Rezensionsreihe Indonesien zur Frankfurter Buchmesse 2015, Teil 1: Laksmi Pamuntjak, Alle Farben Rot. Eine Saga von erschreckender Aktualität

Im Grunde erzählt die indonesische Autorin Laksmi Pamuntjak nur die Geschichte von Amba, einer Frau, deren Zukunft angesichts der politischen Verwicklungen in ihrer Heimat gestohlen wurde. Dabei spannt die Autorin einen Bogen über mehr als vier Jahrzehnte und nimmt Bezug auf eine bekannte Sage. Das Schicksal der Charaktere scheint also vorgezeichnet. Oder hätten sie doch die Chance gehabt, einen anderen Pfad zu wählen?

Foto: Hans Scherhaufer - Danke!
Die Autorin Laksmi Pamuntjak, fotografiert von Hans Scherhaufer – Danke!

Alle Farben Rot: Darum geht es
Die Autorin erzählt eine Dreiecksgeschichte aus der indischen Saga Mahabharata nach. Die Hauptfiguren darin sind Amba, die von Bishma entführt wird, woraufhin sie von ihrem Verlobten verschmäht wird. Amba wird unfreiwillig zur Schicksalsfigur in einem unseligen Bruderkrieg. Die reale Amba hingegen, Tochter eines Lehrers, beginnt ein Anglizistikstudium. Sie lebt getrennt von ihrem Verlobten, weil er in einer anderen Stadt als Lehrer arbeitet und deshalb den Kontakt mit Amba nur per Brief aufrechterhalten kann.

Während des Studiums nimmt Amba einen Job als Übersetzerin in einem Krankenhaus an und verliebt sich in den Arzt Bishma. Amba scheint ihr Glück gefunden zu haben.Angesichts der politischen Wirren stellt sich das vermeintliche Glück als großes Unglück ihres Lebens heraus: Eine leidenschaftliche Affäre endet nach etwa einem Monat, als Amba und Bishma sich während einer Straßenschlacht aus den Augen verlieren. Als Amba bemerkt, dass sie von Bishma schwanger ist, löst sie ihre Verlobung und geht nach Jakarta, ohne sich von der Familie verabschiedet zu haben. Sie heiratet einen deutschstämmigen, US-amerikanischen Anglizisten, der ebenso wurzellos ist wie sie und das Kind wie sein eigenes annimmt.

Und was ist mit dem Geliebten?
Anfang 2006 – ihr Ehemann ist inzwischen verstorben, das Kind erwachsen –, erhält Amba eine anonyme E-Mail. Bishma sei verstorben. Weil dieser mit linken Aktivisten sympathisiert hatte, war er nach Suhartos Machtergreifung im Straflager Buru inhaftiert worden, das er Zeit seines Lebens nicht mehr verlassen hatte. Amba reist nach Buru, findet tatsächlich Bishmas Grab und wird von einer Frau beinahe ermordet, weil sie ein Foto von der gemeinsamen Tochter auf die Grabstätte legen möchte. Nach dieser Verwicklung beginnt Amba zu erzählen…

Der Erzählstil
Laksmi Parmuntjak unterteilt ihre komplexe Saga von nahezu 700 Seiten in mehrere Bücher, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln über die verschiedenen Schicksale und Zeitebenen berichten. Dabei bedient sie sich einer fast märchenhaften Sprache, sodass sich der Leser problemlos in die für Europäer fremde Welt hineinversetzen kann. Dabei gelingt es Laksmi Pamuntjak, die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen Indonesiens neutral zu schildern, ohne Sympathien für die eine oder andere Seite erkennen zu lassen oder gar Schuldzuweisungen zu geben.

Quelle: www.ullsteinbuchverlage.de
Quelle: www.ullsteinbuchverlage.de

Gefesselt von Tabus?
Laksmi Pamuntjak gelingt der schwierige Spagat, mit einigen Traditionen der jungen indonesischen Literatur zu brechen und sich zugleich an einige Tabus zu halten. Wie andere Autoren spricht auch Pamuntjak viele Geschehnisse aus der Zeit der Suharto-Diktatur nicht aus, sondern deutet nur an. Dies lässt Raum für die Phantasie des Lesers, dürfte aber auch der Tatsache geschuldet sein, dass ein Teil der indonesischen Gesellschaft noch den alten Strukturen verhaftet ist, wie es auch in Deutschland nach der Zeit des Nationalsozialismus und dem Fall der Berliner Mauer der Fall war.

Laksmi Pamuntjak ist eine der wenigen indonesischen Frauen, die publizieren. Obwohl sich ein allmählicher Wandel abzeichnet, ist die indonesische Literatur noch stark von Männern dominiert, die für Eliten schreiben, während in der einfachen Bevölkerung die mündliche Verbreitung von Geschichten noch sehr üblich ist. Laksmi Pamuntjak ist die erste Autorin, die sich des Themas der Gefängnisinsel Buru annimmt und dies zum Mittelpunkt ihres Romans macht. Sie hat sich für ihre Erzählung auf die Berichte von ehemaligen Gefangenen gestützt, was im Werk auch an zahlreichen Details ersichtlich wird. Unter anderem war auch der bedeutendste indonesische Schriftsteller Pramoedva Ananta Toer auf der Molukkeninsel inhaftiert. Davon erzählt sein autobiographisches Werk Stilles Lied eines Stummen.

Fazit
„Alle Farben Rot“ ist ein Roman, der sich leicht und zügig lesen lässt. Inhaltlich ist es jedoch keine einfache Kost. Es gelingt Laksmi Pamuntjak meisterhaft, die Geschichte einfacher Menschen zu erzählen, die ihr Glück angesichts von Umbrüchen und gesellschaftlichen Umwälzungen nicht finden dürfen, und zugleich das Interesse für eine fremde Kultur zu wecken. Durch die Wahl Indonesiens als Partnerland für die Frankfurter Buchmesse 2015 und die Präsentation von „Alle Farben Rot“ gewinnt die Saga um Amba und Bashnir ungewollt angesichts der Flüchtlingswelle, die sich 2015 aus Afrika auf den Weg nach Europa macht, erschreckende Aktualität. In den leidigen „Das Boot ist voll“-Diskussionen wird gern vergessen: Hinter jedem Flüchtling steht ein tragisches Einzelschicksal. Jeder Flüchtling hat eine menschenwürdige Behandlung verdient. Dass das auch im „zivilisierten“ Westen nicht zwangsläufig der Fall ist, zeigen nicht nur die Anfeindungen von Rechten, sondern auch die Zustände in den Auffanglagern, wo es oft am Nötigsten fehlt. So hatte Amnesty International bei der Augenscheinnahme des österreichischen Lagers Traiskirchen verheerende Zustände und gravierende Verstöße gegen die Menschenrechte festgestellt. So gerät die Frankfurter Buchmesse 2015, auch unter dem Blickwinkel des Buches von Laksmi Pamuntjak, zu einem politischen Plädoyer, und das ist gut so.

Laksmi Pamuntjak, Alle Farben Rot
Ullstein Verlag, 2015
Online bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/Alle-Farben-Rot-9783550080869
Autoren der Rezension: Harry Pfliegl / Detlef M. Plaisier

Doppelauftritt: Indonesien als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2015 auf der #lbm15

image_manager__lightbox_black_logo_goh_indo_fbf_51184Indonesien wird am Stand der Frankfurter Buchmesse während der Buchmesse in Leipzig mit Vertretern der Verlagsbranche und des Buchkomitees sowie Autoren präsent sein. Der Messeauftakt am Donnerstag ist gleichzeitig der Tag von Indonesien.

Nachstehend die Highlights des Programms von Indonesien (mit freundlicher Unterstützung von Litprom). Ort für alle Veranstaltungen: Frankfurt Book Fair / GoH Indonesia Stage, Halle 4, B 401.

An allen vier Messetagen stellt Indonesien Autoren und Literatur des Landes in Kurzpräsentationen vor. Die Termine:

Donnerstag  10:30, 15:00 und 16:00
Freitag  10:30, 15:00, 16:00
Samstag  10:30, 15:00, 16:00
Sonntag  10:30, 11:30, 12:30, 14:00, 15:00, 16:00

Donnerstag, 12. März

15.00 – 15.45 Uhr
Sapardi Djoko Damono: Ein Leben in Lyrik
Anerkannt als ein Meister der Dichtung, hat Sapardi Djoko Damono ein neues Genre in der indonesischen Literatur hervorgebracht. Seine Gedichte werden von Schauspieler und Regisseur Slamet Rahardjo gelesen und von Berthold Damshäuser übersetzt.

Freitag, 13. März

16.00 – 16.45 Uhr
Der Roman The Dancer (Die Tänzerin)
Gespräch mit dem Romanautor Ahmad Tohari über sein Werk Ronggeng Dukuh Paruk, das bekannteste Buch seiner Trilogie Sang Penari (Die Tänzerin).
Mit: Ahmad Tohari
Lesung: Boboy Simanjuntak
Moderation: Berthold Damshäuser

Samstag, 14. März

10.30 – 11.15 Uhr
Meinungsfreiheit in der zeitgenössischen indonesischen Literatur
Die Schriftstellerin Laksmi Pamuntjak, deren Roman Alle Farben Rot dieses Jahr in Deutschland (Ullstein Verlag) erscheint, und der Literaturkritiker Nirwan Dewanto sprechen über den aktuellen Stand der Meinungsfreiheit in Indonesien.
Moderation: Martina Heinschke, Übersetzung: Sabine Müller

14.00 – 14.45 Uhr
Litprom goes Leipzig
Litprom präsentiert den indonesischen Lyriker und Performer Afrizal Malna
Informationen und Details zur Lesung im Veranstaltungskalender
Moderation: Dorothee Keller, Übersetzung: Sabine Müller

15.00 – 15.45 Uhr
Der Roman Alle Farben Rot
Gespräch mit der Romanautorin Laksmi Pamuntjak über ihren neuen Roman Alle Farben Rot (Ullstein).
Deutsche Lesung: Milena Karas, Moderation: Martina Heinschke

Prof. Dr. Martina Heinschke ist Expertin für indonesische Sprache und Literatur und unterrichtet an der Universität Hamburg in der Abteilung für Sprachen und Kulturen Südostasiens.

Sonntag, 15. März

14.00 – 14.45 Uhr
Lyrik und Drama
Diese zwei Literatur-Genres finden zwar im Alltag der indonesischen Gesellschaft regen Anklang, sind jedoch im Buchhandel und in der Übersetzung ein “rares Gut”. Auszüge von Werken der beiden Schriftsteller Goenawan Mohamad und Nirwan Dewanto werden im indonischen Original und in der deutschen Übersetzung gelesen.
Mit: Goenawan Mohamad, Nirwan Dewanto, Berthold Damshäuser
Übersetzung: Sabine Müller

15.00 – 15.45 Uhr
Poetry in Motion – Wasi Bantolo und Ayun Anindita Setyo Wulan
Wasi Bantolo, Choreograf und Tanzlehrer an der ISI Solo, und Ayun Anindita Setyo Wulan, Tänzerin aus Solo, interpretieren Lyrik mit Körpersprache.