla-Lena Lundberg liest, dürfte im ersten Moment eher abgeschreckt sein. Der deutet eher auf ein Heimatmelodram in bester Konsalik-Manier oder eine blutrünstige Story hin, welche Horror-B-Movies aus den 1970er Jahren zum Vorbild haben könnte. Was den Leser tatsächlich erwartet, wird jedoch nicht angedeutet: Ein einfühlsames Drama voller Hoffnung, das in einer Zeit angesiedelt ist, als ganz Europa in Trümmern lag.

Cover Eis Mare-verlagDie Handlung

Die Autorin erzählt aus der Sicht des allwissenden Erzählers die Geschichte des Geistlichen Peter Kümmel und seiner Familie auf den Örar-Inseln kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Obwohl die Inseln irgendwo im Nirgendwo zwischen Schweden und Finnland liegen, hat der Krieg auch hier seine Spuren hinterlassen. Etwa in Form von Frau Doktor Gyllen, deren sowjetische Abschlüsse in Finnland nicht anerkannt werden, weshalb sie auf den Inseln als Hebamme arbeitet, bis sie einen regulären finnischen Abschluss erworben hat. Die Bevölkerung hat keine Ahnung, welches dunkle Geheimnis Frau Doktor mit sich trägt: Nachdem ihr Mann von Stalins Schergen verhaftet worden war, hatte sie ihren Sohn zurückgelassen und war aus der Sowjetunion geflüchtet. Sie vertraut sich lediglich Peter Kümmel an, nachdem dieser eine feste Autorität in der Kirchengemeinde geworden ist.

Aufgenommen wird der neue Pfarrer, der jedoch erst noch die Abschlussprüfung bestehen muss, bevor er als vollwertiger Pfarrer anerkannt ist, von der Gemeinde herzlich. Vor allem der Küster und der Kantor, die später zu den besten Freunden der Kümmels auf der Insel werden sollen, sind ihm anfangs eine wichtige Stütze. Schließlich ist die Gemeinde auf den Inseln trotz des scheinbaren Zusammenhalts tief in zwei Fraktionen gespalten, sodass der Pfarrer stets zu einem gerechten Ausgleich zwischen den Siedlungen im Westen und im Osten der Inseln bedacht sein muss.

Es gelingt der jungen Pfarrersfamilie schnell, sich auf den Inseln einzuleben und sich dank der landwirtschaftlichen Kenntnisse von Mona Kümmel die Grundlage für bescheidenen Wohlstand zu schaffen. Obwohl Mona bisweilen eifersüchtig auf die Gemeinde ist, die ihren Gatten allzu sehr in Beschlag nimmt, scheint dem Glück der Familie trotz einiger Schwierigkeiten und Rückschläge auf den Örar-Inseln nichts im Wege zu stehen. Ein einziger unbedachter Augenblick bereitet dem Glück der jungen Familie jedoch ein jähes Ende.

Ein Zeitsprung für den Leser

Mit „Eis“ gelingt es Ulla-Lena Lundberg, ein fulminantes und dennoch einfühlsames Stück jüngerer Vergangenheit anhand der Schicksale einzelner Personen zu erzählen. Sie beschreibt nüchtern in einem Stil, der dem gemächlichen Lebensrhythmus der Inselbewohner angepasst wird. Lundberg verzichtet auch in dramatischen Momenten auf jegliche Melodramatik, was ihre Figuren umso plastischer und lebendiger erscheinen lässt. Sie beschreibt Episoden aus dem Leben ihrer Figuren, die einfach nur ihr Leben leben wollen. Geschickt lässt sie einige historische Fakten einfließen, die den Leser nicht überfordern, aber einen Einblick in die alltäglichen Herausforderungen geben, denen sich die Menschen in den ersten Jahren unmittelbar nach der großen Katastrophe des 20. Jahrhunderts stellen mussten.

Mein Fazit

„Eis“ ist ein rundum gelungenes Werk, das den Leser von der ersten bis zur letzten Seite gemächlich in seinen Bann zieht. Ein ideales Buch also für warme Winterabende vor dem flackernden Kaminfeuer.

Ulla-Lena Lundberg, Eis
Mare Verlag, 1. Auflage August 2014
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Eis-9783866482067

Autor: Harry Pfliegl