Begegnung mit Karen Köhler bei Lehmanns: „Ich arbeite wie ein Handwerker“

Lesung Karen Köhler Lehmanns 26. März 2015. Foto Detlef M. Plaisier (6)
Karen Köhler bei Lehmanns Media Leipzig. Foto: Detlef M. Plaisier

Um sieben Uhr morgens ist nicht ihre Zeit. Um acht auch nicht. Um halb neun vielleicht. Aber um zehn ganz sicher. Dann beginnt nach Tee und Mailcheck die produktive Zeit von Karen Köhler. Jetzt, da sie nicht mehr im weitläufigen Atelier zwischen Leinwänden, Stoffen und Illustrationen arbeitet, steht der Laptop auf einem winzigen IKEA-Klapptisch in der Küche. So etwa bis um zwei reicht die Energie, ein Überbleibsel aus der Theaterzeit. In den Erholungsphasen wird gesurft. „In der Schreibzeit bin ich aber zuverlässig wie ein Handwerker“, beschwichtigt Karen Köhler. Nächtliche Schreibepisoden gibt es nur, wenn eine Deadline naht.

50 Lesungen seit Erscheinen ihres Debuts „Wir haben Raketen geangelt“ zwingen zu endlosen Bahnfahrten. Auch die wollen genutzt werden. „Aber Prosa im Zug geht nicht“, hat Karen Köhler festgestellt. „Ich brauche Raum um mich und die Möglichkeit, mich zu konzentrieren. Aber Dramatisches und Reden klappen ganz gut.“ Immerhin entstanden auf Reisen Fragmente zu einer Auftragsproduktion für das Nationaltheater Weimar und zu einer Erzählung für den SWR, die auf der Leipziger Buchmesse Premiere hatte.

Karen Köhler lebt in Hamburg. Ja, in St. Pauli. Sie liebt die Offenheit des Hafens, die bunte Mischung zwischen Alten, die hier seit ihrer Geburt leben, jungen Kreativen und jungen Familien. Dass die Menschen hier, wie in ihren Geschichten, eher ein vielseitiger denn ein geradliniger Lebenslauf kennzeichnet, findet Karen Köhler ganz normal: „Wer hat denn heute noch eine straighte Karriere? Das betrifft doch höchstens alle, die erst nach 11/9 jung waren.“

Zwei Fragen kann Karen Köhler nur noch schwer ertragen: Ob denn das alles autobiografisch sei und wann denn als nächstes Buch komme. Ihr Verlag Hanser hat diese Frage bisher nicht gestellt. Man lässt sie einfach in Ruhe. „Cool“, sagt Karen Köhler. „Ich liebe mein Rudel.“ Und signiert mit entwaffnendem Lächeln das letzte von 40 Büchern mit einer schwungvollen Rakete.

Rezension: Karen Köhler, Wir haben Raketen geangelt

Karen Köhler wurde 1974 in Hamburg geboren. Sie arbeitet als Schauspielerin, Illustratorin, Performance-Künstlerin, Theaterautorin und Schriftstellerin. Für den vorliegenden Erzählband erhält die Autorin 2015 den Schubart-Literaturförderpreis der Stadt Aalen.

Emotion pur

Quelle: hanser-literaturverlage.de
Quelle: hanser-literaturverlage.de

Schon auf Seite 23 schossen mir die Tränen in die Augen, verwandelte sich das anfängliche Lachen über einen Satz des Rollstuhlfahrers („You will die for sure, Baby. We all will… My name ist Cesar, and I am happy to have met you before you died.“) in ein Weinen; derselbe Vorgang, den die Autorin zuvor schon bei ihrer krebskranken Protagonistin beschrieben hatte.

Und das haben wir: Geschichten von tiefer Weisheit, zum Weinen schön. Geschichten, bei denen sich ein Verlust im Nachhinein oft als Gewinn darstellt. Geschichten, die von überwältigender Menschlichkeit durchdrungen sind. Und bei denen ich mich frage: Wie kann ein so junger Mensch über die ewigen Grundthemen des Lebens, über Tod, Verlust, Vergänglichkeit und Liebe und über das, was trotz allem bleibt, so schreiben?

Hatte ich mich gerade eingerichtet in einer Geschichte, die so vor sich hinmäandert, da kam plötzlich und unerwartet der Punkt, da ich durch einen Satz wie die Raketen aus dem Titel hinauskatapultiert wurde aus der Normalität. Und das geschieht völlig en passant, ohne großes Aufhebens. Der Tod ist immer präsent. Und es sind die ganz einfachen Worte, die so sehr zu Herzen gehen. „Könntest du nicht sein wie Jesus und bald wieder auferstehen? An einem Freitag, ja, ich fänd das nur anständig.“ So schreibt Karen Köhler in der Erzählung, die dem Buch seinen Titel gab (S. 135).

Die stärkste Geschichte ist für mich gleich die erste im Band – „Il Comandante“, weil sie ohne jegliche Larmoyanz beschreibt, wie eine junge Frau mit ihrer Krebserkrankung umgeht. Diese Geschichte hätte Karen Köhler im letzten Jahr bei den „Tagen der deutschsprachigen Literatur“ in Klagenfurt lesen sollen. Da sie krankheitsbedingt verhindert war, wurde diese Geschichte am Klagenfurter Lendhafen gelesen und im Internet per Livestream übertragen. Der ergreifendste der neun Texte ist „Wild ist scheu“. Er erinnert mich an den Siegertext in Klagenfurt 2006 von Kathrin Passig „Sie befinden sich hier“, in der die einzelnen Stationen des Erfrierens beschrieben werden.

Ton und Form
Der Erzählton von Karen Köhler ist lakonisch; sie kommt mit wenigen Worten der Alltagssprache aus. Da ist nichts Gekünsteltes oder Affektiertes, sondern allein das Vertrauen auf die Stärke dessen, was zu erzählen ist. Und das ist einiges. Karen Köhler schreibt im Präsens in der Ich-Form, was es dem Leser ermöglicht, sehr nah an ihre Figuren heranzutreten, mit ihren Augen zu sehen, mit ihrem Herzen zu fühlen.

Mein Fazit
Diese neun Kurzgeschichten sind unbedingt empfehlenswert. Uneingeschränkt.

Am 26. März, 20:15 Uhr liest Karen Köhler bei Lehmanns Leipzig in der Grimmaischen Straße. Karten gibt es hier.

Karen Köhler, Wir haben Raketen geangelt
Carl Hanser Verlag, 2014
Link zur Autorin: http://www.karenkoehler.de/
Autorin der Rezension: Cornelia Lotter
www.autorin-cornelia-lotter.de