Rezension: Péter Gárdos, Fieber am Morgen. Oder: Liebe überwindet alles

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Inhalt
Péter Gárdos schreibt in seinem Roman „Fieber am Morgen“ über die Vergangenheit seines Vaters Miklós: Der junge Ungar überlebt den Holocaust und wird in Schweden in einem Krankenhaus aufgenommen. Laut seinem dortigen Arzt soll er nur noch sechs Monate zu leben haben, da er an einem unheilbaren Lungenleiden laboriert. Miklós blendet seine Krankheit aus und beschließt stattdessen, Briefe an 117, ebenfalls in Schweden gestrandete Frauen aus seiner Heimatstadt Debrecen zu schreiben. Eine von ihnen soll seine Ehefrau werden, so sein Plan.

Lili Reich, eine der 117 Frauen, antwortet ihm. Ein reger Briefwechsel beginnt und bald schon steht fest: Miklós und Lili wollen ihr Leben gemeinsam verbringen. Doch zuvor müssen noch Hindernisse und Schwierigkeiten vielfältiger Art überwunden werden. Und das Wichtigste: Miklós darf nicht sterben.

Meine Meinung
Es war mir eine große Freude, dieses Buch lesen zu dürfen. Péter Gárdos beschreibt anhand der Briefe seiner Eltern sehr eindrucksvoll deren innerste Gefühle und Gedanken. Auch lässt er den Leser hautnah am Alltagsleben im Krankenhaus bzw. im Auffanglager in Schweden teilnehmen.

Es hat mich sehr berührt, mit welch großem Einfühlungsvermögen Péter Gárdos über die Hindernisse seiner Eltern zum Glück schreibt, besonders über die Eifersucht und den Neid der (falschen) Freundin Lilis und die vermeintlich unheilbare Krankheit Miklós‘. Aber auch die Sanftmut und die doch sehr unkonventionelle Hilfe des Rabbi Kronheim haben mich beeindruckt.

Ein gelungenes Werk und daher absolut empfehlenswert!

Danke für die Leseeindrücke an Hannelore Kranebitter

Rezension: Michaela Vieser und Irmela Schautz, Für immer und jetzt. Wie man hier und anderswo die Liebe feiert

Ein weiteres Buch über Liebe – braucht es das im Jahr 2016 überhaupt noch? Wir kennen Hollywoodfilme, unzählige Lieder, Bücher, Studien und Ratgeber. Dennoch wird das Thema niemals alt. Wir staunen immer wieder, wie facettenreich man sich dem Mysterium nähern kann. Einen weiteren Versuch unternehmen Michaela Vieser und Irmela Schautz mit ihrem Buch „Für immer und jetzt – wie man hier und anderswo die Liebe feiert“.

www.kunstmann.de
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Autorin Michaela Vieser ist eine Weltenbummlerin aus dem Bilderbuch: Schulausbildung in New York, Studium der Japanologie in London und später Formatentwicklerin für chinesische Medien. So erklärt sich wohl die aufmerksame, fast schon anthropologische Sichtweise, mit der sie in diesem Buch Bräuche, Traditionen und Rituale aus aller Welt vorstellt: Liebe suchen, finden und feiern. Leidenschaft mit allen Sinnen erleben, aushalten und zur Schau stellen. Emotionen im digitalen Zeitalter und sich selbst lieben.

Das Gefühl der Liebe scheint universell zu sein, funktioniert aber überall ein bisschen anders. Man staunt schon sehr über Traditionen wie den Brautraub in Kirgistan, Besuchsehen in China, Penislollis und thailändische Großfamilien, die vor dem Ehebett wachen. Bei den AbaGusii in Kenia werden frisch Getraute drei Tage lang aufs Übelste gedemütigt – wer das aushält, übersteht wohl auch die Ehe. Doch um auf sonderbare Rituale zu treffen, muss man noch nicht einmal weit reisen: Bei unseren Nachbarn in Niederösterreich stecken sich Mädchen beim Tanzen Apfelschnitze unter die Achselhöhlen, die der Angebetete dann verspeisen darf. Autorin Michaela Vieser erklärt die Bräuche mit einer humorvollen, aber keineswegs albernen Art und schließt jedes der 16 Kapitel mit eigenen Ideen zur Umsetzung der Rituale sowie einem passendem Rezept. Besonders hervorzuheben sind die liebevollen Illustrationen von Irmela Schautz.

Mein Fazit: Ja, ein weiteres Buch über die Liebe braucht es unbedingt! Und zwar dieses! „Für immer und jetzt“ zeigt, wie unterschiedlich und kreativ der Weg der Liebe aussehen kann. Jedoch darf der Leser keineswegs einen Ratgeber erwarten, da die meisten Ideen eher zur Unterhaltung als zur Nachahmung geeignet sind. Dank der entzückenden Illustrationen ist das Buch auch als Geschenk geeignet – nicht nur für frisch Verliebte.

Michaela Vieser und Irmela Schautz, Für immer und jetzt. Wie man hier und anderswo die Liebe feiert
Verlag Antje Kunstmann, 2016
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Fuer-immer-und-jetzt-9783956140648
Autorin der Rezension: Franziska Schmidt

Rezension: Odette Dressler, Sex der dein Leben verändert

Reißerisch preist der pinke Taschenbucheinband an, 25 wahre Bettgeschichten über Life-Changing Sex zu enthalten. Oha. Ich bin gespannt und hoffe auf ein ähnlich prickelndes Lesevergnügen wie bei Henry Millers „Opus Pistorum“. Doch statt Lust zu bekommen, mir die Kleider vom Leib zu reißen, will ich mir schon nach ein paar Seiten einfach nur noch die Haare raufen.

Quelle: www.edel.com
Quelle: www.edel.com

Fick mich, Baby

Odette Dressler versammelt in ihrem Debüt 25 Geschichten darüber, wie Sex unser Leben verändern kann. Zweimal schreibt sie über eigene Erlebnisse, die anderen 23 Mal versucht sie das, was andere Frauen ihr erzählt haben, prosaisch zu Papier zu bringen. Life-Changing Sex, so kündigt die Autorin bereits im „Vorspiel“ genannten Vorwort an, ist nicht immer der atemberaubend gute, unvergessliche Sex. Entsprechend mischen sich unter die Geschichten über orgastische Explosionen auch solche über erzwungenen Beischlaf, käufliche Liebe oder einen schnöden One-Night-Stand, der eine unverhoffte Schwangerschaft nach sich zieht. Trotz dieser thematischen Vielfalt bleibt der Stil Dresslers recht einheitlich. Eine mehr oder minder detaillierte Schilderung des Aktes scheint ihr in jeder Geschichte obligat, ebenso die Verwendung des Wortes „ficken“ und des Kosenamens „Baby“. Die vulgärsprachliche Copy-and-Paste-Manier wirkt vor allem in den Geschichten verstörend, welche vom Grundtonus her romantisch angelegt sind. Umgedreht wirkt es etwas lächerlich, wenn Dressler selbst die offensichtlichen Schlampen im Buch ihr Geschlechtsorgan als ihr „Heiligstes“ bezeichnen lässt. Die Vielfalt der Geschichten wie auch der Frauen verschwimmt im verbalen Einheitsbrei, so dass ich irgendwann nur noch die zugekleisterte, Highheels tragende Klischee-Tussi vor mir sehe und an den alten Sermon von „Voll Assi Toni“ denken muss.

Ausschweifung an den falschen Stellen

Natürlich gibt es Ausnahmen. Vereinzelte Sätze sind nicht völlig unoriginell und hin und wieder wirken die Akteure auch sympathisch. Wie etwa in der Geschichte über Rainer und Moni, welche beide ihre Unschuld aneinander verloren und sich erst 30 Jahre später wieder begegnen. Doch auch hier hemmt der Erzählstil das Lesevergnügen. Die Beschreibung des Liebesaktes („Bevor er kam, zog er seinen Penis aus mir heraus und drehte sich auf die Seite. Trotzdem landete ein Schuss seines Spermas direkt in meinem Bauchnabel.“) wirkt in der sonst eher melancholisch-romantisch gehaltenen Erzählung fehl am Platz. Wichtige Informationen vermisse ich (Warum sind sie sich denn nach diesem tollen Erlebnis 30 Jahre nicht mehr begegnet?), andere finde ich überflüssig (Zitat!). Diese wie auch andere Geschichten sind zu brüchig erzählt, um berührend, und zu langatmig und platt, um erotisch zu sein. Nach ellenlangem „sexlosem“ Vorgeplänkel geht es ganz plötzlich zur Sache, und ebenso abrupt endet dann auch die Geschichte.

Mein Fazit

Es ist nicht leicht über Erotik zu schreiben – und dann auch noch über Erotik mit Tiefgang. Ich konnte dem Buch weder Lust noch Erleuchtung abgewinnen. Und aufgrund des billig wirkenden Einbands kann ich es nicht mal als Deko im Bücherschrank empfehlen.

Odette Dressler, Sex der dein Leben verändert
Eden Books, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Sex-der-dein-Leben-veraendert-9783944296920
Autorin der Rezension: Katja Weber

Rezension: Henriette Hell: Achtung, ich komme! In 80 Orgasmen um die Welt

Auf der Suche nach dem Höhepunkt
Sind wir das nicht alle irgendwie? Doch die Autorin Henriette Hell sucht ganz konkret: In „Achtung, ich komme!“ begibt sie sich auf große Orgasmus-Weltreise. Auslöser dafür ist heimischer Sexfrust, der Henriette vor Fragen stellt: Ticken Männer in Indien anders? Ist deutscher Sex einfach öde? Und warum reagieren viele Männer gleich vorwurfsvoll, wenn die Frau mal nicht zum Höhepunkt kommt? Die 1985 geborene Journalistin aus Hamburg arbeitet unter anderem als Reporterin für GEO und SPIEGEL online und wurde bekannt durch ihr Blog HELLROT.

Quelle: www.randomhouse.de
Quelle: www.randomhouse.de

Sex-Experimente rund um die Welt
„Achtung, ich komme!“ ist eine Reportage rund um die weibliche Sexualität. Die experimentierfreudige Henriette macht sich auf die Suche nach einem unvergesslichen Orgasmus und probiert dabei einiges aus: Tantra-Praktiken in Indien, Sex mit einem Fremden in den Ruinen der Inkas, Sex mit einer Frau oder mehreren Partnern. Sie recherchiert und reist über Monate hinweg durch Indien, Afrika, Thailand, Kambodscha, Vietnam, Peru, Amerika und durch Europas Metropolen – langweilig wird es ihr und dem Leser dabei jedenfalls nicht, eine verrückte Episode folgt der nächsten. 80 Orgasmen, wie es der Titel verspricht, erfährt Henriette dabei zwar nicht, allerdings entpuppt sich ihr Roadtrip auch so als turbulent genug…

Sex sells
Sex als Aufhänger und schon klingelt die Kasse – das gilt natürlich ebenso für „Achtung, ich komme!“. In schreiend rotem Einband und mit fettgedrucktem Titel giert das Buch nach lüsternen Lesern. Allerdings liest es sich auch als Reisereportage mit speziellem Fokus. Natürlich geht es hauptsächlich um Sex, aber eben ausschließlich um den weiblichen. Henriette erzählt kritisch vom Frauenbild in anderen Kulturen und philosophiert über Spiritualität, Erfüllung, Selbsterfahrung. Sie verknüpft informative Fakten mit eigenen Erfahrungen und Zitaten aus Popsongs – eine unterhaltsame Mischung.

Mein Fazit
Ein lesenswertes Buch, nicht nur für Frauen! Mit dem reißerischen Cover tut sich der Verlag allerdings keinen Gefallen. Während meiner Lektüre in der Straßenbahn sah ich mehrmals neugierige Blicke oder rollende Augen, abfällige Bemerkungen – das ganze Programm. Dabei steckt doch überraschend viel Niveau in der Klappenbroschur: Henriette Hell spricht offen über Tabus und Fragen wie: Ist es nur Sex, wenn der Mann kommt? Stimmt etwas mit der Frau nicht, wenn sie beim Liebesakt keinen Orgasmus erfährt? Offen und ehrlich geht sie unliebsamen Tatsachen auf den Grund und macht schüchternen Frauen mit ihrer Message Mut: Traut euch zu sagen, was ihr braucht! Und auch die Männer können hier noch Einiges lernen. Vielleicht trägt die plakative Aufmachung doch Früchte. Detaillierte Schilderungen erotischer Abenteuer bietet „Achtung, ich komme!“ zuhauf und erfüllt damit alle Erwartungen. Wen Understatement und eine kleine Prise Weisheit eher anmachen: Trotzdem zugreifen. Dieses Buch fällt auf, unterhält und bietet das kleine Quäntchen Mehrwert. Bestimmt.

Henriette Hell: Achtung, ich komme! In 80 Orgasmen um die Welt
Blanvalet, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Achtung-ich-komme–9783764505455
Autorin der Rezension: Sarah Teicher